»WAS steht für heute auf deiner Liste?«, fragt Tristan, der neben mir auftaucht und neugierig versucht, einen Blick auf meine krakelige Handschrift zu werfen. Erst jetzt fällt mir auf, dass ich meinen Gedanken nachgehangen, und das Geschriebene nur mit leerem Blick betrachtet habe.
Ich räuspere mich, blinzle mehrmals hintereinander und lese vor: »Vor Weihnachten wollte ich noch den Baum schmücken...«, fange ich an, stoppe aber aus gleich wieder.
Tristan lässt sich neben mir auf einen Stuhl gleiten und sieht zu mir auf.
»Das lässt sich aufschieben«, antwortet er und ich brumme zustimmend.
»Ich muss noch die Kisten vom Dachboden sortieren und in die Garage oder den Flur bringen, damit die Umzugshelfer sie mitnehmen oder ich sie wegwerfen kann. Aber das hat bis nach Weihnachten Zeit, vor allem, weil dort oben noch Dekorationen sind, die ich gerne an den Baum hängen würde.« Ich beuge mich vor und schreibe neben den Punkt das Datum von morgen, den 23. Dezember, und den 27. Dezember auf. Hinter das Baumschmücken schreibe ich ebenfalls eine 23.
»Die restlichen Bilder und das Geschirr müssen noch aus den Wohnzimmerschränken geräumt und in Kartons verpackt werden. Die gesamte obere Etage muss geputzt und ausgeräumt werden. In meinem Zimmer habe ich noch gar nichts ausgeräumt... Im Schlafzimmer meiner Eltern auch nicht...«, murmle ich leise.
Ich kritzele weitere Daten auf das Papier. Um die obere Etage werde ich mich erst kümmern, wenn Tristan die Heimreise angetreten hat. Seit dem Tod meines Vaters habe ich die Klinke zum Schlafzimmer nicht angerührt. Mir graut es davor, ihr Reich zu betreten und mich durch all die Klamotten und Erinnerungen zu wühlen – deswegen schiebe ich das gerne auf, bis mich der Zeitdruck dazu zwingt und mich keiner für mögliche Tränen oder Selbstgespräche verurteilen kann. Für mein Zimmer gilt dasselbe.
In zwei Boxen, die verteilt unter meinem Bett liegen, schlummern alte Tagebücher oder Zettel, die ich beschrieben und einfach dazugestopft habe. Sie beinhalten meine Gedanken und Gefühle zu den schlimmsten Monaten meines Lebens und auch, wenn ich mich natürlich nicht gerne selbst quäle, weiß ich, dass ich die Finger nicht von ihnen werde lassen können. Ganz im Gegenteil. Vermutlich werde ich an diesem Tag die Nacht durchmachen und jeden Eintrag lesen.
»War es das? Klingt fast so, als hätten wir heute noch genügend Zeit zum Backen.« Er klatscht in die Hände und ich überfliege die Liste erneut. Natürlich schiebe ich einiges auf, das bereits heute erledigt werden könnte, dennoch hatte ich das Gefühl, dass noch mehr Arbeit auf mich warten würde. Endlich scheint sich die Zeit, die ich bereits in dieses Haus und meinen Auszug investiert habe, bezahlt zu machen.
»Wenn wir die Wohnzimmerschränke ausgeräumt haben, gerne.« Er gibt ein gedehntes Seufzen von sich, ehe er das Gesicht theatralisch in den Händen vergräbt. Zwar verbirgt diese Geste sein Gesicht und seine Augen vor mir, aber das leise Lachen können seine Hände nur bedingt dämpfen.
»Du musst nicht helfen, Tristan. Es ist weder dein Haus, noch dein Auszug. Außerdem sind wir nicht einmal... befreundet.« Sobald die Worte über meine Lippen kommen, bin ich mir nicht mehr sicher, ob es die richtigen waren.
Ab wann sind zwei Menschen einander nicht mehr fremd? Ab wann sind sie Bekannte, oder Freunde? Gibt es einen Punkt in ihrer Beziehung, in dem man von der einen auf die andere Ebene wechselt? Gibt es überhaupt zwei unterschiedliche Ebenen?
Ich verstricke mich so sehr in meinen Gedanken, dass ich Tristans Antwort nur verspätet wahrnehme. Ich lege die Stirn und Falten und lasse den Zettel auf den Tisch gleiten.
»Du bist meine Lebensretterin und ich der komische Typ, der mitten in der Nacht an deiner Haustür geklopft und mit deiner Wärmflasche gekuschelt hat.« Die Entspanntheit in seiner Stimme lässt mich die Schultern lockern und vorsichtig zu ihm aufsehen. Inzwischen steht er neben mir, hat die Arme vor der Brust verschränkt und bedenkt mich mit einem Lächeln, das mir die Unsicherheit nimmt.
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Vanilleherzen ₂₀₂₂ | ✓
RomanceAᴅᴠᴇɴᴛsᴋᴀʟᴇɴᴅᴇʀ ₂₀₂₂ Statt die Vorweihnachtszeit mit dem Backen von Plätzchen, dem Sehen von Weihnachtsfilmen oder dem Einpacken von Geschenken zu verbringen, muss Anastasia ihr Elternhaus auf dessen Verkauf vorbereiten. Dabei bleibt ihr keine Zeit...