v i e r u n d z w a n z i g

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»FINDEST du, dass es viel Verantwortung ist, einen Hund zu haben? Seit Jahren versuche ich meine Eltern dazu zu überreden, einen zu adoptieren, aber sie glauben, dass die Arbeit an ihnen hängenbleiben würde. Dabei kann ich vor und nach der Schule mit ihm gehen, außerdem bin ich im nächsten Jahr auch fertig, und habe dann noch mehr Zeit.«

Ich ziehe die Beine an die Brust und lege das Handy, das ein Bild von Anouk kurz nach ihrer Ankunft bei mir zeigt, auf dem Polster des Sofas ab.

»Du bist schon gebunden, wenn du einen Hund hast. Spontane Urlaube oder Übernachtungen fallen aus. Sie braucht Futter, Spaziergänge und Beschäftigung.« Ich denke an die ersten Tage zurück. Der Gedanke, einen Hund im Haus zu haben, hat mich zu gleichen Teilen gefreut wie verängstigt. Ich mochte den Gedanken, nach Hause zu kommen und jemanden zu haben, der sich über die Rückkehr freut, sehr. Auf der anderen Seite hatte ich Angst, ihr nicht gerecht zu werden oder etwas in der Erziehung falsch zu machen.

Schon in Nicoles Alter hatte ich mich mit Australian Shepherds beschäftigt und wusste dementsprechend, wie fordernd sie sind. Aber ich glaube, bisher eine gute Hundemutter gewesen zu sein.

»Weißt du schon, was du nach der Schule machen möchtest? Möchtest du studieren?«

Nicole zuckt mit den Achseln. »Eigentlich schon, aber die Studienkosten sind so hoch und ich weiß auch noch nicht so richtig, was mich eigentlich interessiert.« Sie verzieht das Gesicht zu einer Grimasse und wirft einen kurzen Blick zu ihrer Familie.

»Ich weiß, dass sie nur das Beste für mich wollen und mich zu nichts drängen würden, aber sie warten auf eine Antwort. Einen Plan. « Sie seufzt. »Tristan wusste schon während der Schulzeit, was er einmal machen möchte. Meine Pläne haben sich hundert Mal geändert und ich bin nie vollkommen zufrieden.«

Die plötzliche Anspannung in ihrem Körper signalisiert mir, dass sie nicht zum ersten Mal darüber spricht oder nachdenkt.

Ich lege meine Hand auf ihre und drücke sie sanft.

»Es ist in Ordnung, dass du es noch nicht weißt. Du bist 18 Jahre alt und hast noch Zeit, dich festzulegen. Aber deswegen wäre es wohl auch besser, sich erstmal keinen Hund anzuschaffen. Solltest du im Winter studieren und ein Wohnheimzimmer haben, glaube ich kaum, dass du ihn mitnehmen könntest. Und das wäre für euch beide nicht schön.«

Nicole nickt zaghaft. »Du hast recht«, sagt sie schließlich. »Aber ich hoffe, dass ich Anouk in Zukunft öfter sehen werde. Dann kann ich mich weiter darauf freuen, irgendwann selbst einen Hund zu haben.« Sie fängt an, Anouks Bauch zu kraulen und ich nicke zustimmend.

Mein Blick wandert zu Tristan, der mit seinem Vater über verschiedene Gewürze diskutiert und dabei außer Acht lässt, dass Olivia sich bereits daran begeben hat, den Braten zu würzen.

Keine Ahnung, was die Zukunft bringt, aber ich hoffe, dass sie seine Familie und vor allem ihn beinhaltet. Er hat es geschafft, dass dieses furchtbare Jahr zum Ende hin besser und mein Leben lebenswerter geworden ist. Ich kenne ihn erst seit wenigen Tagen, aber er ist mir bereits wichtiger, als es vermutlich gesund wäre.

»Oh, da hat sie ja noch gar nicht in ihr Geschirr gepasst!« Ich reiße den Blick von Tristan los und sehe mit zusammengeschobenen Augenbrauen zu Nicole, die sich über mein Handy beugt und mit dem Finger auf eine kleinere Version von Anouk zeigt.

Zwar war sie schon fast ausgewachsen, als sie ihren Weg zu mir fand, aber das Geschirr, das eher für einen Schäferhund ausgelegt war, war ihr dennoch zu groß gewesen.

Ich schmunzle. »Ja, ich habe es enger nähen müssen, sonst würde es vermutlich heute noch nicht passen.« Ich wische ein Bild weiter, in der Erwartung, Anouk in dem umgenähten Geschirr zu finden, als ein Bild von ihr und einer meiner Freundinnen auftaucht. Meiner ehemals besten Freundin...

Vanilleherzen ₂₀₂₂ | ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt