d r e i u n d z w a n z i g

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»LIEBLING, hör' auf, die arme zu belagern.« Tristans Mutter schließt zu ihrem Ehemann auf. Ihre Korkenzieherlocken wippen bei jedem Schritt auf und ab und werden von dem aufkommenden Wind gekämmt. Immer wieder legen sie sich vor ihre rundlichen Augen, was sie jedoch nicht zu stören scheint.

»Ich bin Olivia.« Sie streckt mir ihre Hand entgegen und nachdem ich sie ergriffen habe, schüttelt sie sie übermütig.

»Und das ist Anouk?« Nicole taucht hinter ihrer Mutter auf und sieht an mir vorbei zur Türschwelle.

Anouk hat sich auf diese vorgeschlichen und sitzt brav hinter mir, während sie die fremden Personen mustert.

»Sie ist so süß!« Nicoles Stimme wandert in die Höhe und ich sehe Anouk dabei zu, wie sie zusammenzuckt und rückwärts wieder ins Haus geht. Sie hat den Kopf eingezogen und die Ohren angelegt.

Nicole presst sich die Hand auf den Mund und sieht schuldbewusst zu mir.

»Das wollte ich nicht, tut mir leid«, sagt sie, die Lautstärke auf ein Minimum reduziert.

»Wie konntest du sie allein lassen, Tristan? Ich werde dich niemals auf meine Kinder aufpassen lassen.« Sie schlägt nach ihrem Bruder, der geschickt ausweicht und gleich meinen Blick auffängt. Ein schwacher Schatten verzerrt seine Gesichtszüge, aber als sich ein leichtes Lächeln auf meinen Lippen ausbreitet, verschwindet er wieder.

Mir wäre es lieber, nicht an den gestrigen Tag und die Angst erinnert zu werden, aber ich hoffe, dass er daraus gelernt hat. Außerdem könnte ich mir nicht vorstellen, weiterhin sauer auf ihn zu sein, wenngleich er es durchaus verdient hätte.

»Ich bin übrigens Nicole.« Sie hebt die Hand zur Begrüßung und ich erwidere das schüchterne Winken.

Am liebsten würde ich nachfragen, was Tristan seiner Familie noch am Telefon von mir, Anouk und unserer Situation erzählt hat.

Auch die Tatsache, dass sie sich zur Begrüßung nicht über die Türschwelle getraut haben, regt mich zum Nachdenken an.

»Wir haben dir etwas mitgebracht.« Nicole streckt die Arme aus und reicht mir das Paket, das sie bisher wie einen Schatz gehütet hat. Ein aufgeregtes Funkeln tritt in ihre Augen, als ich es an mich nehme und vorsichtig schüttele.

»Das wäre absolut nicht nötig gewesen«, sage ich eilig. Ich habe nicht damit gerechnet, die Feiertage mit ihnen zu verbringen, geschweige denn, dass sie mir ein Geschenk mitbringen, während ich mit leeren Händen dastehe.

»Das ist das Mindeste, was wir tun können«, versichert Olivia mir. Sie schlingt den Arm um den ihres Mannes und lehnt ihren Kopf an dessen Schulter.

»Du kannst es unter den Baum legen und dann können wir in die Stadt fahren.« Charles tätschelt die Hand seiner Frau mit seiner und wendet sich ihr zu, während Tristan sich an meine Seite stellt. Er legt einen Arm um meine Taille, was von Nicole mit einem entzückten Seufzen kommentiert wird, das mich rot anlaufen lässt.

»Tristan, was sagtest du, ab wann wir die Zimmer beziehen können? Denkst du, wir können vor dem gemütlichen Teil das Gepäck ins Hotel bringen?«

Tristans Lippen teilen sich und er kramt in der Hosentasche nach seinem Handy.

»Warum bleibt ihr nicht hier?«, platzt es aus mir heraus. Die leisen Gespräche unter den Eheleuten verstummen und alle Augenpaare sind auf mich gerichtet. Ich meine sogar, auch Anouks Aufmerksamkeit zu haben, als könnte sie die Worte ebenfalls verstehen.

Olivias und Tristans Antworten überschlagen sich. Während er fragt, ob ich das ernst meine und mir sicher bin, ist Olivia drauf und dran, das Angebot abzuschlagen, um sich nicht aufzudrängen.

Vanilleherzen ₂₀₂₂ | ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt