MIRAH Careys hohen Töne wecken mich. In nicht allzu weiter Entfernung schallt ihre melodische Stimme aus den Boxen und versetzt mich gleich in Weihnachtsstimmung, die erst am gestrigen Abend wirklich in mein Herz gekehrt ist. Einen Tag vor Heiligabend ist das verhältnismäßig spät, aber immerhin hat sie es noch rechtzeitig geschafft.
Ich öffne die Augen, schlage die Bettdecke nach hinten und setze mich auf. Anouk, die mit ihrem Hinterteil unter meinem Bett liegt, hebt prüfend den Kopf und starrt zu mir nach oben.
Ihr Blick wird klarer, als sie erkennt, dass ich im Begriff bin, aufzustehen. Sie streckt ihre Glieder von sich und rappelt sich allmählich auf.
Gestern Abend ist sie mir nicht mehr von der Seite gewichen. Als ich mich auf den Weg in mein Zimmer gemacht habe, ist so dicht hinter mir die Treppe nach oben gelaufen, dass ich gestolpert und beinahe mit den Knien auf der Stufe aufgeschlagen wäre. Während des Zähneputzens hat sie vor der Badezimmertür gesessen und mich angesehen. Und jedes Mal, wenn ich in der Nacht aufgewacht sind, hat sie an meinem Bett gelegen, mit dem Kopf in meine Richtung.
Mehrmals bin ich durch ihre Träume, leises Fiepsen und schmatzen aufgewacht. Sie bewegte ihre Pfoten, als wäre sie dabei, einen Lauf zu absolvieren. Hin und wieder zuckte sie zusammen und weil ich Angst hatte, dass sie schlimme Dinge, die sie bei ihrer Flucht erlebt hatte, verarbeitet, habe ich mich jedes Mal nach unten gebeugt, mit der Hand über ihr Fell gestreichelt und sie vorsichtig dazu gebracht, wieder aufzuwachen. Das fröhliche Schwanzwedeln, das mich dann erwartet hat, machte die vielen Male, die ich aufgeschreckt bin, jedes Mal wieder wett.
»Guten Morgen, meine Süße«, flüstere ich und beuge mich nach vorne, um ihr einen Kuss auf das Köpfen zu hauchen. Sie schmiegt sich wie eine Katze an meine Beine und fordert ihre morgendlichen Streicheleinheiten ein, die ich ihr heute mehr als bereitwillig gebe.
Als unten ‚Coming home for christmas' ‚Last christmas' ablöst, springe ich vom Bett, ziehe mir einen Weihnachtspullover über und stiefele in den Flur.
Es ist schön, Bewegung im Haus zu haben, mit diesen schönen Liedern geweckt zu werden und zu wissen, dass jemand auf mich wartet, um mit mir zu frühstücken.
Gleichzeitig weiß ich, dass dieses für eine Weile das letzte gemeinsame Frühstück sein wird.
Gestern haben wir bis in die Nacht im Wohnzimmer neben Anouk gesessen und über Gott und die Welt gesprochen - auch darüber, wie es mit uns weitergeht. Alles begann und endete damit, dass heute seine Familie kommen und ihn abholen wird. Wir sind uns einig, dass wir telefonieren und schreiben werden. Aber ich werde umziehen, mein Studium wieder aufnehmen und mir einen Job suchen, um nicht weiterhin von dem Erbe zu leben. Tristan hat ein eigenes Leben, Freunde, einen Job. Es wird schwierig werden, herauszufinden, was zwischen uns sein könnte, wenn der Alltag uns in Beschlag nimmt.
Ich schlucke den Kloß hinunter, der sich in meinem Hals gebildet hat, wasche mir im Badezimmer das Gesicht, kämme mir die Haare und gehe anschließend nach unten.
Anouk folgt mir auf Schritt und Tritt, lässt mir dieses Mal allerdings etwas mehr Platz auf den Stufen, sodass ich unfallfrei im Flur ankomme.
In diesem breitet sich der Duft von frischem Kaffee, Brötchen und Vanille aus, der mich an die köstlichen Plätzchen erinnert, die wir vor zwei Tagen gebacken haben, und die seitdem in der Küche stehen.
»Guten Morgen«, murmle ich, als ich den Wohnbereich betrete und meine Augen sich auf die Suche nach meinem Gast machen.
»Was ist das?« Überrascht stemme ich die Füße in den Boden, als mein Blick auf eine Girlande fällt, die über der großen Fensterfront angebracht wurde. Unechte Tannenzweige verflechten sich mit einer Lichterkette, die durch kleine, bunte Kugeln Farbe in die Dekoration bringt.
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Vanilleherzen ₂₀₂₂ | ✓
Roman d'amourAᴅᴠᴇɴᴛsᴋᴀʟᴇɴᴅᴇʀ ₂₀₂₂ Statt die Vorweihnachtszeit mit dem Backen von Plätzchen, dem Sehen von Weihnachtsfilmen oder dem Einpacken von Geschenken zu verbringen, muss Anastasia ihr Elternhaus auf dessen Verkauf vorbereiten. Dabei bleibt ihr keine Zeit...