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IN meinem Traum wandle ich durch die winterliche Landschaft. Anouk weicht nicht von meiner Seite und ich bilde mir ein, ein breites Grinsen in ihrem Gesicht zu erkennen.

Der Schneefall hat sich gelegt, die weiche Masse ziert unseren Weg und ich spüre den kühlen Wind, der ein leises Glockenspiel heranträgt, das mir den Spaziergang versüßt. Irgendwann mischt sich zu diesem der Geruch von frischen Brötchen und Kaffee und ich bleibe stehen, um mich umzusehen.

Weit und breit ist keine Menschenseele zu erkennen, auch ein recht sinnloser Blick Richtung Himmel hilft mir nicht dabei, die Quelle des Geruchs ausfindig zu machen.

»Gut gemacht, Anouk.« Ich schlage die Augen auf, als ich eine inzwischen bekannte Stimme wahrnehme. Verschwommen baut sich mein Zimmer vor mir auf und ich versuche, die Augen gegen die Sonne abzuschirmen, die durch die großen Fenster hereinscheint.

Blinzelnd angle ich nach meinem Handy auf dem Nachtisch und sitze mit einem Mal kerzengerade im Bett als ich sehe, dass es schon nach acht Uhr ist. Sofort schlage ich die Bettdecke nach hinten, sammle das Paar Socken von gestern auf und ziehe es über meine kalten Füße. Dann greife ich nach meinem Bademantel.

Gerade als ich diesen überstreife, fällt mein Blick auf den Platz neben meinem Bett, der sonst von Anouk genutzt wird. Ich verenge die Augen zu zwei Schlitzen, als ich sie dort nicht entdecke, erinnere mich dann aber daran, dass sie die gesamte Nacht auf der Schwelle zu meinem Zimmer verbracht hat, mit Blick auf die Treppe als wisse sie, dass wir einen Gast haben, dem wir noch nicht hundertprozentig trauen können.

Doch auch dort liegt sie nicht mehr.

Nachdenklich lege ich den Bademantel um meinen Körper und setze mich in Bewegung. Aufkeimende Sorge lässt mich die Arme um den Bauch legen.

Erst im Flur schleicht sich der frische Duft nach Brötchen und Bacon wieder in meine Gedanken und ich höre Geräusche, die von Geschirr stammen könnten.

Das Herz schlägt mir bis zum Hals, als ich die Treppe nach unten gehe und vorsichtig einen Blick in die Küche werfe.

Tristan steht hinterm Herd und wirft gerade kunstvoll einen Pfannkuchen in die Höhe, den er mit der Pfanne wieder auffängt. Ein Grinsen liegt auf seinen Lippen und er summt leise das Lied mit, das aus seinem Handy ertönt. Anouk sitzt hinter ihm, beobachtet seine Bewegungen aufmerksam und beginnt, mit dem Schwanz zu wedeln, sobald er sich zu ihr umdreht.

»Ein gutes Team sind wir, nicht wahr?« Er streckt die Hand nach ihr aus, kann seine Finger aber nicht in ihrem Fell vergraben, da sie in diesem Moment auf mich aufmerksam wird. Wie ein kleiner Flummi springt sie auf und tänzelt um den Tresen herum auf mich zu.

Fröhlich schmiegt sie sich an meine Beine, drängt sich an mich, um die für sie angemessene Aufmerksamkeit zu erlangen.

»Guten Morgen«, murmelt Tristan, plötzlich schüchtern.

Ich fahre meiner Hündin mit der Hand über den Kopf und hebe dann den Blick. Tristan lädt den Pfannkuchen zu anderen auf einen Teller und schaltet anschließend den Herd aus. Seine Haare sind ordentlich und umgeben sein schönes Gesicht wie ein Rahmen. Seine blauen Augen strahlen wie der klare Himmel draußen, der nur durch die hellen Sonnenstrahlen gebrochen wird.

Selbst wenn sich mir dieses Bild noch nie zuvor gegeben hat, macht es einen vertrauten Eindruck auf mich. Außer der unsicheren Begrüßung ist nichts von Zurückhaltung zu erkennen. Er bewegt sich flüssig durch die moderne Küche, seine Handgriffe sitzen auch, als er zum Ofen geht, ihn ausschaltet und ein Blech mit dampfenden Brötchen hervorzaubert, die dafür sorgen, dass mir die Kinnlade nach unten klappt. Ich bin mir sicher, dass ich keine mehr eingefroren hatte und auch, dass er sich nicht am frühen Morgen auf den Weg in die Stadt gemacht hat, um sie einzukaufen. Das bedeutet, dass er sie selbstgebacken haben muss. Und ich möchte mir besser nicht vorstellen, wie viel Aufwand das mit sich gebracht hat.

Vanilleherzen ₂₀₂₂ | ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt