Wyrian

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   "Wyrian!", schallt es durch den lauten Knall einer mächtigen Explosion hindurch, bevor ein lautes Tuten auf den Ohren ertönt und alles um sie herum verstummt. Die Druckwelle reißt Bäume, Menschen und Gebäudeteile in die tiefe Schlucht aus Blut und Verderben. Als seine Männer in die Tiefe stürzen, hört er trotz des Gehörsturzes die elendigen Todesschreie gepaart mit dem Geruch von Tod und verbrannter Haut. Für einen Augenblick hält der Hauptmann inne, denn er weiß, dass er ein Drittel seiner Männer verloren hat. Die heiße Lava verbrennt Haut und Knochen in binnen von Sekunden.

Schnell besinnt er sich wieder, als er seinen besten Mann am Abhang wiederfindet. Er greift nach seinem halb ohnmächtigen Soldaten, der sich mit letzter Kraft an der Klippe festhält. Obwohl er bereits viele Schlachten überstanden hat, hängt sein Leben einzig und allein an der Kraft seines Vorgesetzten, der ihn mit einem kräftigen Wutschrei hochwirft.

Trotz des kurz anhaltenden Adrenalinstoßes spürt der angeschlagene Hauptmann, wie seine Wunden aufplatzen und sich eine klebrige rote Flüssigkeit schnell zu einer kleinen schmierigen Pfütze formt.

Die Artillerie feuert erneut auf seine Infanterie, die bereits in alle Himmelsrichtungen zerstreut sind. Seine schwarzen Augen kneift er zusammen, als er trotz schweren Verletzungen den jungen blonden Mann über die Schulter wirft und sich in letzter Sekunde in einem Graben vor den zielsicheren Kugeln seiner Gegner schützen kann.

Eine große Sorgenfalte macht sich in seinem eckigen, verschwitztem Gesicht breit, als er bemerkt wie schlaff der Körper des jungen, schmalen Mannes ist. Mit schnellem Herzschlag begutachtet er sich den ohnmächtigen Soldaten und muss sich eingestehen, dass dieser lediglich vor Erschöpfung das Bewusstsein verloren haben muss. Kein einziger Kratzer ziert seinem knochigen Körper, was gar einem Wunder gleicht.

"Wyrian", brummt er genervt auf und rüttelt ihn mehrfach, doch der jüngere vor ihm rührt sich nicht, weshalb er ihm mehrfach ins Gesicht schlägt. Der Soldat springt keuchend auf, hält sich schmerzverzerrt sein ovales Gesicht und sieht sich verwirrt um, als er direkt von seinem Vorgesetzten runtergezogen wird. Haarscharf entkommt er einer Kugel und blinzelt mehrfach reglos.

"Möglicherweise hätte ich dich einfach abstürzen lassen sollen, wenn du so darauf bestehst." Sein strenger Blick untermauert er mit seinen dunklen Augenringen. Wyrian schluckt hart und kratzt sich verlegen am Kopf, bevor er einige Kameraden in der Nähe betrachtet, die fast schutzlos von der Artillerie erfasst werden.

"Hauptmann Hax, überlassen Sie den Rest mir."

Er zieht eine seiner buschigen dunklen Augenbrauen hoch und steht seinem Schützling mit einer gewissen Skepsis gegenüber. Tonlos reibt er sich sein breites Kinn und schneidet sich dabei an seine kratzigen grauen Stoppeln.

"Enttäusche mich nicht."

Mit diesen Worten nickt Wyrian, bevor er vor seine Kameraden sprintet und die Artilleriegeschosse galant mit seiner Klinge abfängt und reflektiert, wodurch die Gegner mit ihren eigenen Kugeln beschossen werden. Seine hellblauen Augen werden leer, als sein sonst gefühlvolles Gesicht einer gleichgültigen Marionette gleicht, die lediglich für den trostlosen Kampf abgerichtet worden ist.

Seine dreiseitige Waffe, die aus Spiegeln, Eisen und Blech besteht, leuchtet in einem hellen Glanz auf, bevor die Waffen sich gegen die eigenen Anwender richten oder sich selbst zerstören. Während die Infanterie sich langsam wieder sammelt, weichen ihre Gegner auf altmodische Waffen wie Pfeil und Bogen oder Schleudern zurück.

Der Körper des Soldaten reflektiert sich selbst und als sein Schatten verschwindet, wird ein riesiger Schutzball als Wall aktiviert, durch den die härtesten Bomben und Geschosse wirkungslos werden.

Der Hauptmann formiert seine Truppe neu und stürmt mit ihnen das gegnerische Team. Schutzlos und hilflos werden die Angreifer schonungslos abgeschlachtet. Kurzerhand flüchten sie schreiend aus dem nun komplett zerstörte Gebiet der Tantro - ein Volk, das sich seit Jahrhunderten dem Herrschaftsgebiet der Kalkatieus nicht beugt und weder Menschen noch Tiere sind.

Trotz dem Rückzug der Kalkatianer bleibt ein Freudenschrei aus. Stattdessen blicken sie um das zerstörte Grenzgebiet, das ihnen einst als riesige Mauer und uralte magische Ruine Schutz bot. Zwischen den Gebäudestücken lagen die Leichen der einstigen Freunde und Kameraden der Truppe verstreut oder hatten sich bereits vollständig in der heiligen Lava aufgelöst.

Wyrian kniet sich zu den Opfern und erkennt das Blut, das überall an ihm haftet. Obwohl die Trauer in seinem Herzen sein Inneres aufreißt, schafft er es nicht eine Träne zu vergießen. Die Anblicke der vergangenen Jahre haben ihn geprägt, wenn nicht seine Gefühlswelt abstumpfen lassen. Dennoch zückt er seine Abzeichen und hängt jedem eines an, um so die Opfer zu würdigen und ihnen einen Platz in ihrem göttlichen Nachleben zu bescheren.

Hauptmann Hax klopft ihm wissentlich auf die Schulter. Er weiß wie hart es ist jemanden zu verlieren. Jeder einzelne Soldat ist wie ein Familienmitglied für ihn und doch fühlt er sich immer wieder wie ein Fremder, wenn er die Familie der einzelnen Verstorbenen aufsuchen muss, um ihnen den Tod des geliebten Menschen nahe zu bringen.

Wieder haben sie es geschafft ihre Heimat, ihre Kultur und ihre Familien zu beschützen. Doch wie lange werden sie dies noch schaffen?

Ein einziger Mann hat es geschafft das Blatt zu wenden und dennoch weiß Hax, dass er nicht ewig auf einen 29-jährigen jungen Mann hoffen kann, der bereits an seine körperlichen Grenzen gestoßen ist.

Die Abenteuer der WyriansWo Geschichten leben. Entdecke jetzt