Leben und Leben lassen

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Als die Musik aufhört und sich die Menge lichtet, sucht Raxa mit den Augen nach dem Verbleib seiner Schwester. Trotz ihrer Auffälligkeit findet er sie nicht. Das kann lediglich bedeuten, dass sie nicht in diesem Stadtteil ist. Niedergeschlagen dreht er sich um. Ein Arm legt sich um ihn. Erschrocken blickt er auf und sieht direkt in das Gesicht der Haupttänzerin. Sie hat türkises Haar mit pinken Strähnen. Ihre weißgelben Augen schimmern in einem amüsanten Glanz.

"Was macht ein Leckerbissen wie du in der Stadt?" Sie quietscht freudig auf und klatscht in ihre Hände. Ein strenger Geruch aus verschiedenen Früchten lässt ihn sich räuspern. Raxa befreit sich aus ihrem Griff und wahrt misstrauisch den Abstand.

"Was ist denn los, mein Süßer?", fragt sie in einem süffisantem Ton und verringert den Abstand erneut.

"Schwester!", ruft eine der anderen Tänzerinnen ihr zu, "kommst du?" Die Gleichheit der Beiden verblüfft Raxa. In seiner Heimat gibt es selten Zwillinge, darum überrascht ihn der Anblick.

"Geh schon einmal vor." Sie zwinkert ihr zu. Diese nickt und hebt zum Abschied ihre Hand.

"Geh doch mit ihnen", brummt Raxa genervt und blickt weiter um sich, in der Hoffnung, dass Kia ihn aus dieser unangenehmen Situation befreit.

Schulterzuckend beugt sie sich ihm vor und grinst breit. "Lass uns Spaß haben."

Seufzend schüttelt Raxa den Kopf. "Ich bin in Begleitung hier."

"Oh, zu schade", sie kichert wie ein kleines Mädchen, "aber eigentlich ist das umso besser." Raxa verzieht verwundert seine Augenbrauen und verschränkt seine Arme vor der Brust.

"Wieso das?", hakt er verwundert nach. Sie schaut panisch um sich und deutet auf eine Seitengasse. "Eigentlich habe ich ein Problem und benötige deine Hilfe... Können wir da drüben sprechen?" Mit diesen Worten zerrt sie ihn bereits hinter sich her.

"H-hey..." Seufzend trottet er hinter ihr her. Wenn ein Problem in dieser Stadt bestehen sollte, muss er sich dem annehmen. Er kann es nicht ertragen, wenn seine Spezies leidet. Dagegen muss er etwas unternehmen - auch wenn er der fremden Tänzerin nicht gänzlich vertraut.

Während sich Kia die Lebendigkeit der Tantros in der Wüstenstadt ansieht, wird sie nostalgisch. Sie hat immer von einer friedvollen Welt geträumt. Ist ihr Wunsch eine Seifenblase, die durch Fremdeinwirkung, die sich Realität schimpft, gefährdet? Womöglich schon. Ihre Mutter hatte sie von klein auf gewarnt, dass Frieden nur ein Schein war und sie sich bis zum Letzten bekämpfen würden. Die Worte gleiten ihr durch den Kopf.

"Kia, mein Schatz", sagt sie behutsam und sieht zum kleinen Mädchen runter, "du musst wissen, wir dürfen uns nicht in das Leben auf der Welt einmischen. Wenn wir dies tun würden, würden wir das Gleichgewicht in Gefahr bringen." Doch jedes Mal wenn sie die verängstigten Gesichter sieht, hadert sie stets mit sich selbst. Nein, sie darf niemanden beschützen, der sich nicht selbst verteidigen kann. Die Welt gibt und nimmt.

"Die Lebewesen verändern sich im Laufe der Zeit, um sich an die Veränderung der Welt anzupassen und die, die es nicht können, sterben. Das Alte muss vergehen, um etwas Neues zu erschaffen. Wenn dies nicht so wäre, würde nicht nur eine Überbevölkerung entstehen, nein, die Entwicklung der einzelnen Lebewesen wird gestoppt."

Die junge Kia hat damals die Worte ihrer Mutter nicht verstanden, doch wenn sie nun um sich blickt und die Veränderungen zwischen ihr und diesen Tantros erblickt, weiß sie den Grund. Hätten sie sich nicht unterschiedlich entwickelt, könnten sie der schwierigen Lebensbedingungen nicht standhalten. So könnten die Tantros hier nicht in Mori überleben - umgeben von Seerosen und Nebel.

Die Abenteuer der WyriansWo Geschichten leben. Entdecke jetzt