Ein beschwerlicher Abschied

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Die Sonne geht langsam auf. Über dem Horizont tanzen die vereinzelten Seerosen mit den funkelnden Wolkenlaternen, die durch ihren Rhythmus einen magischen Windzug erzeugen. Daraus resultiert eine verdrehte Wahrnehmung, wodurch der Sonnenaufgang wie ein Wellenritt über den Wolken wirkt. Zugleich ergeben die Lichtbrechungen einen Regenbogen mitten über die magische Seerosenstadt. Diesen Anblick wird Raxa nicht mehr so schnell sehen.

Er genießt die letzten Augenblicke der Ruhe. Auch wenn er sich gegen die Entscheidungen seiner Familie auflehnt, weiß er sogleich, dass ihm die Zeit fehlt, um weitere Diskussionen anzuzetteln.

"Es wird Zeit." Eine sanfte Stimme unterbricht die Stille. Wehmütig blickt er ein letztes Mal über den Horizont.

Kia zieht den Reißverschluss ihres großen, weißen Rucksackes zu, der mit verschiedenen Schutzamuletten und okkultistischen Symbolen ausgestattet ist. Im Gegensatz zu ihrem Bruder hat sie oft den Schutzwall überquert und ist von Ort zu Ort gereist, um ihre Mutter zu besuchen. Raxa kennt nichts anderes außer das Schlachtfeld und Mori. Es wird für ihn ein schwerer und zugleich wichtiger Schritt sein, um seinen Horizont zu erweitern und zugleich ein Heilmittel zu finden. Raxa seufzt gedankenverloren vor sich hin.

"Es wird nur für eine Weile sein", sagt Kia aufmunternd. Sie legt eine Hand auf seine Schulter und lächelt leicht. Mit schwerem Herzen dreht er sich seiner Schwester zu.

"Ich weiß", brummt er leise und fährt sich durch sein blondes Haar. Doch kennt er jene Gefahr, die außerhalb der Stadt liegen. Der Schutz von Granaltania wird ihnen nicht folgen. Sie sind dort auf sich allein gestellt.

"Ich werde dich beschützen." Raxa zuckt überrascht in sich zusammen und blinzelt mehrmals. Kia sieht entschlossen aus. Er öffnet seinen Mund, um zu widersprechen. Sie soll ihn nicht als ein hilfebedürftiges Kind sehen. Nein. Er möchte sie beschützen. Denn sein ganzes Leben lang hat sie sich um ihn gekümmert. Er steht immer noch tief in ihrer Schuld.

Doch bevor er die richtigen Worte gefunden hat, fällt ihm der riesige Rucksack auf. Er schluckt hart und sieht sich in ihrem halb leeren Schlafzimmer um.

"Sch- Schwester?", fängt er besorgt an, "hast du nicht gesagt, dass wir nur für eine Weile-"

"Abenteuerregel Nummer 1: Bereite dich für jeden Fall vor. Eine Reise birgt stets Überraschungen mit sich." Mit diesen Worten fährt sie die Konturen ihrer leuchtenden Haarspange nach. Mehrere Bänder, Ketten und Ringe zieren ihren Körper. Jedes einzelne hat sie aus magischer Substanz und kristallisiertem Salz selbst hergestellt.

Ein Schmuckstück bedeutet eine Person, die sie stets in ihrem Herzen trägt und dadurch erwirbt sie Kräfte, die ihre Fähigkeiten verstärken. Zugleich versiegelt es ihre unbändige Zerstörungsmagie, die sie von ihrer Mutter geerbt hat. Die Wirkung ist nur von kurzer Dauer, aber kann die Schäden zumindest auf einen kleineren Radius minimieren.

Raxa gibt sich geschlagen und nimmt eine kleine Tasche voller Proviant mit, bevor er seine Schwerter und Dolche feinsäuberlich an seine Halterungen anbringt.

"Und du willst dir nichts... unauffälligeres anziehen?" Sie zieht verwundert eine Augenbraue hoch. Raxa sieht mienenlos an sich herab. Er fühlt sich in seine Rüstungen eben am Wohlsten. Zumal er eine matte, neutrale Farbe gewählt hat, um normaler zu wirken. Kia sticht allein durch die Haarfarbe und die Spange hervor. Die düsteren Motive verbessern das Bild der jungen Tantro nicht.

"Sagt die Richtige." Im Türrahmen stehend, erblicken sie Maqua. Amüsiert blickt er auf die beiden Wyrians. Ein unterschiedliches Geschwisterpaar, das sich nun gemeinsam hinauswagt. Es kann lediglich in einer Katastrophe enden. Davon ist Maqua überzeugt. Doch gerade das erscheint ihn vielversprechend.

Die Abenteuer der WyriansWo Geschichten leben. Entdecke jetzt