Dank der Rettung des fremden Mädchens hatte er bei Hauptmann Hax und auch bei Raxa Ehrenpunkte gesammelt, durch die er von beiden stets auf den Straßen von Mori gegrüßt wurde. Doch die eigentliche Person, die er gerettet hatte, nahm Reißaus, sobald sich ihre Blicke trafen. Sein Brustkorb verengte sich. Er wusste nicht, was er falsch gemacht hatte. Womöglich hielt sie ihn für einen Dieb, da er die Spange bei sich getragen hatte. Kess wusste, dass er ein aufklärendes Gespräch mit ihr führen wollte. Nicht nur, weil er Tag und Nacht an ihr merkwürdiges Verhalten dachte und an die Magie, die die Spange ausgelöst hatte, sondern auch um seine eigenen Emotionen besser verstehen zu können.
Darum setzte er sich wieder in sein Muschelversteck und wartete, in der Hoffnung, dass sie sich zeigen würde. Doch je später es wurde, desto höher stand der abnehmende Mond und die Hoffnung schwand, dass er sie hier antreffen würde. Womöglich hatte ihr Vater ihr ein Ausgangsverbot erteilt und warf nun ein Auge auf sie, damit sie nichts Gefährliches unternehmen konnte. Doch hatte er nicht damit gerechnet, dass sie sich daran hielt.
Niedergeschlagen begab er sich auf den Rückweg und stockte, als er ein Mädchen an einem anderen Teil des Strandes erblickte. In einem eisblauen, leicht transparenten Tanzkleid gehüllt, tanzte sie mit ihren langen Ärmeln und mehreren farbigen Chiffonschals, ohne dass sie ihre Umgebung wahrnahm.
"Ich wusste gar nicht, dass Kia tanzen kann", unterbricht Okala den Geschichtenerzähler überrascht. Seine Mundwinkel zucken freudig hoch.
"Wenn sie anfangt zu tanzen, sieht es aus, als wenn sie in ihrer eigenen Welt abtaucht. Wie eine Göttin, die ihr Ritual aufführt, um jemanden herzuführen. Je länger sie getanzt hat, desto mehr leuchtete ihre Kleidung."
"Aber wäre das nicht auch eine wunderbare Gelegenheit um Feinde anzulocken?", fragt Okala skeptisch. Kess nickt und reibt sich seine müden Schläfen.
"Genau aus diesem Grund wurde es ihr im Nachhinein von Hauptmann Hax verboten. Aber die junge Kia war hilflos und einsam und hat sich damit erhofft, dass ihre Mutter sie holen kommt."
Wenn Kess an damals zurückdenkt, knirscht er mit den Zähnen. Sie war damals tieftraurig, weil sie womöglich dachte, dass sie ihre Mutter nie wieder sehen würde. Der kleine Kess war zerrissen, als er den Tanz zum ersten Mal verfolgte. Ihre Tränen glitzerten im Mondschein und erreichten ihn bis in sein schmerzendes Herz.
Sie streckte ihre Arme zum Mond und drehte sich um ihre eigene Achse, bevor sie sich hinkniete und zum Mond betete. Vorsichtig näherte sich Kess, um ihrer zerbrechlichen Stimme zu lauschen. Erneut konnte er eine Sprache wahrnehmen, die ihm fremder und schöner nicht sein konnte. Sie klang runder und mehr wie gerollte, langgezogene Buchstaben als wie kurze, hohe Laute, die die Tantros vorwiegend von sich gaben.
"Wofür betest du?", kam es unbedacht von seinen Lippen. Sie sprang auf, doch verhedderte sie sich in ihr langes Kleid, weshalb sie nicht wegrennen konnte.
"Ich will dir nichts tun", fügte er sanft hinzu und näherte sich ihr, "ich hatte damals auch nur zufällig deine Spange im Sand gefunden und wollte sie dir wiedergeben."
Während er sich erklärte, blieb Kia still, auch wenn ihre Unruhe und die immer größer werdende Panik in den unterschiedlichen Augen zu erkennen war. Kess bot ihr eine Hand an. "Wollen wir Freunde sein?"
Seine liebevollen Worte hatte der Wind zu ihr getragen. Der Wellengang ging ruhig und unterstrich die geheimnisvolle Atmosphäre, die Kia umgab.
"Ich wünschte, wir könnten." Sie blickte gen Boden. Eine vereinzelte Träne fand den Weg über ihre Wangen.
"Und warum können wir nicht?", hakte Kess verwundert nach. Obwohl er dachte, dass sie ihn nicht leiden konnte, da sie ihn mied, stand sie vor ihm, als wenn etwas sie zurückhielt.
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Die Abenteuer der Wyrians
FantasyRaxa Wyrian hat mehr Schlachten erlebt, als viele seiner gleichaltrigen Kameraden und dennoch kann er sich davon nicht losreißen seine Familie und Freunde beschützen zu wollen. Doch sowohl Hauptmann Hax als auch seine Schwester Kia Wyrian wissen, da...