"Endet so eure Geschichte?", fragt Okala enttäuscht.
"Nicht ganz, zwei Vorfälle gab es noch, bevor wir uns ganz voneinander entfernt haben." Angespannt stretcht er seine Finger und verkeilt sie stirnrunzelnd ineinander.
"Beschütze das Kind Granas", horchte er eines Tages mitten in einem unruhigen Traum, ehe er unsanft aus dem Bett fiel. Es war, als wenn ihn jemand oder etwas rausgezogen hätte und ihn rief. Zischend rieb er sich seinen schmerzenden Rücken. Der Aufprall auf die kühlen Mosaikfliesen ließ ihn eine Weile verharren, bis der erste Schock überwunden war. Er setzte sich auf und fluchte leise, als er müde der Geräuschkulisse folgte und aus dem halboffenen Fenster blickte. Der Wind sauste und tobte. Seit sie in ein kleineres Haus umgezogen waren, hatte er ein Schlafzimmer mit Meeresblick. Doch durch den sternenlosen, wolkenbedeckten Nachthimmel konnte er lediglich die unruhigen Wellen akustisch wahrnehmen.
"Beschütze das Kind Granas." Vereinzelte Ahornblätter drangen in sein Fenster hinein und wirbelten um ihn herum. Die Stimme wurde lauter und deutlicher, sodass er sich sicher sein konnte, dass jemand zu ihm sprach.
"Wovon redest du?", wollte er wissen, doch niemand antwortete ihn. Grübelnd raufte er sich sein Haar. Zu Schläfrig war er, um das Rätsel wahrhaftig auf den Grund zu gehen. Am Liebsten würde er wieder in sein warmes Bett kriechen und die Decke über ihn zuschlagen. Die Blätter drehten und formten sich, ehe sie sich zu einem Granas verwandelten.
"Das Kind Granas und ein Granas taucht auf?", fragt Okala empört, "damals war es nicht üblich, dass sie sich mit uns unterhielten oder dass sie gar vor uns erschienen. Sicher, dass du das nicht geträumt hast?"
Kess zieht irritiert eine Augenbraue hoch. Die anderen Male, in der er die heiligen Helfer der Göttin Granaltania erwähnt hat, hat sie ihm sofort Glauben geschenkt. Warum also jetzt daran zweifeln?
"Sicher", brummt er erschöpft, "aber wenn du meinen Worten nicht glaubst, kann ich gern auch aufhören und-"
"Ist gut, ich habe nichts gesagt", unterbricht sie ihn kleinlaut. Auch wenn sie skeptisch ist, so könnte sie es nicht ertragen, wenn sie das Ende der Geschichte nicht kennt. Zufrieden klopft Kess sich grinsend auf die Schulter. Nicht jeder kann von sich behaupten, dass er das unbändige Monstrum namens Okala mit Leichtigkeit gebändigt hat.
Als er endlich wieder zurück zum Thema kommt, reibt er sich müde seine Schläfen. Auch wenn ihm bis heute das Herz schmerzt, wenn er darüber nachdenkt, so ist es ihm wichtig, dass die baldige Frau Raxas über dessen Familie Bescheid weiß.
Als Kind war er zunächst verdutzt gewesen, dass sich ein Granas von selbst in seinem Schlafzimmer zeigte und zu ihm in einer ihm verständlichen Sprache redete. Dennoch verstand er die Bedeutung hinter diesen Worten nicht. Der Granas plusterte seine Wangen auf und scheuchte das Kind aus dem Raum. Um seine Mutter nicht zu wecken, tapste er auf Zehenspitzen und blickte panisch um sich. Der Druck lastete schwer auf ihn.
Er wollte nicht, dass sie aufwachte. Denn wenn sie es tat, würde sie ihn ans Gehen hindern und ihr einen neuen Schock bereiten. Kess wollte seiner Mutter kein Leid zufügen, noch ihr den Gedanken geben, dass er weiterhin Selbstmordgedanken hegte. Es war, als wenn er sie hinterging, wenn er einen Schritt aus dem Haus setzte.
Das Granas schien es eilig zu haben, weshalb es Kess keine Zeit ließ, um seine Entscheidung zu überdenken. Ehe er sich versah, war er bereits mit Jacke und Schuhe bewaffnet, in den kleinen, blühenden Vorgarten getreten. Der Wind preschte sein Haar unsanft ins Gesicht. Er klapperte mit den Zähnen und knöpfte seine Jacke bis obenhin zu. Jetzt war es zu spät, um wieder umzukehren.
"Schnell", japste der sternenförmige Helfer und rauschte an ihm vorbei. Damit Kess ihn nicht aus den Augen verlor, leuchtete er ihm den Weg. Dieser schnürte sich seine Schuhe zu und lief ihm hinterher. Doch er konnte mit der Geschwindigkeit des magischen Wesens nicht mithalten, weshalb er ihn leicht aus den Augen verlor. Nur durch die Beleuchtungen konnte er sich sicher sein, dass er sich nicht verlief. Doch auch diese verschwand plötzlich, als er sich dem tobenden Meer näherte.
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Die Abenteuer der Wyrians
FantasyRaxa Wyrian hat mehr Schlachten erlebt, als viele seiner gleichaltrigen Kameraden und dennoch kann er sich davon nicht losreißen seine Familie und Freunde beschützen zu wollen. Doch sowohl Hauptmann Hax als auch seine Schwester Kia Wyrian wissen, da...