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"Okay... Rucksack, ein bisschen Essen, Wasser, Geld und mein Handy. Brauch ich sonst noch was? Oh, die Klamotten für das Mädchen!" mit stark klopfendem Herz laufe ich an meinen Kleiderschrank und krame aus der letzten Ecke die Jeanshose meiner Mom, ein Tshirt und ein Hoodie von mir heraus. Die zwei paar Turnschuhe packe ich ebenfalls in den Rucksack, denn im Haus müssen wir sehr leise sein, damit uns niemand hört.

Ich hab Angst!
Große unbeschreibliche Angst, die mir direkt unter dem Brustbein schmerzt.

Ich schleiche mich leise an das Jacket meines Vaters, in dem er gestern Abend seinen Schlüsselbund gesteckt hatte.
Bemüht sehr leise, fast schon geräuschlos zu sein, stecke ich die Schlüssel in meine Hosentasche und schleiche mich auf Zehenspitzen zu der Wohnungstüre.
Als ich die erste Hürde überwunden habe, gebe ich etwas Gas, denn jetzt muss ich schnell sein.
Meine nackten Füße treffen Stufe für Stufe auf kalten Steinboden, der mir einen heftigen Schauer nach dem anderen über den Rücken jagd.
Als ich die Türe, die mich direkt in den VIP Bereich des Nachtclubs führt öffne, kann ich keinerlei Geräusche vernehmen.
Ist für sechs Uhr morgens vielleicht auch nich verwunderlich.

Während ich durch den privaten Bereich husche, muss ich immer wieder stehen bleiben und genauer hinhören, ob das Geräusche von irgendwelchen Menschen sind oder ob das mein Herz ist, daß so laut in meinem Brustkorb wütet, sodass das Rauschen des Blutes in meinen Ohren zu hören ist.
Allerdings kann ich mich auch nicht lange an einer Stelle aufhalten, denn ich könnte nur allzu leicht entdeckt werden.
In ungefähr anderthalb Stunden seht mein Vater auf und bis dahin sollten wir schon eine gute Strecke zurückgelegt haben.
Nachdem ich die Treppe runtergelaufen bin und im öffentlichen Bereich angekommen bin, schleiche ich mich weiter, in den Backstagebereich.
Dort gelange ich durch eine Türe, die sich in einer der Umkleiden befindet, in einen verborgenen Teil des Kellers.
Als ich an der rechten Türe angekommen bin, muss ich die kompletten Schlüssel durchprobieren, denn ich weiß nicht, welcher Schlüssel der richtige ist.
Der siebte Schlüssel ist glücklicherweise der passende.
In dem kahlen Betonraum, sitzen in der rechten Ecke fünf Frauen, in deren Mitte mein Zielobjekt kauert.
Mit tut es in der Seele weh, das ich nur eine Person retten kann, aber ich muss schon beten, daß wir zwei es irgendwie schaffen.
Da die Frauen sonst immer Redeverbot haben, weiß ich nicht einmal, ob die mich verstehen, geschweigedenn meine Sprache sprechen.
Voller Angst schauen mich die vielen traurigen Augen an und wissen natürlich nicht, was ich von ihnen will.
Ich lasse mich schnell auf meine Knie fallen und ziehe mir meinen Rucksack von meinen Schultern.
Während ich die Klamotten für das Mädchen herauskrame, versuche ich mit flüsternder Stimme herauszufinden ob die Frauen mich verstehen:
"Hallo. Ich bin Marco, wie ihr ja wisst. Keine Angst ich tue euch nichts. Ich werde das Mädchen in eurer Mitte mitnehmen! Wir werden von hier abhauen!"
Als ich meinen Blick auf die weiblichen Wesen richte, sitzen sie immer noch gleich verschüchtert in ihrer Ecke und sehen nicht danach aus, als ob sie in irgendeiner Weise mit mir reden möchten.
So schnell ich kann, stell ich mich auf meine Füße und renne auf das Mädchen zu.
Ich strecke ihr meine Hand entgegen, die natürlich nicht sofort angenommen wird und überlege verzweifelt, welche Nationalität das Mädchen haben könnte, um sie irgendwie ansprechen zu können.

Du hast keine Zeit!!

"Okay. Ich und du, nach draußen. Weggehen. Freiheit! Das anziehen!" ich schmeiße ihr die Klamotten auf den Schoß und lege meine Hände zusammen, damit sie aussehen als wenn ich beten würde:
"Bitte! Schnell!"
Die Frauen regen sich kein Stück und in mir schleicht sich langsam das Gefühl ein, dass das eine ganz blöde Idee war.
Ich laufe nervös zu der Türe zurück um einen Blick in den Gang zu werfen.

Bisher ist alles still.

Da ich keine Ahnung habe, wie ich mich mitteilen kann, fasse ich den Entschluss, einfach selbst Hand anzulegen.
Ich stürme auf das Mädchen zu und packe ihre Arme, um sie aus dem Kreis der Frauen heraus zu ziehen.
"Entschuldigung, aber wir müssen uns beeilen. Du musst das anziehen, damit wir gehen können!"
Meine Hände machen sich an dem Sackähnlichen Gewand zu schaffen, worauf das Mädchen stocksteif wird und die Panik sich in ihren Augen widerspiegelt.
Als sie komplett nackt vor mir steht, tut es mir in der Seele weh, sie so behandeln zu müssen, doch mir bleibt leider keine andere Wahl.
Mit flinken Bewegungen ziehe ich ihr zuerst das Tshirt über den Kopf und Kämpfe wie ein irrer, damit ich ihre Arme durch die dafür vorgesehene Öffnungen schieben kann.
Danach muss ich mir erst meinen Angstschweiß von der Stirn wischen, denn es kostet uns mittlerweile viel zu viel Zeit und wir sollten schon längst das Haus verlassen haben.
Als ich den Hoodie über ihren Kopf ziehe, hilft sie endlich etwas mit und schlüpft selbst mit ihren Armen durch die Ärmel hindurch.
Ein kleiner Hauch Erleichterung durchfährt mich, was leider nicht lange anhält, denn sie muss auch noch die Hose anziehen.
Die Jeanshose halte ich ihr direkt vor die Füße, damit sie einfach nur hineinschlüpfen muss.
Die restlichen Frauen scheinen langsam zu verstehen und nicken ihr aufmunternden zu, als sie ihren hilfesuchenden Blick auf die Truppe wirft.
Ich hoffe Sie hat Nachsicht mit mir, das ich sie ganz ohne Unterwäsche in die Klamotten stecke, aber bei soviel Aufregung habe ich nicht auch noch daran gedacht.
Nachdem die kompletten Klamotten angezogen sind, signalisiere ich ihr mit meinen Zeigefinger an meinen Lippen, das sie leise sein muss.
Durch ein Nicken bestätigt sie mir, das sie verstanden hat.
Meine Hand schnappt nach ihrer, worauf ich sie nicht gerade zimperlich hinter mir herziehe.
Wir rennen fast lautlos die Treppen hinauf und versichern uns an der obersten Stufe, ob die Luft rein ist.

Da ich keine Geräusche vernehmen kann, renne ich mit dem Mädchen quer durch die Bar und komme mit ihr vor der Haupteingangstüre des Club zum stehen.
Dort stecke ich wieder ein Schlüssel nach dem anderen in das Schloß und muss mir mein Jubelschrei gewaltig unterdrücken, als ich den richtigen gefunden habe.
Bevor wir den Club verlassen, werfe ich den Schlüsselbund einfach hinter mich und trete mit dem Mädchen an meiner Hand, hinaus in die Freiheit.

Ich könnte direkt vor mir auf den Boden kotzen da ich solche Angst habe, denn jetzt fängt die Hetzjagd erst richtig an und ich weiß nicht wie sie enden wird.

Wir rennen wie die verrückten durch die Straßen und stoppen für rein gar nichts.
Nicht für die entgegenkommenden Passanten und nicht für die vielbefahrenen Straßenkreuzungen.
Wir rennen so lange, bis meine Lungen brennen und ich das Gefühl habe, das mich keinerlei Luft mehr erreicht.
Allerdings können wir keine langen Pausen einlegen, denn wir müssen zuerst aus Köln rauskommen.
Da ich meinem Vater mehrere hundert Euro gestohlen habe, möchte ich in der nächsten Stadt auf den Bahnhof, um mit dem Zug soweit wie möglich zu kommen.
Als Ziel habe ich mir Italien gesetzt, da dass mein Lieblingsland ist und ich das Meer und den Strand liebe.
Und es ist vorerst weit genug weg von Köln.

Hier in Köln wird Maxim zuerst jeden Bahnhof absuchen lassen, da dies für eine Flucht am naheliegensten ist.

Während unserer Verschnaufpause rufe ich ein letztes Mal bei meiner Mutter an:

Mama: "Marco?"
Ich: "Hi Mama!"
Mama: "Marco ist alles in Ordnung?"
Ich: "Hör mir zu, ich muss dir unbedingt etwas sagen: Es tut mir verdammt leid, das ich dich die letzten Jahre zu Unrecht verurteilt habe. Ich habe es gesehen. Ich habe gesehen was Papa wirklich macht und ich kann das nicht. Unter keinen Umständen. Ich hoffe du kannst mir mein Verhalten irgendwann verzeihen und wenn nicht, dann hast du alles recht dazu!"
Mama: "Wo bist du Junge? Hat er dir was getan?"
Ich: "Das sage ich dir nicht. Je weniger du weißt, desto besser. Ich habe ein Mädchen bei mir, das in einem Keller bei anderen Frauen gefangen gehalten wurde. Er will die Frauen verkaufen. VERKAUFEN! Ich musste das Mädchen retten. Mich selbst auch. Mein Handy werde ich bei nächster Gelegenheit wegwerfen, damit Papa nichts nachverfolgen kann. Keine Ahnung ob ich mich jemals wieder melden werde und ob wir es schaffen ihm zu entkommen..
Mama: "Oh Gott Marco, sag mir wo du bist!Robin, Stephan, Marc und alle anderen werden uns helfen! Bitte..."
Ich: "NEIN! Ich will nicht, das noch mehr Menschen leiden müssen. Ich wollte dir einfach nur bescheid sagen und sichergehen, das du weißt das es mir leid tut. Ich hab dich lieb!"

Auch wenn es mir momentan das Herz bricht, unterbreche ich den Anruf.
Meine Tränen, die teilweise der Erleichterung zugrunde liegen, das ich mich noch bei meiner Mutter entschuldigen konnte und die teilweise meiner ungewissen Zukunft gelten, wische ich mit meinen Ärmeln aus meinem Gesicht.
Noch bevor wir Köln verlassen, ziehe ich meine Begleitung in einen Friseursalon, damit wir unterwegs ein bisschen weniger auffallen.

Als wir nach Dreißig Minuten den Laden wieder verlassen, gibt es auf meinem Kopf nur noch ein paar Haarstoppel, während bei meiner Begleitung die Schulterlangen Haaren, einem Pixiecut weichen mussten.
So nannte es zumindest der nette Kerl, der uns die Haare geschnitten hat.
Nach unserem Umstyling fühle ich mich etwas wohler, da wir somit nicht auf den ersten Blick zu erkennen sind.

Ich lenke unsere weiteren Schritte Richtung Bonn.
Wenn wir unser Tempo beibehalten können, müssten wir in den nächsten sechs Stunden dort ankommen.

Unterwegs schreibe ich noch schnell die Handynummern meiner Mutter und Robin auf einen Zettel und versenke danach mein Handy direkt im Rhein.
Man weiß ja nie, ob die Nummern doch noch benötigt werden.
Ich versuche die direkten Wege, die an der Straße entlang führen, zu vermeiden, da dort bestimmt als erstes gesucht wird.

Nach einem strammen Fußmarsch ist das Mädchen schon total erledigt.
Wer weiß, wann sie das letzte mal richtig geschlafen hat.
"Bist du müde?" ich bleibe direkt vor ihrem Gesicht stehen und schaue sie fragend an.
Obwohl sie mittlerweile akzeptiert, das ich nonstopp ihre Hand halte und sie quasi hinter mir her zerre, steigt immer noch Panik in ihren Augen auf, wenn ich mich vor sie stelle und direkt anspreche.
Wie soll das nur ohne Verständigung gut gehen?
Ich schaue mich verzweifelt um und sehe, etwas weiter entfernt einen Wald, auf den ich dann auch sofort zusteuere.
Es dauert nochmals bestimmt zwanzig Minuten, bis wir zwischen den Baumstämmen etwas Schutz finden.

Zuki - Das ZUhälter-KIndWo Geschichten leben. Entdecke jetzt