Kapitel 2-3

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Johanna zog das Laken vom Bett ihres Herrn, wechselte die Kissenüberzüge und ließ alles in den Weidenkorb am Boden fallen. Hiernach sammelte sie die überall verstreute Wäsche ein.
Bocken musste sich tänzelnd ins Bett bewegen. Denn während die meisten Edelleute alles an einer Stelle fallen ließen, so mühte Bocken sich darum, sie das ganze Zimmer auf der Suche nach seinen Habseligkeiten queren zu lassen. Seit sie aufs Land gezogen waren, hatte der Baron ein geradezu absonderliches Bedürfnis nach Sauberkeit. Seine Laken mussten alle zwei Tage gewaschen werden, die Vorhänge alle drei – seine Kleidung erwartete er stets frisch vorzufinden. Er zog kein Hemd zweimal an, das war offensichtlich unter seiner Würde. Dabei bestand sein Alltag aus kaum mehr, als dem Gang von Bett zu Tisch und in den Salon, wo er Besucher zu empfangen pflegte. Vielleicht einmal im Monat ritt er aus, um in seiner Baronie nach dem Rechten zu sehen. Ansonsten verlegte er sich darauf, seinen Wamst zu dehnen, um seine Angestellten auch noch damit zu quälen, seine Kleidung ständig zu erweitern.
Sie ging die, mit feinstem Brokatteppich belegten, Stufen hinab, stets Halt suchend an dem verschnörkelten Geländer, dessen Pracht seinen Nutzen stark einschränkte, bis sie im Waschraum angekommen war. Da ihre tagtäglichen Pflichten ihr keine Zeit für eine ausgedehnte Waschwoche ließen, hatte sie ihren eigenen Rhythmus entwickelt.
Sie entnahm die Wäsche des gestrigen Tags dem Laugenwasser im Kessel und spülte sie im Waschzuber, während das Wasser im Kessel über dem Kamin aufheizte. Es dauerte Stunden, die schwere Wäsche von den Seifenresten zu befreien. Noch ehe sie damit fertig war, warf sie schon die gerade abgeholten Kleidungsstücke in den Kessel und rührte mit einem Holzstab darin. Gegen Mittag hingen die gewaschenen Sachen am Trocknungsgestell, die vom gestrigen Tag getrocknete Wäsche war gebügelt und sie transportierte alles sauber gefaltet in die Gemächer des Herrn.
Sie kam gerade rechtzeitig, um der Köchin in der Küche auszuhelfen, Anna die Einkaufsliste zu erstellen und sich nebenher selbst eine Scheibe Brot im Stehen einzuverleiben. Bocken pflegte es, seinen Bediensteten Fehler vom Lohn abzuziehen. Eine Methode, die schon einige dieser zum Gehen getrieben hatte. Doch Flüchtigen schrieb Bocken ein derartig schlechtes Zeugnis, dass ihre Aussichten auf eine neue Stellung gering waren.
Auch Johanna hatte mehrmals versucht, dem Haushalt zu entkommen. Doch während Bocken anderen den Weggang erschwerte, machte er ihn ihr schier unmöglich. In den ersten Tagen, da sie noch in seinem Haus in Königsfels lebten, war sie geflohen. Er hatte vom Recht als ihr Dienstherr Gebrauch gemacht und sie von der Stadtwache zurückbringen lassen. Doch dabei hatte er es nicht belassen. Vor Gericht hatte er sie dafür abgestraft und monatelang ihren Lohn einbehalten. Sie hatte also den rechtskonformen Weg gewählt und gekündigt. Nach Ablauf der Frist wusste er allerdings urplötzlich nichts mehr davon und nachdem ihr Wort gegen seines stünde, wagte sie es nicht, erneut zu gehen. Es hatte sie Monate gekostet, das nötige Geld zusammenzusparen, um ihre schriftliche Kündigung bei einem Advokaten beglaubigen zu lassen. Doch auch hierfür hatte Bocken eine passable Lösung gefunden. Wenige Tage nachdem der Brief in seinem Haushalt eintraf, erschien Sir Jeverbruch – Johannas Vater – im Hause Bocken. Mit seinen üblichen, rabiaten Erziehungsmethoden vermittelte er ihr, dass sie zeitlebens bei ihm arbeiten würde. Sie hatte daraufhin notgedrungen ihre Kündigung zurückgezogen.
Eine weitere Möglichkeit blieb aus, nachdem Bocken Land in der Grafschaft Arling erhalten hatte. Sie hatte es mit Briefen an den Grafen versucht, der ihr seinerseits Unterstützung zugesagt hatte, doch eine Antwort blieb aus. Ihre Ausgehzeit jeden zweiten Sonntag beschnitt Bocken rabiat, indem er ihr so viel Arbeit aufhalste, dass sie keine Stunde fernbleiben konnte, ohne in uneinholbaren Rückstand zu verfallen.
Sie war eine Gefangene und konnte höchstens darauf hoffen, dass irgendjemand sich ihrer erbarmte und mit einer gewaltigen Geldsumme Bocken überzeugte, dass er sie freigab.
Am Abend kletterte sie erschöpft auf den Dachboden zum restlichen Gesinde. Während der Herr auf einem mit feinen Leinen bespannten Federbett zu nächtigen pflegte, durften seine Untertanen mit dem Heu bestreuten Boden vorliebnehmen. Nicht unbedingt eine Schlafgelegenheit, um den vom Tagwerk schmerzenden Rücken zu besänftigen. Oben angekommen empfing sie der Mief selten gewaschener Frauenkörper und zu Schimmel neigendem Stroh. Im Schein einer einzelnen Kerze war die Köchin gerade beschäftigt, das Gebälk von Spinnweben und deren Bewohner zu säubern.
Es war kein angenehmes Gefühl, wenn sie einem noch vor dem Einschlafen übers Gesicht stoben oder man ihre fast unhörbaren Schritte direkt neben dem Ohr vernahm. Bocken gestand ihnen eigentlich kein Licht zu, aber sie legten wöchentlich zusammen, damit Anna vom Kerzenzieher eine kleine Portion Würde mitnahm. Im Schein des abendlichen Feuers führten die, die noch aufrecht sitzen konnten, Frauengespräche. Das Meiste waren Träumereien von einer Zukunft, da sie einen eigenen Haushalt hätten. Viele sparten sich eine kleine Summe vom Mund weg, um irgendwann das Nötige zusammenzuhaben, um eine Ehe zu finanzieren. Andere träumten davon, in einer Manufaktur unterzukommen. Diese gewaltigen Gebäude waren am Lande zwar noch nicht üblich, aber in der Stadt waren sie eine wachsende Möglichkeit, auch für eine Frau einer Arbeit außerhalb der Dienerschaft nachzugehen.
Doch der Sommer rückte heran und die Frauen tendierten eher dazu, Abstand voneinander zu halten, statt näher zusammenzurücken. Frühling und Herbst waren erträglich am Dachboden. Es war weder zu kalt, noch zu warm. Doch im Winter mussten sie sich aneinander kuscheln, um unter den dünnen Wolldeckchen nicht zu erfrieren, während im Sommer die Mutigeren sogar die Unterkleider ablegten, um nicht dem Hitzetod anheimzufallen.
Johanna glättete das Stroh unter ihrer Schlafstelle. Anna reichte ihr einen Bogen Papier, den sie ehrfürchtig entgegennahm.
„Ich verstehe nicht, was du ständig mit dem teuren Zeug anfängst."
„Ich schreibe einem lieben Freund", antwortete Johanna.
„Der dir nie zurückschreibt?"
„Er wird mir irgendwann schreiben."
Anna legte sich neben sie ins Stroh und verschränkte die Arme hinter dem Kopf. „Du bist eine Träumerin."
„Wer glaubt denn, dass sie eines Tages die Hausdame ablösen wird?"
Ihre Freundin drehte sich zu ihr um, rückte näher an Johanna heran und flüstere: „Sag das doch nicht so laut!"
„Wieso? Es wissen ohnehin alle. Ich wette, selbst Frau Irmahnen weiß schon, dass du an ihrem Stuhlbein sägst."
„Ich schreibe bereits selbst die Einkaufslisten, weil sie nicht mehr gut sieht. Abgesehen davon, dass sie dem Herrn den Tee reicht und ihm als Gesellschafterin dient, hat sie ausgedient."
„Ich würde dich vermissen, wenn du ihr Bett bekämst."
„Vielleicht biete ich dir einen Platz neben mit an", sagte Anna mit einem Zwinkern.
„Und wo soll dann Frau Irmahnen nächtigen?"
„Im Bett unseres Herrn ist mehr als genug Platz. Sie klebt ihm tagsüber schon ständig an der Backe, warum nicht auch in der Nacht?"
Johanna kicherte verhalten. In Annas Gegenwart blühte sie auf. Sie war derartig unverfroren, dass es ihr schwerfiel, noch irgendeine Form höflicher Etikette beizubehalten. Ihre Manieren waren ohnehin kaum vonnöten. Wider Erwarten hatte Bocken nie den Versuch unternommen, sich ihr zu nähern. Er hielt sie von jeglicher Öffentlichkeit fern, wie einen Vogel, den man in einen Käfig sperrte. Außer dem Gesinde hatte sie zu niemandem Kontakt und auch ihre Eltern pflegten lange nicht mehr, sie zu besuchen.
„Willst du nicht lieber zusehen, dass du irgendwann hier rauskommst?", fragte Johanna.
„Hätte ich ein hübsches Gesicht wie du, würde ich mir draußen einen Mann anlächeln. Aber der Baron weiß schon, warum er gerade mich zum Einkaufen schickt."
Johanna wischte ihr eine Strähne des krausen Haars aus dem Gesicht. „Du unterschätzt dich."
Anna verdrehte die Augen. „Warum nutzt du nicht deinen Ausgehtag, um dir einen Kerl aus dem Dorf zu fangen? Du tätest dir nicht schwer damit."
„Ich hoffe auf einen anderen."
„Deinen Brieffreund?"
Johanna sog die Oberlippe ein. „Vielleicht."
„Was schreibst du ihm?"
„Dass ich ihn liebe."
„Wie romantisch", sagte Anna wenig überzeugt.
„Romantischer als deine Versuche, diesen Bocken für dich zu gewinnen!"
Anna drehte sich auf den Rücken und lachte glockenhell. „Bocken ist hässlich, aber wohlhabend."
„Würdet ihr Klatschbasen endlich still sein?", herrschte sie jemand von der anderen Seite an.
„Die nächste Kerze geht auf euch beiden!", mischte sich eine zweite spaßhaft ein.
Johanna und Anna sahen sich verstohlen an, ehe Johanna die Kerze zu sich nahm. „Ich übernehme die nächste", flüsterte sie, worauf Anna ihr einen Kuss auf die Wange drückte.
„Schlaf gut, du Romantikerin. Und grüß deinen Liebsten von mir."
Johanna kramte ihren Kohlestift hervor. Für Tinte und Feder hatte sie kein Geld. Außerdem würde ihr die Tinte hier oben immer wieder gefrieren oder austrocknen. Auch wenn sie nie Antwort erhielt, war es zur Gewohnheit geworden, Adam regelmäßig zu schreiben. Er würde seine Gründe haben, dass er nicht zurückschrieb. Sie hoffte, es lag nicht daran, dass sie seine Adresse nicht kannte.
Er war aus edlem Hause. Die Boten würden wissen, wo sie ihn zu finden hatten. In der Anfangszeit waren ihre Briefe voller verheißungsvoller Liebesbekundungen. Sie würde entfliehen und bald zu ihm kommen. Dann helfe sie ihm beim Aufbau seiner Manufaktur. Sie verstand sich aufs Spinnen und Weben, was Bocken nur allzu gerne ausnutzte. Für Johanna war es eine ständige Übung, die sie einmal gewinnbringend einzusetzen wüsste. Mittlerweile war sie dazu übergegangen, ihm von ihrem Tagwerk zu erzählen. Es erschien ihr manches Mal dröge, immer wieder dasselbe zu schreiben. Doch sie schmückte es mit Gefühlen aus, die sie regelmäßig befielen. Mal war sie niedergeschlagen und hoffnungslos, dann erfüllt von Selbstsicherheit. Es waren sieben Jahre ins Land gezogen, seit ihrem Treffen.
Wie lange dauerte es wohl, bis er den nötigen Reichtum innehatte? War er möglicherweise schon in Verhandlungen mit Bocken? Sicher würde der Baron seine Situation ausnutzen, um einen möglichst unverschämten Preis für Johanna herauszuhandeln. Bei dem Gedanken fühlte sie sich schlecht. Adam könnte jede andere Frau haben. Hin und wieder fragte sie sich, ob er genau das bereits getan hatte. Kam keine Antwort, weil er sie längst vergessen hatte? Sieben Jahre waren eine lange Zeit. Eine Träne verunreinigte das teure Papier und sie wischte sie rasch mit ihrem Ärmel weg. Sie hatte ihn nie vergessen, doch ihre Situation war eine andere. Als erfolgreicher Geschäftsmann böten sich Adam viele Aussichten. Sie würde den Brief morgen beenden, wenn sie wieder zuversichtlicher war. Die Momente wurden seltener. Die Zweifel wuchsen von Tag zu Tag. Doch was würde sie tun; was wäre ihre Alternative, verlöre sie den Glauben an seine beständige Liebe?


Tanz der GefühleWo Geschichten leben. Entdecke jetzt