Kapitel 7-3

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Die Grafenfamilie war weitergereist und mit ihr war die beruhigende Wirkung gegangen, die Florentine und ihre Kinder auf Minas Gemüt hatten. Gegenüber Florentine hatte sie sich öffnen und über all ihre Bedenken sprechen können. Bei ihrer Mutter war so etwas undenkbar. Abgesehen davon, dass sie nie besonderes Interesse an ihr gezeigt hatte, so hatte Mina auch nicht das Gefühl, dass Madame Minnesang eine Ahnung von der Liebe hatte.
Florentine hatte ihr Stehpan weder ein- noch ausgeredet. Einzig ihr empfohlen, auf ihr Herz zu hören. Doch ihr Verstand – oder ihre Erziehung – versprachen ihr, ein armseliges Leben zu führen, wenn sie nur ihrem Gefühl folgte. Nach wie vor stand Stephan für eine vorteilhafte Verbindung ihrer Familien, die ihr ein gutes Auskommen absichern würde. Ihr Herz würde sie wahrscheinlich in die Arme eines ehrlichen, hart arbeitenden Manns treiben, der ihr aber nichts bieten könnte. Doch wie konnte sie abwägen, womit sie glücklicher wäre? Die Ehe war eine einmalige, beinahe unwiderrufliche Sache. Welche Entscheidung sie auch traf, sie würde endgültig sein und ihr keine Möglichkeit lassen, eine andere zu erproben und sie gegeneinander abzuwägen.
Sie schrieb ihre Gedanken auf. Der Einzige, dem sie diese sonst noch anvertrauen könnte, war Martin. Sicher wäre er nicht erpicht darüber, sich ihrem trübsinnigen Kram zu widmen. Aber er war ihr Freund und hatte ihr schon durch so manche Situation geholfen. Irgendwann hoffte sie, er würde ihre Hilfe benötigen, um die Waagschalen auszugleichen. Doch Martin haderte nie wirklich mit seinem Schicksal, auch wenn es weit schwerer wog als ihres.
„Junges Fräulein?" Mina sah hinter sich. Maria stand im Türrahmen. Sie hatte ihr Klopfen gar nicht gehört. „Die Madame wünscht Eure Anwesenheit unten."
„Ich bin beschäftigt."
„Schreibt Ihr wieder Herrn Raubmann?" Maria war eine ehemalige Bedienstete der Raubmanns und war mit Martin in ihr Haus gekommen. Sie fühlte sich ihm noch immer verpflichtet, wenngleich er nicht mehr ihr Herr war. Manchmal war Mina eifersüchtig darauf, wie gut sie sich verstanden. Aber sie vergönnte ihr diesen Freund, nachdem Maria sonst nur schwer Anschluss beim Gesinde fand.
„Ja, ich klage ihm mein Leid."
„Er ist ein guter Freund, nicht wahr?"
Mina nickte. „Der Beste."
„Würdet Ihr ihm Grüße ausrichten?"
Sie schenkte der Zofe ein Lächeln. „Das mache ich gerne."
Maria neigte das Haupt. „Ich verschaffe Euch ein wenig Zeit, aber Eure Mutter wird die Verzögerung nicht lange hinnehmen." Sie verließ ihr Zimmer und Mina beeilte sich, den Brief zu beenden. Schon kurz darauf bewahrheitete sich Marias Prophezeiung.
„Mina! Komm herunter, wir haben Besuch!", rief ihre Mutter, worauf sie sich unwillig von ihrem Schriftstück erhob und nach unten trottete.
Die Lanzbruchs waren zurückgekehrt und wurden wie lange vermisste Familienmitglieder begrüßt. Stephan beglückte sie mit einem Handkuss und sie beherrschte sich, sich die Hand nicht gleich darauf am Rock abzuwischen. Sie pflegten höfliche Gespräche im Salon, sprachen über die Besuche in den Baronien. Die anderen Landherren sahen in den Plänen Baron Lanzbruchs ebenfalls eine gute Einnahmequelle. Eine gemeinsam geführte Straße würde den Transport sämtlicher Rohstoffe beschleunigen und womöglich auch Händler auf den Weg locken. Schließlich erbat Stephan um ein Privatgespräch mit Mina.
Mina redete sich erst darauf aus, dass es sich nicht geziemte, einen Mann und eine unverheiratete Frau allein zu lassen. Der Versuch fruchtete kaum. Weder legten sie hier am Land eine derart strenge Etikette, noch hatte Mina je darauf geachtet. Außerdem wäre nichts dabei, wo sie ohnehin bald heiraten würden. Schließlich ging sie verdrießlich mit ihm auf ihr Zimmer und plante, ihn zu entmannen, wenn er sich ihr aufzwänge.
Oben angekommen, eilte sie zu dem einzigen Sessel im Zimmer, sodass er sich nicht zu ihr setzen konnte. Er schloss die Tür hinter sich und hielt ihr die offenen Hände entgegen. „Ich habe dich vermisst, Mina."
Sie schürzte die Lippen. Wie sollte sie darauf reagieren? Auf jeden Fall hatte sie nicht vor, sich ihm sofort wieder hinzugeben. Doch verprellen konnte sie ihn auch nicht. Zu viel stand auf dem Spiel. Sie würde vorgeben, über seine lange Abwesenheit verärgert zu sein. „Du warst lange fort."
Er warf die Hände in die Höhe. „Was sollte ich tun? Die Wege waren weit und die Verhandlungen meines Vaters müßig."
„Du hättest hierbleiben können."
Er setzte sich aufs Bett und legte seine Hand auf ihre. „Mein Herz riet mir dazu."
Aber sein Schwanz wohl nicht, doch sie verkniff sich die Worte. „Wofür brauchte dein Vater dich?"
„Als sein Erbe sollte ich an den Verhandlungen teilhaben."
„Sicher hast du auch die Kinder der anderen Barone kennengelernt?"
Er sah zur Seite, ehe er zögerlich nickte. „Das verlangt die Höflichkeit."
„Hast du ihnen den Hof gemacht wie mir?"
Er richtete sich auf. „Wie kannst du so etwas denken!" Seine Wangen wurden röter, als es der milde Zorn in seiner Stimme verursachen konnte.
„Ich war zu Gast bei den Hemmwehrs."
Er biss sich auf die Unterlippe. „Ich hörte davon. Ein Jammer, dass ich dich verpasste."
„Hättest du nicht bei Cäcilia gelegen, dann wäre das nicht geschehen!" Sie stand ebenfalls auf und entfernte sich von ihm, sah aus dem Fenster, um ihm nicht mehr in die Augen sehen zu müssen.
Er räusperte sich und machte verlegene Schritte durch das Zimmer. „Ein Ausrutscher."
„Ich frage mich, wie oft du in sie ausgerutscht bist. Oder ob du gar in jedes Barons Tochter hineingefallen bist", antwortete sie und sah ihm wütend entgegen.
Seine Antwort kam schnell und unerwartet. Er schlug ihr mit der flachen Hand auf die Wange. Der Schmerz wogte durch ihren ganzen Kopf, gepaart mit der Fassungslosigkeit brachte sie keine Reaktion zustande.
„Es steht dir nicht zu, über mich zu urteilen. Bald werden wir heiraten und dann wirst du meinem Wort gehorchen! Gewöhn dich besser gleich daran, sonst wirst du diese Hand öfter zu spüren bekommen, als es dir lieb sein kann." Nach seinen Worten verflog der Zorn in seinem Gesicht und er lächelte mit boshaft erhobenen Lippen. „Mach dich zurecht. Ich erwarte dich beim Abendessen."
Aber Mina hatte nicht vor, ihr Zimmer zu verlassen. Zunächst war sie starr vor Entsetzen, dann fing sie an zu schreiben. Zeile um Zeile verfasste sie ihren Brief an ihren Freund, den sie im Moment dringlicher brauchte denn je. Doch in welcher Form könnte Martin ihr hier helfen? Möglicherweise wäre er sogar so verrückt, ihre Freundschaft über seine Dienstpflicht zu stellen und ihr gegen Stephan beizustehen. Ein vermessener Gedanke, denn ihr Vater würde ihn wahrscheinlich aus dem Haus jagen, wenn er sich ihm widersetzte. Aber zumindest hätte sie eine Schulter, an der sie sich anlehnen könnte. Denn im Moment fühlte sich ihr Körper zu schwer an, um ihn aus eigener Kraft zu tragen.
Als die Sonne sich zum Horizont absenkte, kam ihre Zofe in ihr Zimmer, um ihr beim Ankleiden zu helfen. Aber Mina warf sie wieder hinaus, verkündete, sie haben keinen Hunger. Doch wenn sie gehofft hatte, ihre Eltern würden ihr das durchgehen lassen, dann hatte sie sich geschnitten. Sie hatten Gäste und sie erwarteten, dass ihre Tochter nicht ihr alltägliches Verhalten an den Tag legte. Viel eher sollte sie die perfekte, wohlerzogene Braut mimen, die sich Baron Lanzbruch als Schwiegertochter wünschte.
Ihre Mutter kam mit strengem Blick herein. „Was tust du noch immer hier? Ich habe Maria zu dir geschickt, damit du dich anständig für das Abendessen kleidest. Aber du trägst weiterhin dieses freizügige Kleidchen."
„Ich werde nicht mit euch speisen."
Madame Minnesang blinzelte erst überrascht, dann verdunkelte sich ihr Antlitz vor Zorn. „Jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt für solche Spielchen!"
„Natürlich nicht, ich soll ja meinem Zukünftigen gefallen."
„Sag das nicht so despektierlich! Stephan ist aus gutem Haus und wird dich ansprechend zu versorgen wissen. Eine bessere Partie wird dir nicht zuteilwerden."
„Er hat mich geschlagen!" Mina deutete anklagend auf ihre Wange, wenngleich sie nicht wusste, ob sie noch immer gerötet war.
„Ein junger Mann weiß manchmal nicht, seine heftigen Gefühle zu dämpfen. Denkst du, dein Vater hätte mich nie gezüchtigt?"
„Martin hat das nie getan!" Die Worte waren heraus, noch ehe sie darüber nachdenken konnte.
Ihre Mutter legte die Hände auf die Lehnen ihres Sessels und beugte sich zu ihr vor. Mina spürte ihren Atem, der wie Unheil verkündender Dampf über sie hinwegfegte. „Martin ist ein Diener! Von adliger Abstammung vielleicht, aber ein Diener. Wie könnte er es wagen, Hand an seine Herrin zu legen?"
Mina senkte den Kopf. Sie schämte sich, keine Erwiderung zu finden. Schließlich brach sie das Schweigen. „Er verkehrt mit anderen Frauen. Ich habe ihn bei den Hemmwehrs erwischt!"
„Junges Fräulein", antwortete ihre Mutter zischend, „du wirst dich daran gewöhnen müssen, dass Männer ihren Samen zu verteilen pflegen. Sie sind nicht wie wir Frauen. Doch es wird weniger werden. Wenn du ihm gute Dienste im Bett leistest, sich um seine Bedürfnisse kümmerst, dann wird er keinen Grund mehr sehen, sich anderwärtig umzusehen."
„Das kann nicht dein Ernst sein!"
Sie packte sie an den Haaren und Mina traten die Tränen in die Augen. „Das ist mein Ernst! Du wirst dieser Familie keine Schande bereiten. Dein Vater hat in diese Ehe bereits eingewilligt und wir können es uns nicht leisten, aus diesem Bündnis ausgeschlossen zu werden, nur weil du närrischen Eifersüchteleien nachgehst." Sie entließ ihre Tochter des Griffs und wendete sich ab. „Ich kündige dich in zehn Minuten zum Abendessen an. Wage es nicht, uns warten zu lassen oder dein Vater wird diese Predigt wiederholen."
Damit verließ sie das Zimmer und Mina starrte auf die verschlossene Tür. So also sah ihr zukünftiges Leben aus. Und sie hatte nicht einmal die Wahl.


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