Kapitel 14-5

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Lieber Martin,

ich hatte viel Zeit zum Nachdenken. Zunächst möchte ich mich entschuldigen. Ich hätte nicht einfach zusehen sollen, wie mein Vater dich des Hofs verweist. Wir sind seit so langer Zeit befreundet und stets hast du mir zur Seite gestanden. Nun hast du einmal mich gebraucht und ich ließ dich stehen.
Es fiel mir schwer, dein Liebesgeständnis zu akzeptieren. Du hast mich überrumpelt und ich hatte nur an mich gedacht. Die Ehe bedeutet für eine Frau, sich für ihren Mann und die Kinder aufzuopfern. Gerade mit genug Geld kann sie aus diesem Gefängnis entfliehen, indem sie ihre häuslichen Aufgaben an das Gesinde weitergibt. Du weißt, wie sehr ich mich nach dem Reisen sehne. Eine Ehe mit dir würde bedeuten, all das aufzugeben.
Doch was bedeutet das Reisen, ohne meinen lieben Freund an meiner Seite? Was bringen mir Kinder, ohne einen liebenden Vater? Was ein Mann, den ich nur des Geldes wegen liebe?
Ich habe nie mehr in dir gesehen als einen Freund. Vielleicht, weil mir die Vorstellungskraft fehlte, ich könnte dich heiraten. Aber ich kann. Ich möchte nicht ohne dich sein und ehe du als ein entfernter Bekannter endest, will ich dich auf ewig an meiner Seite wissen.
Ich weiß, dass wir gemeinsam glücklich werden können. Immerhin hast du mir all die Jahre bewiesen, wie viel Glück wir einander schenken können.
Bitte komm schnellstmöglich zu mir zurück. Ich habe meinem Vater bereits gesagt, dass ich Stephan nicht heiraten werde. Er wird keine Wahl haben, als dich wieder bei uns aufzunehmen.

In Liebe

Mina

Martin überflog das Geschriebene wieder und wieder, seine Finger zitterten, während er schwankend zwischen Rührung und Lachen in seinem Zelt saß.
„Mein Herr, der General ruft nach Euch."
Martin sah von dem Brief auf zum Zelteingang, wo ein gemeiner Soldat nach ihm rief. „Sag ihm, ich bin sogleich bei ihm."
Er legte seinen Kürass an, gürtete den Säbel an und setzte seinen Dreispitz auf. Der Morgen war noch früh und Nebel waberte über die Ebene. Sie folgten dem fränkischen Heer nun schon seit drei Tagen einer breiten Handelsstraße nach. Gestern Nacht hatten sie ihr Lager am Fuß einer Anhöhe aufgeschlagen. Der Wald zu beiden Seiten schützte sie vor Überraschungsangriffen auf der Flanke und die Erhebung stellte einen Nachteil für ihre Truppen dar.
Das feindliche Heer war ihnen in der Zahl überlegen, aber verfügte außer ihrer Artillerie über keinerlei Fernkampfwaffen und auch keine Kavallerie. Zwar würden ihre berittenen Einheiten gegen den Pulk aus Pikenieren keinen Vorteil erringen, aber zumindest mussten sie nicht damit rechnen, dass ihre Musketiere von einem Sturmangriff überrollt wurden.
Die stete Flucht des Feinds hatte sie hoffen lassen, sie würden früher oder später die trägen Geschosse zurücklassen und ihnen somit einen militärischen Vorteil einbringen. Doch stattdessen hatten sie es lieber auf sich genommen, langsamer voranzukommen und einige Männer bei kleineren Scharmützeln zu verlieren. Sie marschierten zumeist früher los und hielten später an, um ihren Vorsprung auszubauen. Doch General Marfeld hatte ihnen diesen Vorteil immer wieder genommen, indem er seine Truppen aufteilte und einen Stoßtrupp vorausschickte, der dem Feind stets im Nacken saß.
Doch heute Morgen war alles anders. Das feindliche Heer war nicht weitergereist. Womöglich waren die Männer müde vom Gewaltmarsch. Sie standen in Reih und Glied neben der Anhöhe bereit, ihren Gegner zu empfangen. Ein Wall Stangenwaffen, deren Klingen im diffusen Licht aufblitzten. Sie nutzten nicht einmal den Vorteil des Terrains aus. Sobald ihre Reihen sich berührten und sie ihre Artillerie nicht mehr gefahrlos einsetzen könnten, würde ihr Überzahl keinen Vorteil mehr bringen.
Während die Infanterie sich im Nahkampf aufrieb, würden ihre Musketiere den Feind ständig unter Beschuss halten und sie zügig dezimieren. Die Kavallerie konnte sich derweil der Geschütze annehmen, sollten sie es schaffen, sich durch den dichten Forst zu kämpfen. Andernfalls bot sich der Weg über die Anhöhe an, nachdem der Feind diese Flanke schmählich vernachlässigte.
Etwas abseits des Lagers trafen sich die Offiziere mit dem General und besprachen den Schlachtplan. Der General stellte sich in siegessicherer Pose auf: „Meine Herren, der Feind hat offensichtlich beschlossen, sich uns zu stellen, ehe wir seine Truppen bis auf die letzte Feder gerupft haben."
Verhaltenes Gelächter folgte aus den Reihen der Hauptleute, ehe er fortfuhr: „Offensichtlich plant er, es den Griechen gleichzutun und uns mit breiter Front anzugreifen. Da sie außer ihrer Kanonen über keinerlei Schusswaffen verfügen, werden wir sie mit einem Keil empfangen. Die Musketiere werden über die Flügel freie Schussbahn haben und ihre Phalanx von der Seite aus in Zusammenarbeit mit der Artillerie dezimieren. Die Kavallerie bleibt als Reserve zurück."
Er teilte die einzelnen Regimenter ihren Posten zu und die Soldaten gingen in Aufstellung. Für einen möglichen Überraschungsangriff von der Anhöhe aus hatte der General eine kleine Einheit Infanteristen abgestellt, die diesen abfangen würden, um das Überrennen der rechten Flanke zu verhindern. Martin führte seinen Verband zu dreißig Reitern hinter den rechten Flügel. Sollte ein Wunder geschehen und jemand attackierte sie aus dem Hinterhalt, so wäre es an den Kürassieren, ihren Kameraden Deckung zu geben. Obwohl er heute nicht aktiv am Kampf teilnehmen würde, spürte er die Spannung als Kribbeln auf der Haut. Der General mochte zuversichtlich sein und er teilte seine Einschätzung. Trotzdem würden allein durch den feindlichen Kanonenbeschuss heute viele gute Männer ihr Leben lassen.
Der Boden vibrierte, als sich das gegnerische Heer in Bewegung setzte. Nur schwerfällig kamen sie voran, da die Infanterie das Nachrücken der Artillerieeinheiten abwartete. Der erste Schuss kam aus ihren Reihen. Eine Kanone schoss eine Kugel durch die feindlichen Linien und riss ein Dutzend Pikeniere in den Tod. Die Lücken wurden sofort gefüllt, der Beschuss erwidert. Nun kam auch Bewegung in ihre Nahkämpfer, die sich in Form eines Keils der Phalanx entgegenstellten.
Ihre Formation drang in die feindlichen Linien ein und wäre wohl in Bedrängnis geraten, hätte nicht der Beschuss von Musketieren und das fortwährende Kanonenfeuer die Flanken des Feinds gesprengt. Während die eigenen Soldaten das feindliche Feuer blockierten, konnten sie ungehindert Salve nach Salve abfeuern. Die Feinde fielen wie Fliegen, die von einer Hand zerquetscht wurden.
Martin bewunderte den Mut der Soldaten, die ungeachtet ihrer Aussichtslosigkeit weiter in den Tod marschierten. Wie eine Sense pflügte sich ihr Truppe tiefer und der Rest des Zugs rückte nach. Der Triumph brachte eine Spur Unordnung in ihren Verband, es entstanden Lücken zwischen den Kämpfern und einzelne Angreifer wurden von ihren Kameraden getrennt und erledigt. Aber das waren minimale Verluste, die das Kampfesglück nicht ändern würden.
Doch mit einem Mal wendete sich das Blatt. Wie befürchtet hatte sich auf der Anhöhe eine feindliche Einheit verschanzt, die jetzt, da sie nahe heran waren, zum Vorschein kam. Es waren nicht etwa Pikeniere, die den Hang hinabstürmten. Es war eine gewaltige Menge an Musketieren, die zunächst die schützende Einheit vor ihrer rechten Flanke und schließlich ihre Schützen ebendort ins Visier nahmen. Sie selbst kamen immer nur zum Schießen hervor und verschwanden rasch wieder hinter der Kuppe, sodass das Gegenfeuer kaum eine Wirkung zeigte.
Der abgelenkte rechte Flügel konnte die Hauptstreitmacht des Feindes nicht mehr zurückdrängen. Der Keil ihrer Frontlinie bohrte sich weiter in die Masse des Feindes, während rechter Hand eine immer größer werdende Zahl des Gegners ihre Stellung umlief. Erste Pikeniere drangen auf die hilflos unterlegenen Schützen ein. Mit schrillem Ruf ritt der Hauptmann der Kavallerie heran und forderte sie zum Sammeln an der rechten Seite auf. Das Getrappel unzähliger Hufe hüllte Martin in eine Staubwolke ein. Auf einmal war er die vorderste Front eines Gegenangriffs, der den Hügel schnellstmöglich erstürmen musste, ehe der Feind endgültig durchbrach.
Martin atmete ein und zog seinen Säbel mit einem wütenden Kampfschrei. Seine Männer taten es ihm gleich und in wildem Galopp ritten sie den Hang hinauf. Kein feindliches Feuer hielt sie auf. Mit klopfendem Herzen erwartete er eine Salve aus unzähligen Rohren, kaum, dass sie den Hügel erklommen. Er schickte ein Stoßgebet zum Himmel, dann preschte Achilles über den Rand und gab ihm den Blick auf die feindlichen Linien frei. Es waren sicher tausend Mann, die dort in mehreren Reihen mit schussbereiten Gewehren aufgestellt waren. Zwischen ihnen standen Kanonen postiert. Martin hatte das Gefühl, direkt auf die Mündung eines Rohrs zuzulaufen, als die erste feuerte. Seine Welt ging in einem einzigen gewaltigen Krachen unter.


Ende


Tanz der GefühleWo Geschichten leben. Entdecke jetzt