Kapitel 11-1

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Die Fahrt in den Süden verbrachten Florentine und Alexander vorwiegend mit Diskussionen um ihre Einmischung bei den Minnesangs. Alexander freute sich zwar, dass die Sache so glimpflich ausgegangen war, aber seiner Meinung nach hatte Florentine nicht das Recht, die Erziehung anderer zu bewerten. Ihre Töchter schwiegen betroffen dazu und starrten aus dem Fenster. Mittlerweile wäre es ihr lieber gewesen, Alexander hätte die Reise allein unternommen.
„Es finden überraschend viele Abholzungen statt", wechselte sie irgendwann das Thema.
„Nicht unüblich, dass ein neuer Baron seinen Besitz schnellstmöglich ausweiten will."
„Wäre es nicht sinnhafter, das nach der Ernte zu tun?"
Alexanders Blick wanderte aus dem Fenster, wo man, auch ohne hinzusehen, allein der Geräusche wegen, die Arbeit von Holzfällern vermuten konnte. Sie passierten gerade Tannweiler – die letzte Station, ehe sie bei Bockens Anwesen wären. „Viele haben sich ein neues Herrenhaus bauen lassen, das verschlingt Geld. Die Ernte bringt dem Grundherren nur den Zehnten ein, aber das Holz kann er sofort weiterverkaufen."
„Bald werden wir nur noch über offene Felder reisen."
Alexander schüttelte den Kopf. „Kein Herr von Weitsicht wird seinen Baumbestand völlig abholzen lassen. Sonst muss er im nächsten Winter sein Brennholz von anderswo einkaufen."
Ein gepflasterter Weg führte sie bis zum Sitz des Barons. Vor dem Tor hatte er zwei Mal drei Säulen platziert, die von einer Allee frisch gepflanzter Zierbäume umgeben waren. Das Herrenhaus verfügte über weitläufige Anlagen. Stallungen, auf die so mancher Großbauer neidvoll blicken würde, einen ansehnlichen Garten, eine Werkstatt und vielerlei mehr. Kaum ratterte ihre Kutsche über das Pflaster, da reihte sich auch schon eine Schar an Gesinde vor dem Tor auf und zuletzt stolzierte Baron Bocken persönlich hinaus und begrüßte seine Gäste mit einer huldvollen Verneigung.
„Seine Baronie muss großzügig ausgefallen sein", raunte Florentine ihrem Mann zu.
„Eigentlich nicht. Die ehemalige Siedlung eines Ritters und ein paar weitere Gehöfte im Süden."
„Dann muss der Holzverkauf erträglich sein."
„Es scheint so."
Sie waren in Hörweite und tauschten freundliche Begrüßungen aus. Bocken beglückwünschte sie zu ihren wundervollen Kindern, erkundigte sich nach der Reise, kurz gesagt, er war überraschend zuvorkommend.
Nachdem sie ihre Zimmer bezogen hatten, trafen sie sich im Salon, wo die Dienerschaft Erfrischungen reichte. „Ihr habt ein wirklich hübsches Anwesen hier", sagte Alexander.
„Meinen ergebensten Dank. Ich versuche, die mir zugewiesenen Ländereien aufs bestmögliche zu bewirtschaften."
„Ich sehe Johanna gar nicht an Eurer Seite."
Bocken lächelte verlegen. „Ich bitte vielmals um Entschuldigung. Sie studiert im Ausland. Wie Ihr sicher wisst, sind die Königsfelser Hochschulen nicht auf weiblichen Studenten erpicht, daher sandte ich sie auf eigenen Wunsch in die Ferne."
„Also wird sie noch kommen?"
„Sie bittet vielmals um Entschuldigung, doch sie will ihr Studium nicht zweimal unterbrechen, wo sie ohnehin in Bälde eine Weile fernbleibt."
„Das ist bedauerlich – vielleicht können wir sie bei dieser baldigen Gelegenheit treffen?"
„Selbstredend, sicher wird sie Euch einladen wollen, immerhin ist es ihre Hochzeit."
„Wie erfreulich, davon zu hören. Also fand sie einen Geliebten in der Ferne?"
Bocken schüttelte mit bedauerndem Blick den Kopf. „Ach die Ärmste. Nachdem sie Eure Hand verweigerte, fiel es ihr schwer, in der Hochzeitsgesellschaft Fuß zu fassen. Wir hofften, sie möge als Unbekannte im Ausland jemanden von sich überzeugen, aber die Sitten dort sind ihr nicht eigen. Ich habe ihr schlussendlich angeboten, sie persönlich zu heiraten. Sie ist mir ans Herz gewachsen und ich sehe mich für sie verantwortlich."
„Sicher werdet ihr zukünftig selbst für sie aufkommen wollen, wenn Ihr als ihr Gatte auftretet?", schaltete sich Florentine ein. Sie sah es kurz verärgert in Bockens Augen aufblitzen, doch sofort hatte er seine Miene wieder im Griff und nickte mit überzeugendem Lächeln.
„Selbstverständlich. Was wäre ich für ein Mann, würde ich den Grafen bitten, für den Unterhalt meiner Liebsten zu zahlen?"
„Nun, solange Ihr noch nicht im Bund der Ehe vereinigt seid, will ich Euch nicht unerwartet von der finanziellen Unterstützung lossagen. Wenngleich ich meine, dass Euer Reichtum wohl mehr als ausreichend ist, um eine zweite Person mitzufinanzieren."
„Ihr seid zu gütig, Eure Exzellenz."
Florentine gefiel die Sache nicht. Bocken tat ihr zu gönnerhaft für einen eiskalt kalkulierten Menschen und Alexander ließ sich viel zu leicht einwickeln. „Reden wir doch über das Geschäftliche ein andermal. Die Reise war lang und ich würde den Kindern gerne ein Bett gönnen, nachdem sie zu Abend gegessen haben."
Alexander war zunächst überrascht über ihre Worte. Wohl nicht zuletzt, weil er seine Energiebündel kannte, die sicherlich erst ruhen würden, nachdem sie die Umgebung persönlich erkundet hatten. Aber als Bocken ihr wohlwollend zusprach, beließ er es dabei.
Bocken kredenzte ihnen erlesenen Wein, Früchte aus dem Süden und einen deftigen Braten. Sie führten höfliche Tischgespräche und als das Mahl beendet war, zogen sie sich in ihre Zimmer zurück. In manchen Häusern war nicht genug Platz, dass die Kinder ein eigenes Gästezimmer beziehen konnten. Einmal wollten ihre Gastgeber sogar die eigenen Kinder zusammenpferchen, um ihnen den größtmöglichen Komfort zu bieten. Florentine hatte immer darauf bestanden, sich keine Umstände zu machen – die Kinder konnten auch gerne bei ihnen schlafen. Bocken war kinderlos und sein Haus riesig, von daher konnten sie problemlos in getrennten Räumen schlafen.
„Mir gefällt dieser Bocken nicht", sagte Florentine, als sie ihre Haare löste und sich entkleidete.
„Kein Wunder, nach dem, was er getan hat. Mir ist er auch nicht der Liebste, aber es wäre erfreulich, wenn wir uns aussöhnen könnten."
„Glaubst du ihm die Sache mit Johanna?"
„Zunächst war ich misstrauisch. Aber wenn er sie heiratet, sehe ich keinen Grund darin."
„Sie ist lange fort für ihr Studium."
Alexander tippte sich ans Kinn. „Du hast Recht. Aber vielleicht dauert es länger im Ausland, wer weiß das schon?"
„Er war nicht erfreut darüber, dass wir ihm die Unterstützung für Johanna kappen werden." Sie legte sich ins Bett und kuschelte sich in die feine Bettwäsche.
„Ehrlich gesagt verstehe ich deinen Unwillen nicht. Johannas Hilfe ermöglichte unsere Heirat. Es mag eine großzügige Summe sein, aber ich finde es nur gerechtfertigt, sie weiterhin zu stützen."
Sie schob die Augenbrauen zusammen. „Vergiss nicht, dass sie diese Heirat selbst eingefädelt hat."
„Wir können nur erahnen unter was für einem Druck sie stand und wer in welchem Ausmaß damals mitgemischt hat."
Florentine mochte es nicht, wie er sie verteidigte. Für sie war es immer noch die Frau, die beinahe mit ihrem Geliebten verheiratet geworden war. Alexander verfolgte sicher redliche Ziele. Zumindest hoffte sie, dass keine unterdrückten Gefühle mit im Spiel waren. Doch sie wurde das Gefühl nicht los, dass Bocken diese Schwäche an ihm noch ausnutzen würde. „Wie wäre es, wenn wir ihr das Geld persönlich überreichen, sobald sie zurück ist?"
Alexander verdrehte die Augen. „Was sollten solche Spielchen uns bringen?"
„Bocken wird es ohnehin an sie weitergeben. Er wird ihre Studiengebühren wohl kaum durch einen Boten begleichen lassen."
„Das ist deren Sache, da müssen wir uns nicht einmischen."
„Und wenn er uns betrügt?"
„Florentine, du machst dir unnötige Gedanken."
„Und du vertraust plötzlich einem Mann, für den du kürzlich nur Hass übrig hattest."
„Als Graf muss ich über meine persönlichen Gefühle hinausdenken."
„Und übersiehst dabei womöglich wichtige Details."
„Du hast mit solchen Dingen keine Erfahrung. Lass mich das regeln."
„Als ob dich dein Vater alles gelehrt hätte!"
Alexander hob beschwörend den Zeigefinger. „Ich möchte, dass du mir hier keine Schande machst. Unsere Kinder haben bei den Minnesangs bewiesen, dass sie sich fügen können."
„Und Selbiges erwartest du jetzt von mir?"
Alexander antwortete nicht, doch sein Blick sprach Bände.
„Ich werde bei den Kindern nächtigen."
„Florentine!"
Doch sie hörte nicht auf seine Worte und war mitsamt ihrer Decke aus der Tür hinaus. Alexander mochte den erhabenen Grafen spielen, aber er würde lernen müssen, dass sie es nicht akzeptierte, wenn er dabei völlig sich selbst verlor.


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