Justina führte die Fäden durch die schmalen Litzen des Webstuhls. Eine Arbeit, die all ihre Konzentration verlangte, die sie im Moment aber nicht innehatte. Adam hatte sich seit ihrem Kuss von ihr distanziert. Er übte sich in Höflichkeit und gab ihr gar nicht die Gelegenheit, ihm näher zu kommen. Entweder er besaß eine unmenschliche Selbstbeherrschung oder sie hatte sich bezüglich ihrer Fähigkeiten überschätzt. Sicher, sie hatte keine praktischen Erfahrungen in solchen Dingen, aber sie hatte aus seinen Zügen doch die Erregung abgelesen.
Heute war er überhaupt nicht zur Arbeit gekommen. Herr Webmann hatte angekündigt, er würde die nächsten Tage die Führung übernehmen. Sie malte sich die verrücktesten Geschichten aus, weswegen er verreist war. Am Ende lief es meistens darauf hinaus, dass es ein Zeichen war, sich gegen sie zu entscheiden. Oder suchte er nur die Distanz, um sich über seine Gefühle klar zu werden? Sie raufte sich die Haare und bemerkte sogleich, dass sie wieder einen Fehler gemacht hatte.
„Kann ich dir helfen?"
Justina sah unwirsch zur Seite. Rosalia stand neben ihr. Eine Frau, die die besten Jahre schon hinter sich hatte, Pranken wie ein Fleischer besaß und bei der Justina nie recht wusste, ob ihre Hilfsbereitschaft freundlicher Natur war oder nur, um ihre eigene Position zu stärken. Für die jüngeren Weberinnen war sie ein Segen. Sie half bei Kleinigkeiten aus und ersparte so manchem unfähigen Ding den Zorn Herrn Webmanns. Für Justina stellte sie in erster Linie Konkurrenz um den Platz als beste Weberin dar.
„Ich danke dir, aber ich komme zurecht."
Rosalia beäugte kritisch die Einspannung der Fäden. „Sieht für mich so aus, als hättest du dich vertan."
„Vielleicht weißt du auch einfach nicht, was ich vorhabe."
„Dir Ärger mit dem Vorarbeiter einhandeln?", fragte sie amüsiert.
Justina verengte die Augen. „Herr Webmann hat nur gute Worte für mich übrig."
„Das gibt sich, wenn deine Blüte ins Welken gerät."
„Ein Problem, welches du ja bereits hinter dir hast."
Rosalia verschränkte die Arme. „Ich habe dich kürzlich nachts hier gesehen. Ein hübsches Kleid kannst du dir von deinem Lohn leisten."
„Ich frage mich, warum du mir hinterherspionierst."
„Und ich, was du zu so später Stunde von unserem Dienstgeber wolltest?"
Justinas Gedanken überschlugen sich. Ihr Verstand, der vollends damit beschäftigt war, das Problem mit Adam anzugehen, sah sich plötzlich von anderer Seite konfrontiert. Wut sowohl über ihn, der ihr Gedankenkreisen bescherte, als auch Rosalia, die ihre Nase in ihre Angelegenheiten steckte, kochte in ihr auf.
Doch sie musste vorsichtig sein. Wenn Rosalia herausfand, dass Justina mit Adam liebäugelte, könnte sie dieses Gerücht in aller Munde bringen. Spätestens dann würde sich die Zuneigung und Hilfsbereitschaft des Vorarbeiters wandeln. Zwar waren ihr seine Annäherungsversuche nicht recht, aber die damit verbundene Unterstützung sehr wohl.
„Wir besprachen die Muster für meine nächsten Stoffe."
„Herr Kloppenburg hat wenig Ahnung von dem, was wir hier tun. Ich denke eher, du wolltest dir einen weiteren freien Tag erschleichen."
„Ich leiste weit bessere Arbeit als die meisten hier."
„Und verdienst es daher auch, besser behandelt zu werden?"
„Was kümmert es dich?" Justina wollte sich an ihren Webstuhl setzen, um dem Gespräch zu entgehen.
„Wo willst du denn hin? Solltest du nicht erst alle Fäden einziehen, ehe du ein weiteres Missgeschick produzierst?", fragte Rosalia, als sie ihr den Weg versperrte.
„Was kümmert es dich?"
„Mich kümmert nur, wieso wir anderen in Lumpen gehen, während du dich in feinste Seide hüllst."
„Ich habe eine Sonderzahlung für meine Dienste erhalten. Arbeite ehrgeizig und vielleicht erkennt der Herr auch in dir eine würdige Arbeiterin."
Rosalia presste die Lippen zusammen und ihre Wangen röteten sich vor Wut. Sie hob die Rechte, um ihre eine zu verpassen, hielt aber in der Bewegung inne und lächelte boshaft. „Dein Übermut wird dich noch früh genug zu Fall bringen, Frau Meisterweberin." Sie ließ sie stehen und ging zurück zu ihrer Arbeit.
Justina sah ihr befangen nach. Ihre Aussage war unüberlegt gewesen. Doch was wollte Rosalia schon dagegen tun, selbst wenn Adam sie bevorzugen würde?
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Tanz der Gefühle
Historische RomaneTeil 2 der Tanz-Trilogie Lieber schwelgen im Glück oder schwimmen im Geld? Mina wuchs im Reichtum des Hauses ihres Vaters auf und musste sich ihr Leben lang um nichts kümmern. Sie scheut zeitiges Aufstehen, harte Arbeit und jeglichen Mangel an Komfo...