Kapitel 7-1

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Adam war dermaßen abgelenkt, dass er gar nicht bemerkte, wie ein Kunde ihn ansprach. Erst als dieser sich bereits abwandte, konnte er ihn unter mehrmaligem Entschuldigen davon überzeugen, ihm doch seine Ware abzukaufen. Der Wochenmarkt lief gut. Seitdem er hier regelmäßig einen Tisch mit Stoffen und Rohwolle hatte, steigerte sich sein Absatz mit jedem Mal. Viele Kunden kannte er schon beim Namen und manch andere erwähnten, sie hätten von einem seiner Bestandskunden über die Qualität seiner Stoffe erfahren.
Doch trotz seines Erfolgs konnte er nicht von seinen Gedanken an Justina ablassen. In der Manufaktur versuchte er, ihr aus dem Weg zu gehen und ging sie auf ihn zu, beließ er es bei Höflichkeiten. Er war immer schon vor Herrn Webmann aus dem Haus und gab ihr keine Gelegenheit, ihn allein anzutreffen.
Wie konnte er es nur zulassen, dass sie ihn dermaßen überfiel? Er hatte ihre Absichten gespürt. Von seinen Lenden bis zu seinen erhitzten Wangen. Ihre Augen hatten Funken gesprüht; ähnlich einer Raubkatze hatte sie nur auf den Sprung gewartet. Doch statt sich ihrer sofort zu entziehen, hatte er sich in den Strudel reißen lassen. Selbst jetzt, trotzdem ihn sein Gewissen plagte, fühlte er gleichzeitig die Sehnsucht, diese Gelegenheit beim Schopf zu ergreifen. Justina war hübsch und leidenschaftlich. Nichts würde sie aufhalten, mit ihm den Bund der Ehe einzugehen. Aber Adam hatte sich einer anderen versprochen. Während das Begehren zu Justina heiß und verzehrend war, spürte er ein tieferes Band zu Johanna, welches sich über Jahre hinweg verdichtet hatte und unzerreißbar mit seinem Herzen verwoben war.
Als die meisten Kunden verschwunden waren und nur noch die letzten Jäger eines verzweifelten Verkaufs die Stände inspizierten, packte Adam zusammen und machte sich auf den Nachhauseweg.
In seinem Arbeitszimmer stapelte er den Erlös auf dem Schreibtisch und starrte sinnierend darauf. Mittlerweile hatte er genug Geld, um bei Johannas Vater um ihre Hand anzuhalten – zumindest, wenn er alles zusammennahm. Doch ihre fehlenden Antworten auf seine Briefe ließen ihn zweifeln. Außerdem musste er eine gehörige Summe abzweigen, die er als Mitgift für seine Schwester bereithielt. Derweil verdingte sie sich als Magd in einem nahegelegenen Adelshaus. Sie erledigte Arbeiten des Tagwerks und kehrte abends zu ihm zurück. Er hoffte, dass sie bald einen Mann fand, der sie von der harten Arbeit befreite.
Kaum an sie gedacht, da kam Caroline auch schon nach Hause. Wie üblich schimpfend und fluchend über ihren Hausherren, der den Mägden lüsterne Blicke nachwarf.
„Ich bin heilfroh, dass ich nicht mit ihm unter einem Dach wohne. Wer weiß, was er so treibt, wenn seine Frau im Bett ist!"
„Ich habe dich schon öfter gebeten, dir ein anderes Haus zu suchen", rief Adam zur Tür hinüber. Er hörte, wie sie ihre Schuhe zur Seite pfefferte, ehe ihre Schritte näher kamen und sie sein Zimmer betrat. „Aber er zahlt doch so gut."
„Weil er sich Hoffnungen auf mehr macht."
Sie umarmte ihn von hinten und gab ihm einen Kuss auf die Wange. „Wie gut, dass ich nicht völlig hilflos bin. Hattest du gute Verkäufe?"
„Ausreichend. Ich kann mir nach wie vor deine Mitgift leisten", meinte er scherzend.
Caroline ließ sich auf sein Bett fallen und streckte die Füße in die Höhe, murrte darüber, wie weh sie ihr taten. „Ich brauche deine Hilfe nicht."
„Je eher ich dich loswerde, desto kürzer liegst du mir auf der Tasche."
Sie lachte auf. „Als ob du es hier allein aushältst."
„Ich würde es schrecklich vermissen, dass du mein Laken zerwühlst."
Sie setzte sich auf und sah ihn mit schiefgelegtem Kopf an. „Willst du wieder den ganzen Abend in deine Bücher starren?"
Er klappte das Buch entschlossen zu und setzte sich neben sie aufs Bett. Mit einem Seufzer ließ er sich nach hinten fallen.
„Du wirkst betrübt."
Er verdrehte die Augen. „Ich bin nur erschöpft."
„Hast du wieder einen Brief verfasst?"
„Das erscheint mir eine Verschwendung von Papier und Geld." Außerdem lag sein letzter Schrieb nicht allzu lange in der Vergangenheit. Und mit seinem schlechten Gewissen bekäme er keine Zeile zustande.
„Du solltest sie endlich persönlich besuchen, ehe ihr beide ergraut seid."
„Ohne das nötige Geld kann ich dankbar sein, wenn mich ihr Vater nur mit einem Fußtritt hinausbefördert."
„Wie kann man nur jahrelang für nichts arbeiten?"
Er kniff sie in die Seite. „Ich habe zumindest schon dein Brautgeld zusammen!"
„Ich brauche deine Unterstützung nicht. Ich werde mir das selbst erarbeiten."
„Wer will dich schon noch, wenn du weit über die dreißig hinaus bist?"
Sie schlug ihn mit einem Kissen. „So lange wird es nicht dauern!"
Caroline war rasch gewachsen. Mittlerweile war aus dem kleinen Mädchen eine wunderschöne Frau geworden, die sich die Hände in fremden Häusern rau arbeitete. Adam hätte sie in seiner Manufaktur untergebracht, aber sie bestand darauf, eigenes Geld zu verdienen. Außerdem hatte sie gefühlt mehr als nur zwei linke Hände. Ein Wunder, dass sie ihrem Herrn nicht ständig den Tee über das Haupt schüttete. Seine und Johannas Heirat würde – wenn sie nicht bereits in festen Händen war – weit über dem üblichen Alter stattfinden. Womöglich hatten sie ihre besten Jahre schon verpasst. Dasselbe Schicksal wollte er nicht für Caroline.
„Vielleicht kaufe ich dir demnächst ein Kleid und wir besuchen ein paar Bälle", schlug er vor.
„Ich suche mir lieber einen bürgerlichen Ehemann, ehe ich mir so einen wie dich aufhalse", erwiderte sie feixend.
Nun war es an ihr, ein Kissen von ihm ins Gesicht zu bekommen. Sie entfloh dem Bett und wanderte zu dem Schreibtisch hinüber. Sie durchstöberte den Stapel Papier, wo Adam Gedichte niederzuschreiben pflegte. Das Papier war alt, die Tinte schon Jahre getrocknet. Kaum hatte er Johanna kennengelernt, hatte er alle Möglichkeiten in Betracht gezogen, ihr zu imponieren. Doch nie hatte ihr Ohr eines seiner Werke vernommen.
Er stellte es sich wie eine Reise zurück in der Zeit vor, würde er sie eines Tages ehelichen und ihr die Verse vergangener Tage rezitieren. Caroline las stumm eines der Gedichte. Anfangs war es ihm unangenehm gewesen, dass sie ihm nachstöberte. Aber mit zunehmendem Alter hatten sich zwischen ihnen tiefgründigere Gespräche über die Liebe ergeben und er sah es ihr nach. Davon abgesehen konnte er sie ohnehin nicht aufhalten. Bevor sie ihre Arbeit aufgenommen hatte, war sein Zimmer nicht sicher vor ihr gewesen, kaum dass er außer Haus ging.
„Du musst endlich zu ihr gehen", sagte sie mit Wehmut in der Stimme.
„Der Jahrmarkt ist in wenigen Monaten. Danach habe ich genug Geld ..."
„Du hast bereits genug Geld!" Sie öffnete die Kassette, die sämtliche Ersparnisse beinhaltete. Ein Zeugnis davon, dass er jahrelang mehr wie ein Bettler, denn ein Edelmann gelebt hatte.
Adam erhob sich und schloss die Kassette mit Nachdruck. „Darüber diskutiere ich nicht."
„Ich werde meine Ehe nicht darauf aufbauen, dass mein Bruder sein Leben für mich geopfert hat."
„Du redest Unsinn."
„Sieh dich an!" Sie entfernte sich einen Schritt von ihm und starrte ihn böse an. „Du lebst wie ein Mönch, bleibst bis tief in die Nacht in der Arbeit, um von ihr abgelenkt zu sein. Und bist du einmal zuhause, dann starrst du in deine Suppe, als könntest du ihr Spiegelbild darin entdecken."
„Meine Vorfreude wird unsere Vereinigung umso fabelhafter machen."
„Glaubst du überhaupt noch daran?"
Adam verzog den Mund. Die Frage hatte er sich nie wirklich gestellt oder nicht zu stellen gewagt. Er hatte Caroline nie belogen, doch er konnte die Frage nicht hinreichend beantworten. „Ich gebe zu, Angst zu haben."
„Wovor?"
„Dass sie vergeben ist oder ihr Vater mich trotzdem nicht akzeptiert."
„Feigling."
Adam blinzelte. Widerwille kam in ihm auf, aber noch ehe er etwas erwidern konnte, setzte seine Schwester schon nach: „Hast du einmal an sie gedacht? Womöglich lebt sie eingesperrt in einer kalten Burg als Sühne für ihr Vergehen. Sie verbittert, weil sie dir vertraut hat und du zu ängstlich bist, dein Versprechen wahrzumachen."
Ein fürchterlicher Gedanke. Was für einen Hass sie in all der Zeit in sich aufgestaut haben musste. Am Tag ihrer Hochzeit hatte er ihr über Lady Aisenberg eine Notiz zukommen lassen, dass er sie holen würde. Doch die Familie war am nächsten Tag schon abgereist, seine Hoffnung, sie nötigenfalls mit Gewalt zu entwenden, war dahin. Nun saß sie hinter dicken Mauern, die er nur mit Geld überwinden konnte. Caroline nahm die Geldkassette und drückte sie ihm in die Hand. „Geh."
„Ich kann nicht."
„Geh!"
Er schluckte, der Blick Carolines war unnachgiebig. Schließlich nickte er und schloss sie in die Arme.
Am nächsten Tag übergab er das Zepter an Herrn Webmann, solange er abwesend war. Sein Vorarbeiter versicherte ihm, alles gewissenhaft zu erledigen. Adam preschte noch am Vormittag Richtung Süden. Die Schuldgefühle, so lange gezögert zu haben, wurden von dem Gegenwind wie weggewischt. Bald würde der Tag sein, da sich seine Mühen bezahlt machten. Und sobald der Jahrmarkt vorüber war, konnten sie sich ein schönes Leben aufbauen und auch seine Schwester würde ihre Mitgift erhalten, ob sie zustimmte oder nicht.


Tanz der GefühleWo Geschichten leben. Entdecke jetzt