Kapitel 6-2

35 4 0
                                    

Justina hatte ihr Erspartes und das Geld von Adam zusammengenommen und hatte in ein Kleid aus feinem Satin investiert. Es war von tiefem Blau, mit kurzen Puffärmeln, üppigem Zierrat an den Säumen und einem leichten Rock. Am Abend ihres freien Tags wartete sie darauf, dass alle Arbeiter die Manufaktur verließen. Als schließlich auch Adam in den Türrahmen trat, kam sie schnell heran und hielt ihn mitten in der Bewegung auf.
„Herr Kloppenburg, was für ein Glück, Euch noch anzutreffen."
Ob es der Dunkelheit, ihrem Aufzug oder der aufwendigen Frisur geschuldet war, er brauchte einen Moment, um sie überhaupt zu erkennen. Ihr Anblick ließ ihn staunend den Mund öffnen. Sie verkniff es sich über beide Ohren zu grinsen. „Frau Raubmann, was für eine Überraschung. Ist Euer Bruder wieder wohlauf?"
Sie legte sich die Arme um den Oberkörper, als friere sie und Adam – ganz der Gentleman – bot ihr an, einzutreten. Er entzündete eine Kerze und schloss die Tür hinter ihr. „Kann ich Euch eine Decke anbieten?"
Sie schüttelte den Kopf. „Er ist wieder wohlauf, ich wollte Euch meinen Dank ausdrücken."
„Eure Freude ist mir Dank genug. Ihr seid heute äußerst hübsch gekleidet."
„Ein Erbstück mütterlicherseits."
„Sie muss wohlhabend gewesen sein."
„Früher vielleicht einmal, als mein Vater, Ritter Raubmann, noch seines Amtes waltete."
„Ich wusste gar nicht, dass ihr von hoher Geburt seid."
„Ihr wisst vieles nicht über mich." Sie kam ihm unauffällig näher und sah ihn mit großen Augen an. „Gefällt Euch das Kleid?"
„Es steht Euch wunderbar."
„Und wie gefalle ich Euch?"
Er schluckte spürbar und fuhr sich über das Kinn. „Es wäre unhöflich, zu behaupten, Ihr wärt keine Augenweide."
Justina biss sich auf die Unterlippe. Er wich ihr aus, dezent aber doch. Sie durfte jetzt nicht nachgeben, nicht zulassen, dass sich zwischen ihnen reine höfliche Zuneigung ergab. Sie nahm ihm die Kerze ab und zündete ein paar der Wandleuchten an. Gleich darauf setzte sich demonstrativ auf einen der Schemel eines Spinnrads, fuhr sich mit der Hand wie zufällig über die Brust. Seine Aufmerksamkeit wanderte sofort zu der Bewegung und blieb einen Augenblick auf ihrem Ausschnitt hängen, ehe er sich räusperte und ebenfalls einen Stuhl zwei Armlängen von ihr wegnahm. „Ich fand es edelmütig, wie ihr Hertha vor einer Weile gegen Herrn Webmann verteidigt habt."
Adam überlegte einen Moment, ehe es in seinen Augen aufleuchtete. „Das war doch selbstverständlich."
„Selbstverständlich ist es, dass ein Herr seine Untergebenen nach Belieben züchtigt."
„Ein anderer Herr zahlt seinen Arbeitern auch das volle Gehalt und hält sie nicht mit Versprechungen hin."
„Und doch seid Ihr bereit, uns zu gegebener Zeit über dem üblichen Wert zu vergüten."
„Die Spinnerinnen und Weberinnen sind das größte Kapital dieser Werkstatt. Sie verdienen eine angemessene Entlohnung."
Justina legte das Kinn zwischen ihre Handrücken und sah ihn versonnen an. „Eure Bescheidenheit macht Euch nur noch edelmütiger."
„Vielleicht erhöht Ihr mich auch nur", erwiderte er mit einem Zwinkern.
Sie rückte ihren Schemel näher an den seinen. „Ich bin nur eine Dienerin, die zu einem großen Vorbild aufsieht."
„Ihr seid weit mehr als das!", ereiferte sich Adam und senkte mit eindringlichem Blick sein Haupt, womit er die Distanz zwischen ihnen verringerte. „Selten sah ich so eine bemühte Dame. Eure Verbissenheit, mit der Ihr an Eurer Technik feilt, imponiert mir. Ich wünschte mir ebensolche Durchsetzungskraft."
„Ich könnte sie Euch leihen", antwortete sie mit gesenkter Stimme, was ihn dazu veranlasste, ein Stück aufzurücken, als wolle sie ihm ein Geheimnis anvertrauen. Sie sah ihn eindringlich an, fixierte seine Augen entschlossen, ohne den Blick auch nur einen Millimeter abweichen zu lassen. Er hing an ihren Lippen, die sie einen Spaltbreit öffnete, als entgegne sie ihm jeden Moment das Versprochene. Ihre Hand griff sanft nach seiner Wange und er zögerte zu lange mit einer Reaktion, um ihrem darauf folgenden Mund zu entkommen.
Seine Lippen fühlten sich weich und voll an, sein zarter Bartflaum kitzelte sie eine Spur und verstärkte das Kribbeln in ihrem Körper. Sie umfasste seinen Kopf und presste sich näher an ihn heran, gab ihn nicht mehr frei. Erst zögerte er, wollte sich entwinden, aber nachdem ihr Körper sich bebend an den seinen lehnte, griff er ihren Rücken und drückte sie gegen seine Brust. Ihre Lippen spielten miteinander, umschlangen sich, ein sanftes Knabbern, schließlich berührte sie ihn zögerlich mit ihrer Zungenspitze. Ihrer beider Körper bebten in Ekstase, während sie nach Luft schnauften, ohne die Lippen voneinander zu nehmen.
Justina schob sich auf seinen Schoß und ließ ihn hintenüberfallen, sodass sie rittlings auf ihm landete. Sie benetzte seinen Hals mit Küssen und machte sich an seinem Hemd zu schaffen. In Gedanken spielte sie bereits die nächsten Augenblicke ab.
Sie würde ihn aufs Äußerste verführen. Ihre Mutter hatte keinen Hehl daraus gemacht, mit ihrer Tochter auch über intimste Geheimnisse zu sprechen. Nachdem sie als Tochter eines Ritters nicht die beste Partie von Haus aus erhalten würde, musste sie in der Lage sein, mit anderen Qualitäten von sich zu überzeugen. Sie würde seine Brust hinabwandern, ihn mit Küssen und ihrer Zunge bei Laune halten, bis sie seine Hose geöffnet hatte. Seine Erwartung würde ihn weiterhin fesseln, je tiefer ihr Mund wanderte. Schlussendlich wäre er gefangen in dem Drang zu erfahren, was sie fähig war, mit ihren Lippen dort unten zu verrichten. Ihre Hand glitt zwischen seine Beine und vermittelte ihm einen Vorgeschmack der Freuden, die ihn gleich erwarten würde.
Unerwartet ergriff er ihren Kopf. „Wartet, Fräulein Raubmann."
Sie hielt inne und sah ihn mit großen Augen an. Ihr Oberkörper hob sich leicht und präsentierte Geschenke ihres Körpers, die er bald in seinen Händen halten würde. „Soll ich es etwas langsamer angehen, gnädiger Herr?"
Er schüttelte mit zusammengepressten Lippen den Kopf, drückte sie sanft zurück und rutschte unter ihr hervor. „Ich kann das nicht tun."
Für Justina war es, als hätte er ihr mit der flachen Hand ins Gesicht geschlagen. War sie nicht hübsch genug? Hatte er kein Interesse? Wie konnte es sein, dass er nicht längst völlig die Beherrschung verloren hatte? „Liegt es an mir?"
Er rappelte sich auf und bot ihr die Hand an. „Ich bitte Euch, denkt das nicht, ich muss um Verzeihung bitten."
Sie ließ sich von ihm in die Höhe helfen und hielt die Hände schützend vor die Brust, während sie den Kopf senkte, um ihm nicht ihre Tränen zu zeigen. „Was ist es dann?"
„Es ist nicht rechtens. So sehr es mich verlangt, ich muss Euch bitten einzuhalten."
„Wir sind vom gleichen Stand. Niemand würde es infrage stellen, nur weil ich für Euch arbeite."
Er legte ihr die Hände auf die Schultern, was ihr sogleich Halt gab, sie aber auch auf Abstand hielt. „Ich brauche Euch, Justina. Bitte vergebt mir meine Zurückweisung."
War sein Edelmut so groß? Oder fürchtete er sich, dass ein Bruch ihrer Beziehung das Schicksal der Manufaktur in Gefahr brächte? Sicher würde es für Neid unter den anderen Frauen sorgen, wenn er sich ihr so hingab.
Sie biss sich wütend auf die Unterlippe. Sie hätte den Jahrmarkt abwarten sollen, wenn der Ertrag Adam unabhängiger machte und ihm die finanziellen Ängste nahm. Doch jetzt galt es, ihm klarzumachen, dass sie es ihm nicht verübelte. Sie musste das Eisen heiß halten, auf das sie es zur rechten Zeit schmieden konnte. Sie wischte die Tränen weg und mühte sich um ein Lächeln. „Es ist alles in Ordnung. Die Leidenschaft ging mit mir durch."
Er erwiderte ihr Lächeln voll Erleichterung. „Ich bin froh, dass Ihr so denkt."
„Ich werde dann besser gehen."
„Sehen wir uns morgen bei der Arbeit?"
„Selbstverständlich." Sie nickte ihm zu und verließ langsamen Schrittes das Gebäude. Sie gab ihm Zeit, ihr nachzusehen, ihre wohlgeformte Figur in dem eng anliegenden Mieder zu betrachten. Er würde erkennen, dass er diese Gelegenheit nicht ausschlagen durfte. Schon bald würden ihn seine Bedürfnisse quälen. Der Wunsch, herauszufinden, zu welchen Höhen sie ihn zu führen vermochte.
Voll unerfüllter Erregung kehrte sie nach Hause zurück, doch sie würde sich nicht geschlagen geben. Dieser Mann gehörte ihr.


Tanz der GefühleWo Geschichten leben. Entdecke jetzt