"Ruby, hast du irgendwas davon verstanden?". Allison hatte sich vorgelehnt, um so leise wie möglich sprechen zu können. Nein, ich hatte nichts verstanden. Damian schaute uns an, als hätte er gerade die Erklärung des Jahrhunderts abgegeben. Aber ich schaute immer noch perplex in seine fast schwarzen Augen. "Kannst du das vielleicht nochmal erklären, dass auch normal sterbliche das verstehen? Bin ich überhaupt normal sterblich?", fragte ich. "Ja, du bist sterblich. Aber im Prinzip stirbst du drei mal. Lass mich das von vorn erklären. Der Stammbaum der Familie Black geht Jahrtausende zurück. Und seit jeher rankt sich diese Legende um unsere Familie. Viele würden sagen, es sei Müll oder ausgedachtes Hirngespinst, aber du bist der lebende Beweis, das es tatsächlich wahr ist. Wenn Blacks sterben, stirbt nur ihre menschliche Hülle. Ihre Seele und ihre Schlüsselerinnerungen, also Erinnerungen, die dein Leben verändert haben, verlassen den Körper und während normale Menschen dann weitergehen, also in den Himmel oder ähnliches, geht die Seele eines Blacks in einen Körper, der zwar körperlich Lebensfähig, aber trotzdem so gut wie tot ist. Ich weiß zwar nicht, was passiert ist, aber du wärst aus diesem Koma nie wieder aufgewacht, wenn Elody nicht von deinem Körper Besitz ergriffen hätte, als sie starb". "Aber ich bin doch immer noch ich. Ich kann mich zwar an nichts erinnern, aber ich bin immer noch ich", fiel ich ihm ins Wort. "Ja und nein. Du bist zwar zu einem gewissen Grad noch du, aber du hast jetzt starke Einflüsse von Elodys Wesen. Ihre Schlüsselerinnerungen vermischen sich mit deinen, genau wie eure Talente". "Das erklärt so einiges. Meine Angst vor Wasser kommt aus dem Leben von Ruby. Und das Wissen über irgendwelche Kampftechniken kommt von ihr. Und der Körper ist komplett willkürlich ausgewählt?", wollte ich wissen. "Ja, das kann niemand steuern. Auch die Distanz ist komplett egal. Elody hätte auch irgendwo in Afrika landen können. Von daher ist es ein riesiger Zufall, das du gar nicht so weit von hier weg warst. Und dass du jetzt hier bist natürlich auch". Ich konnte gerade nicht darüber nachdenken, dass in mir die Seele einer anderen Person war, deswegen fragte ich einfach weiter. "Also wenn ich das jetzt richtig verstanden habe, sterbe ich beim dritten Mal dann wirklich. Aber wieso heißt es in der legende 'Gelegt durch Fremde Hände'?". "Das weiß ich nicht, weil ich es logischerweise nicht ausgetestet habe. Aber meiner Meinung nach gibt es da mehrere Möglichkeiten. Es könnte darauf anspielen, dass man durch das Körperwechseln keine Erinnerungen mehr hat und dadurch jeder für einen fremd ist. Es könnte aber auch bedeuten, dass der letzte Tod eines Blacks immer durch Fremdeinwirkung zustande kommt". "Also Mord?", fragte ich, um mir sicher zu sein. "Ja, Mord". Ich lehnte mich in die weichen Sofakissen. Bis vor einer Stunde war ich noch ein normales Mädchen mit Amnesie, aber jetzt war ich ein Mischwesen aus zwei Personen, die beide auf ihre eigene Art und Weise tot waren. Yay, ganz toll. "Und jetzt? Kann ich irgendwas gegen die Deja-vus machen? Oder soll ich jetzt einfach akzeptieren, dass ich aus zwei Menschen gleichzeitig bestehe und mich mit keinem der beiden identifizieren kann?". Ich fing an zu bereuen, nach Antworten gesucht zu haben. Jake hatte während des ganzen Gesprächs kein einziges Wort gesagt. Er glaubte Damian, das spürte ich. Und ich glaubte ihm auch. "Ich könnte versuchen, wenigstens Elodys Teil wieder herzustellen. Ich habe mich viel mit dem Thema auseinandergesetzt. Ich fange an, zu verstehen, warum Elodys Eltern meinten, ich wäre ein schlechter Einfluss. Sie finden keinen Draht zur Geschichte, geschweige denn von Körpertausch und Seelenwanderungen. Aber zurück zu dem Part, in dem ich euch helfe. Ich habe eine bestimmte Art von Hypnose entwickelt, um verlorene Erinnerungen zurückzuholen. Es dauert auch nicht lange", sagte er. Ich wurde nervös, ich wollte eigentlich nicht, dass er in meinem Kopf rumpfuschte. Aber ich musste es versuchen. "Tu es", sagte ich entschlossen. Ich konnte hören, wie Allison nach Luft schnappte. Ich wollte sie gern beruhigen, ihr sagen, dass ich das nicht ernst meinte, aber ich meinte es ernst. Ich meinte es verdammt ernst. "Gut, setz dich aufrecht hin und schau mich an". Ich schaute ihm direkt in seine Augen, die auch in einem anderen Licht eher schwarz als dunkelbraun waren. Ich verspürte instinktiv den Drang, wegzuschauen, hielt mich aber mit aller Kraft davon ab. Langsam fing er an, zu sprechen. "Elody. Du bist da drin. Dein Leben ist da drin". Ich spürte, wie sich eine Gänsehaut auf meinem Körper ausbreitete. Instinktiv griff ich nach Jakes Hand, der meine nahm und sie bestärkend drückte. Seine Unterstützung zu haben bedeutete mir mehr, als ich ihn je wissen lassen würde. Damian starrte mich weiterhin einfach nur an. Langsam zog sich die Gänsehaut wieder zurück und ich blinzelte ein paar mal. Nichts hatte sich verändert. Fast war ich ein bisschen enttäuscht, jedenfalls bis Damian sagte: "Wenn es geklappt hat, sollten die Erinnerungen Stück für Stück zurückkommen. Das kann mehrere Tage oder auch Wochen dauern, aber irgendwann solltest du den Großteil haben". Ich wusste nicht, ob mich das beunruhigen sollte. Ich wusste nur noch, dass ich jetzt dringend raus und nachdenken musste. "Vielen Dank für deine Hilfe, Damian. Ich weiß das sehr zu schätzen. Aber ich muss das jetzt erstmal verarbeiten, also..." "Ja, ich versteh schon. Ich will euch auch nicht länger aufhalten. Aber kommt mal wieder her", sagte er freundlich. "Unbedingt".
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"Wow", sagte Allison fertig auf dem Weg. Ich wusste nicht einmal, wohin wir gingen. Ich wusste nur, dass ich nicht nach Hause wollte. War das überhaupt mein Zuhause? Ich wusste es nicht. Ich blieb stumm und beteiligte mich nicht, als Jake und Allison sich über das gerade Gehörte unterhielten. Ich bekam auch kaum mit, wie Allison einen Anruf erhielt, ihn mit einem 'Ich komme sofort, ja?', beendete, sich entschuldigte und davoneilte. Dass ich jetzt mit Jake alleine war, realisierte ich erst ungefähr hundert Meter später. Ich schloss zu ihm auf und eine Weile liefen wir stumm nebeneinander her. Irgendwann dirigierte er mich in eine Straße, die garantiert nicht meine war. Dass diese Straße zu seinem Haus führte, wurde mir erst klar, als er einen Schlüssel aus seiner Tasche zog. Ich war zu überfordert, um mich zu beschweren oder überhaupt etwas zu sagen. Meine Fähigkeit, zu sprechen, entdeckte ich erst wieder, als Jake mich die ganze Treppe zu seinem Zimmer hoch schob und dann hinter sich die Tür schloss. "Du wirkst irgendwie nicht überrascht", war das erste, was ich sagte. "Ich weiß. ich will nicht sagen, dass ich es gewusst habe, aber du hast mich so an sie erinnert. So wie sie an ihren guten Tagen war. Schon als ich dich zum ersten Mal gesehen habe, wusste ich es irgendwie. Und dann die Party... hör zu, ich schließe jetzt nicht von ihr auf dich. Du bist du und Elody war Elody. Aber dass du etwas von ihr hast, macht es mir leichter, zu akzeptieren, dass ich etwas für dich empfinde. ich möchte nur, dass du weißt, dass ich das nur für dich empfinde und nicht für die Person, die du warst. Also natürlich empfinde ich irgendwie auch etwas für Elody, aber nicht so". Ich hatte mit fast allem gerechnet. In meinem Kopf hatten sich die verschiedensten Szenarien abgespielt, von 'Ich will nie wieder etwas mit dir zu tun haben, du Hexe' bis 'Oh mein Gott, endlich habe ich dich wieder, Elody' war ungefähr alles dabei gewesen, aber nicht das. Mein Gehirn entschied sich zu der spontansten Kurzschlussreaktion, die mir eingefallen war. Ich ging auf ihn zu und küsste ihn. Es war anders als bei der Party. Es war so viel schöner. Niemand von uns hatte das Gefühl, einen Fehler zu machen und es fühlte sich komplett richtig an. All meine Gedanken waren auf Jake fixiert, auf seine Lippen, seine Berührungen, seine Hände...
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DIE TWICE
FantasyAls Ruby nach Minnesota zieht, begegnet sie nicht nur Jake, der noch immer den Tod seiner Freundin verarbeitet, sondern hat auch das Gefühl, dass sie das alles schon einmal erlebt hat. Schnell wird ihnen klar, dass Ruby und Elody, Jakes tote Freundi...