Kapitel 17

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"Ruby, bist du dir auch ganz sicher? Wir können uns immer noch jemanden dazuholen!". Jakes Einwände waren nicht gerade hilfreich. Mit jedem Wort wurde der Riss in meinem Selbstbewusstsein größer und größer. Noch zu hause hätte ich Damian am liebsten in Grund und Boden gestampft, aber mittlerweile überwog die Angst, dass er mich in Grund und Boden stampfte. Und das vermutlich zweimal. Trotz meinen Zweifeln gab ich mich entschlossen. Ich musste das einfach durchziehen. "Ja, ich bin mir sicher. Sehr sogar. Ich werde da jetzt reingehen". Mit 'da' meinte ich die kleine Werkstatt, die links neben Damians bescheidener Hütte angebracht war. Aus dieser notdürftig mit Wellblech abgedeckten Einrichtung kamen nämlich die Geräusche eines Bohrers und einer Laubsäge. Vielleicht machte er gerade ein neues Regal, vielleicht werkelte er auch schon an meinem Sarg herum. Bei Damian wusste man ja offensichtlich nie. Mit einem langen Atemzug fasste ich all meinen Mut zusammen und ging die paar Schritte zu dem Eingang der Werkstatt. Jake würde draußen warten und notfalls eingreifen. Wir hofften beide inständig, dass dieser Notfall nicht eintreten würde. Energisch stieß ich die Tür auf und trat ein. Von innen sah der kleine Schuppen kaum besser aus. In der Mitte stand ein großer Werktisch, alle möglichen Gegenstände lagen darauf herum oder hingen an den Wänden oder von der Decke. Damian stand schräg hinter dem Tisch und bearbeite ein Holzbrett mit einer Laubsäge. ich atmete erleichtert auf, da es nicht so aussah, als würde er an einem Sarg arbeiten. "Du lügst". Das war das erste, was ich zu ihm sagte. Überrascht sah er auf und seine Miene erhellte sich, als er mich sah. Meine Aussage überging er geflissentlich. "Elody! Wie schön, dich zu sehen! Hast du schon ein paar der Erinnerungen zurück?". Bedrohlich ging ich auf ihn zu. "Erstens, mein Name ist nicht Elody. Und zweitens: Ja! Und ich habe Dinge gesehen, die ich glaube ich nicht hätte sehen sollen". Ich hatte es geschafft, Damians perfekte Maske bekam einen kleinen Kratzer. Aber er ließ sich nicht beirren. "Ach wirklich? Und was soll das sein, was so schrecklich war, dass du mich unbedingt an einem Samstag stören musst? Kommt dein kleines Herz nicht damit klar, deinen Jake teilen zu müssen?", fragte er. Er war gut, dass musste ich ihm lassen. Aber ich ließ mich nicht einschüchtern. Ich war ihm immer noch einen Schritt voraus, wenn auch nur einen kleinen. "Du hast Elody getötet", sagte ich gerade heraus. Damians Aufatmen war leise, aber ich hörte es trotzdem. Das hatte er nicht erwartet. "Das kam dir natürlich sehr gelegen, oder? Niemand hat es bemerkt. Du konntest sie problemlos erschießen und ihr die Waffe in die Hand drücken. Du hast sie nicht nur zu einer Toten, sondern zu einer Mörderin gemacht. Clever, das muss ich dir lassen. Aber du hast eines nicht bedacht: ich weiß es, weil du meine Erinnerungen zurückgebracht hast. Wieso solltest du das tun?". Meine Provokation funktionierte, ich hatte seine volle Aufmerksamkeit. Nur noch ein Stückchen, dann hatte ich ihn. "Und was ist mit Ezra? War der Autounfall etwa auch seine Schuld? Musste auch er sterben für deine Pläne? Oder war er nur ein Mittel zum Zweck, dein eigener Bruder?". Ich war von mir selbst überrascht, aber ich hatte es mit ein paar Sätzen geschafft, ihn zu knacken. "Was weißt du schon? Das hier ist so viel größer als alles, was du dir vorstellen kannst. Du denkst, du weißt alles, aber in Wirklichkeit hast du nur ein kleines Puzzleteil in der Hand. Und vergiss nicht, ich war es, der dir dieses Puzzleteil überhaupt ermöglicht hat. Es wäre so oder so egal gewesen, deshalb habe ich es dir gezeigt. Ich wusste nur nicht, dass es so schnell gehen würde. Aber das ist auch egal, es ist alles vorbereitet", sagte er, stürmte auf mich zu und hatte mich im Bruchteil einer Sekunde überwältigt. Mein Überlegenheitsgefühl verpuffte und ich versuchte, mich zu wehren. Damian schubste mich gegen eine Wand und ich gab meine Mühen auf und konzentrierte mich auf mein immer kleiner werdendes Sichtfeld. Ich durfte jetzt bloß nicht mein Bewusstsein verlieren. Ich fühlte etwas nasses an meinem Hinterkopf und stöhnte gequält auf, als der Schmerz mich traf, wo mein Kopf eine Zange erwischt hatte. Diese kurze Zeit meiner Weggetretenheit nutzte Damian aus, um mich auf dem Boden zu drücken und meine Hände geschickt hinter meinem Rücken zu fesseln. Ich hoffte inständig, dass Jake den Krach gehört und richtig interpretiert hatte. Wenn nicht, wäre ich verloren, dass wusste ich jetzt. Aber ich konnte vielleicht noch ein paar Antworten rausholen. "Was hast du jetzt vor? Mich töten? Dann kannst du danach aber lange suchen! Nochmal werde ich dir nicht zufällig ins Netz gehen". "Ich weiß, das wirst du auch nicht. Aber es wird auch kein nochmal geben. Du wirst hier und jetzt dein letztes mal sterben". Die Sicherheit in seiner Stimme machte mir mehr Angst, als ich zugeben würde. Was meinte er damit? Meine Frage wurde wenige Sekunden später beantwortet, als Damian einen kleinen Wandschrank öffnete und ein Fläschchen herausholte. Darin war eine durchsichtige Flüssigkeit. "Das hier, meine Liebe, ist ein Serum, dass dir all deine Leben entziehen wird. Dann hast du nur noch dieses eine", er grinste "obwohl, das ja auch nicht mehr lange". Seine Stimme triefte nur so vor gespieltem Mitleid und wenn ich gekonnt hätte, hätte ich ihm die Füße weggetreten. "Warum?", brachte ich hervor. "Warum? Wie gesagt, du hast nur ein kleines Puzzleteil. Ich sag euch ja nicht alles, ich bin ja nicht dumm. Da ist nämlich ein kleiner nicht unwichtiger Teil der Legende, den ich euch vorenthalten habe. Wenn du mir gestattest?". Ich nickte leicht. 

"Aus dieser Geschichte geht hervor, ein Familienmitglied, das alles verlor. Denn wenn er die Blacks vom Leben befreit, wird er sein bis in alle Ewigkeit. Für diese tat ist er bereichert, mit einer Fähigkeit, die es ihm erleichtert, Seelen zu orten und zu steuern, um seinen Körper nach belieben zu erneuern. Doch Tode bleiben auch ihm nur drei, es sei denn das Leben aller Blacks ist vorbei".

Wow. Das war reichlich beschissen für meine Situation. So, wie ich das verstanden hatte, sah Damian sich als sowas wie den Auserwählten. Und er hatte eine Mission. Und für diese Mission hatte er sogar Fähigkeiten. "Du kannst die Seelen sehen und entscheiden, in welchen Körper du gehen willst?", kombinierte ich. "Ganz richtig. Was glaubst du, wie ich mich gefreut habe, als ich diese Legende fand. Mein Leben hatte endlich einen Sinn. Aber ich musste mir ganz sicher sein. Was ein glücklicher Zufall, dass mein Bruder Ezra mir erschreckend ähnlich sah. Niemand hatte es bemerkt, nicht einmal meine eigene Mutter. Ezra war in dem schrecklichen Autounfall umgekommen. Genau wie ich. Nur mit dem Unterschied, dass ich in Ezras Körper wechselte und er jetzt in der Bretagne hockt. Nicht mehr lange, dann werde ich auch ihm einen letzten Besuch abstatten". Damian war gestört, sonst nichts. Und mir war sehr wohl bewusst, dass ich mit diesem Gespräch nur ein wenig Zeit rausholte. Aber ich hörte nicht auf. Noch hatte er nicht gewonnen. "Und Elody? Wieso lebe ich noch, wenn du dieses wunderbare Serum hast?". "Die Kleine hat rumgeschnüffelt, noch bevor ich das Serum fertigstellen konnte. Ich wusste, wie viel Arbeit mir das machen würde, aber ich konnte das Risiko nicht eingehen. Also tötete ich sie zuerst. Aber jetzt bist du ja da. Und nichts wird dich jetzt retten". Ich fing an, ihm zu glauben. Schrecklich langsam zog er eine Spritze mit der klaren Flüssigkeit auf. Ich drückte mich so nah wie es ging an die Wand. Ich betete, dass Jake irgendwie bemerken würde, dass ich Hilfe brauchte. Mit zwei schnellen Schritten war Damian bei mir und rammte mir die Spritze in den Hals. Ich schrie auf, als sich das Serum kühl und schwer in meinem ganzen Körper ausbreitete und ein brennendes Loch in meinem Herzen hinterließ. Es hatte funktioniert, das spürte ich. Mein letztes Leben war erloschen, und somit auch meine Hoffnung. Ich würde hier und jetzt sterben und nicht wiederkommen. Ich schloss die Augen und bereitete mich darauf vor. So war es nie geplant gewesen. Ich hatte sterben wollen, umringt von den Leuten die ich liebte und nicht von einem Wahnsinnigen. Ich hatte Jake doch noch sagen müssen, dass er alles war, was ich brauchte. Ich hatte Allison sagen müssen, das sie es mit Noah bloß nicht vermasseln sollte. Ich hatte meinen Eltern sagen müssen, dass die kurze Zeit, die ich in Erinnerung hatte, die beste meines Lebens war. Tränen stiegen in mir auf und ich hob meine Hände über den Kopf. Was ein lächerlicher Schutz gegen jemanden, der nicht davor zurückschreckte, seine ganze Familie zu töten. Ein dumpfer Schlag riss mich aus meinen Gedanken. Ich öffnete meine Augen und sah, das Damian vor mir wie in Zeitlupe zusammensackte und auf dem Boden aufkam. Hinter ihm konnte ich eine Silhouette ausmachen. Jake! Vor Erleichterung fing ich an zu schluchzen. Jake rannte auf mich zu und machte mich los. "Oh mein Gott Ruby. Ich dachte, ich hätte dich verloren". Er drückte mich nah an sich und trug mich aus der Werkstatt heraus, bis hinter die Hütte. Dort setzte er mich vorsichtig auf das Gras und betrachtete meine Wunde am Hinterkopf. "Das ist nur ein Kratzer, das sieht schlimmer aus, als es ist", gab er Entwarnung. "Jake, er... Er hat mir mein letztes Leben genommen und er kann sich aussuchen, in welchen Körper er wechselt. Jake, er will seine komplette Familie töten!". Mein Handy klingelte. 

"Es gibt einen Teil der Legende, den er uns nicht gesagt hat". 

Klingelingeling.

"Er hat auch seinen Bruder getötet".

Klingelingeling.

"Er ist gar nicht mehr in seinem eigenen Körper, sondern in Ezras".

Klingelingeling. Genervt nahm ich ab.

DIE TWICEWo Geschichten leben. Entdecke jetzt