Kapitel 10

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"Ruby, jetzt geh schon! So günstig ist die Chance erst nächsten Montag wieder. Da sind Noah und Jake nicht zusammen zum Mittagessen eingeteilt", zischte Allison. Ich fragte mich gar nicht mehr, woher sie sowas wusste. Sie konnte die Stundenpläne aller auswendig, die nur im geringsten etwas mit ihr zu tun hatten. Aber sie würde schon Recht haben. Ich musste die Chance nutzen, um herauszukriegen, was mit mir los war. Und mit Jake zu reden war der erste logische Schritt dahin. Aber ich zögerte. Ich hatte seit dem Kuss nicht wieder mit Jake gesprochen, was mich annehmen ließ, dass er das Ereignis entweder vergessen hatte, oder vergessen wollte. Was ich respektierte. Aber trotzdem fühlte es sich falsch an, ihn jetzt über Elody auszuquetschen. Denkbar schlechter Zeitpunkt, Ruby. Aber irgendwie musste ich ja anfangen. Ich fasste mein Tablett fester und schaute noch einmal zu Allison, die mir aufmunternd zuzwinkerte. Langsam ging ich zwischen den Tischen hindurch zu dem Platz, an dem Jake saß. Wie immer in einem grauen Hoodie, der sein halbes Gesicht im Schatten ließ. Langsam zog ich den Stuhl zurück und setzte mich ihm gegenüber. Er schaute auf und ich konnte kurz Panik in seinen Augen aufblitzen sehen. Er hatte es also nicht vergessen und kam jetzt in Erklärungsnot. Die drückte ich ihm aber direkt ab, als er ansetzte. "Ich bin nicht hier, um über Samstag zu sprechen. Wir müssen nicht darüber sprechen. Ich wollte dich etwas fragen. Etwas Verrücktes. Und deshalb will ich, dass du mir erst zuhörst, bevor du die Psychiatrie kontaktierst, okay?". Er nickte verwirrt. "Also, seit ich hier wohne, hatte ich immer wieder das Gefühl, schonmal hier gewesen zu sein. Am Anfang hab ich es auf Stress geschoben oder Trauma oder sowas. Aber es wurde immer schlimmer, bis ich mich ganz genau an Dinge erinnern konnte, die ich nie getan habe. Und hier kommst du ins Spiel. Als wir uns geküsst haben, da habe ich mich daran erinnert. Das bringt mich zu deiner Freundin. Ich wohne in dem Haus, in dem ihre Familie früher gewohnt hat. Und ich habe oben auf dem Dachboden eine Kiste gefunden. Darin waren Fotos. Von dir und ihr, von Allison und ihr, von ihrer Familie. Da waren Bücher mit Gedichten, an die ich mich erinnern konnte. Ich wusste, wie ich sie geschrieben hatte, ich wusste auch wie du ihr die Rose gegeben hast und das alles nicht, weil jemand es mir erzählt hat. Ich habe mit Allison darüber gesprochen, aber nach langem Überlegen hat sie gesagt, dass kein Weg darum herum führt mit dir zu reden. Ich wollte dich nicht damit nerven, aber ich möchte wirklich wissen was verdammt noch mal mit mir los ist. Ich brauche deine Hilfe Jake. Bitte. Du musst mir sagen, was du weißt", beendete ich meinen Bericht. Jake sah mich nur an, unfähig etwas zu sagen. Man konnte alles in seinem Gehirn arbeiten sehen, als er versuchte, das eben Gehörte irgendwie einzusortieren. Als er fertig war, atmete er schwer aus und setzte dann an, etwas zu sagen. "Ich sage dir das jetzt nicht als Elodys Freund, sondern als deiner. Ich habe absolut keine Ahnung wer oder was du bist". "Aber du bist nicht... überrascht?", fragte ich ihn. "Um ehrlich zu sein nein. Elodys Familie war schon immer sehr geheimnisvoll. Sie haben kaum jemanden an sich rangelassen. Besonders seit diesem Autounfall. Elodys Onkel, Damian Black, hat vor einigen Jahren angefangen, wilde Fantasien zu verbreiten, irgendwas mit einer Legende über die Familie. Im einzelnen weiß ich das nicht. Der Rest der Familie hat ihn irgendwann rausgeschmissen und als alle anderen nach Elodys Tod umgezogen sind, ist er geblieben. Er wohnt in irgendeiner Hütte und spinnt weiter irgendwelche Theorien über Wiedergeburt und Unsterblichkeit. Wenn du meine Meinung willst, der Typ ist total durchgeknallt. Hat den Tod von seinem Bruder nicht verkraftet. Falls du wirklich rausfinden willst, was mit dir los ist, musst du zu ihm. Aber das ist echt nichts für schwache Nerven. Der Typ ist überzeugend wie ein Staubsaugervertreter. Wenn der will, kriegt der dich dazu, das zu glauben, was er erzählt. Ich muss aber auf jeden Fall mitkommen. Ich lass dich nicht alleine mit diesem Irren reden. Und Allison kannst du auch mitnehmen. Wir stecken da schon zu tief drin. Morgen Nachmittag hab ich Zeit. Direkt nach der Schule. In der letzten haben wir Bio zusammen". Ich wusste nicht, wie ich mich fühlen sollte. Die Ernsthaftigkeit mit der Jake mein Problem behandelte, verschaffte mir ein mulmiges Gefühl im Bauch. Er schien mittlerweile auch zu glauben, dass an der Sache mehr dran war, als die Blacks behaupteten. Vielleicht war auch mehr an Elodys Tod dran als alle dachten. Ich musste die Hand ergreifen, die Jake mir entgegenstreckte. Auch wenn das vielleicht einige Schwierige Konsequenzen mit sich zog. Aber ich war bereit, das zu riskieren. "Abgemacht", sagte ich nur und klang dabei sehr viel entschlossener als ich mich fühlte. Wer ging nicht gerne den Gründen seiner Existenz auf den Grund? Ich wollte schon wieder aufstehen, da holte Jake noch einmal Luft. Gespannt ließ ich mich wieder auf meinen Stuhl sinken. "Und was, wenn ich gerne über Samstag reden würde?". Die Frage traf mich wie eine Atombombe. Schnell schluckte ich meine Nudeln herunter, bevor sie mir vor Schreck aus dem Mund fielen. Ich konnte nur einen Handbewegung machen, um ihn zum reden zu motivieren. Es interessierte mich wirklich, was er zu sagen hatte. " Ich bereue das nicht. Ich wollte, das du das weißt. Ich fand den Kuss schön. Und ich würde ihn gerne wiederholen. Irgendwann. Wenn du willst natürlich". Mein Verstand hatte sich mal wieder komplett abgeschaltet. Ich zwang mich zu irgendeiner körperlichen Reaktion, aber mein Körper hatte leider nur ein heftiges Nicken übrig. Ich musste es ja auch echt immer versauen. Schnell stand ich auf, wobei mein Stuhl laut quietschend über den Boden schrappte. Mein Gesicht wurde noch etwas röter und ich drehte mich schnell um. Ich nahm mein Tablett und eilte zu Allisons Tisch. Diese sah mich bereits abwartend an. "Sieht so aus, als hätten wir morgen was vor".

DIE TWICEWo Geschichten leben. Entdecke jetzt