Analoge Analogien beim axiomatischen Stresswichteln -1-

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Kapitel 7 Analoge Analogien beim axiomatischen Stresswichteln ~ Teil 1

Kain. Mann meiner anhaltenden und kühnsten Gefühlsirritation. Mit ihm habe ich nicht gerechnet und genau das macht mir auch das anschwellende Pochen in meiner Brust deutlich. Der Überraschung folgt Wärme, die tief aus meinem Inneren dringt und meine Fingerspitzen zum Glühen bringt. Doch sie wechselt ebenso schnell hin zu einem leichten Unbehagen, welches feinzwiebelnd durch meine Nervenbahnen rinnt und meine Hirnwindungen in eine Achterbahn voller Fragewörter mutieren lässt. Der große dunkelhaarige Mann hängt seinen Mantel an der Garderobe auf, während meine Schwester zwischen mir und ihm hin und her sieht. Jedes Mal ändert sich spielerisch ihr Gesichtsausdruck, so als würde sie versuchen zu ergründen, welcher davon meine aktuelle Gefühlslage widerspiegelt. Oder seine. Beim letzten Schwenk streckt sie mir die Zunge heraus, weil es ihr nicht gelingt. Doch meine wirkliche Aufmerksamkeit liegt bei Kain.

„Frohe Weihnachten!", grüßt er lächelnd und bemüht ruhig. Er greift nach einem rot-beige gesprenkelten Weihnachtsstern, der auf der Kommode abgestellt ist oder der bereits dagestanden haben könnte, ohne dass ich es die letzten Tage bemerkt habe. Kain wirkt trotz des Weihnachtsbeiwerks seltsam deplatziert in dem kunterbunten Wahnsinn, der sich unser Flur schimpft und den ich nur mit geschlossenen Augen durchschreiten kann. An Lenas Finger baumelt eine Präsenttüte, die die perfekte Form für Weinflaschen hat. Er ist bestens vorbereitet. Meine Schwester schürzt die Lippen, ehe sie sie zu einem Grinsen verzieht und sich zu mir rüber lehnt. Sie wackelt mit den Augenbrauen und deutet Kains offensichtlichen Bart an. Sie hat ihre Freude an der ganzen Situation. Ich überbrücke die Distanz zwischen uns mit gezwungener Ruhe und bleibe neben ihm stehen. Selbst meine Hand streckt nach ihm aus, doch dann setzt das Zögern ein. Und es ist gut so, denn direkt hinter mir taucht meine Mutter im Flur auf. Auch sie empfängt Kain mit einem überraschten Weihnachtsgruß.

„Hi. Bitte entschuldigt mein unerwartetes Auftauchen, aber ich...ich musste... ähm..."

„Plötzlich fliehen? Die Welt retten? Dem Weihnachtsmann beim Verteilen der Geschenke helfen? Kein Problem, wir sind verschwiegen", witzelt Lena. Der Schwarzhaarige lacht und ich werfe meiner Schwester einen zugegebenermaßen leicht verstörten Blick zu. Dennoch ringt Kain weiter mit den Erklärungen und streckt, statt weiter zu stammeln, den Weihnachtsstern in Mamas Richtung. Sie lacht fröhlich auf, nimmt das kleine Geschenk dankend entgegen, was daraufhin deutet, dass die schamlose Bestechung funktioniert. Sie schaut zufrieden zu mir. Ich zucke unwissend mit den Schultern und suche Kains Blick. Er lächelt, ohne, dass es sein gesamtes Gesicht erreicht. Etwas stimmt nicht, das sagt mir auch die Unruhe in seinen Bewegungen. Es ist unscheinbar, aber da, wie die Fingerspitzen der freien Hand, die gegen seinen Oberschenkel klopfen. Die Tatsache, dass er mehrere Male in einem unbestimmten Rhythmus zurück und wieder vortritt. Die bunten Lichter im Türrahmen verstärken den Eindruck, während sie wirr wie bunte Comicpanel über sein Gesicht flackern.

„Wie aufmerksam von dir, danke sehr. Komm rein, komm rein. Hast du schon etwas gegessen? Wir haben Würstchen und Kartoffelsalat. Du bist sicher durchgefroren. Lena, setz bitte Wasser auf", plaudert meine Mutter drauflos, noch bevor ich einschreiten kann und tätschelt ihm willkommen heißend den Oberarm. Kains angespannte Schultern senken sich. Als hätte er geglaubt, dass wir ihn rausschmeißen. Lächerlich. Das würden Lena und Mama niemals zu lassen. Eher verbannen sie mich wegen Lächerlichkeiten in den Schuppen.

„Klingt fantastisch. Vielen Dank, ich...", setzt er an.

„Ja, absolut fantastisch, entschuldigt uns kurz", schneide ich ihm das Wort ab, greife mir Kains Rucksack, der an der Kommode lehnt, packe den Schwarzhaarigen gleichzeitig am Ärmel seines Pullovers und ziehe ihn mit mir mit. Bereits auf dem halben Weg nach oben löse ich meinen festen Griff und halte den Zipfel des Stoffs nur noch locker. Kain trottet mir anstandslos hinterher. Vor meinem Zimmer überholt er mich, nimmt mir dabei den Rucksack aus der Hand und läuft als Erster in den Raum.

Between the Lines Chapter 2 - It's more than just wordsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt