KAPITEL 2

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Teddy

Ein Hahnenschrei ließ die Verlorenen aus ihren Plumeau fallen und verschlafend blinzeln. Die Sonne war noch nicht einmal richtig aufgegangen und dennoch wahr Peter schon hellwach; hangelte sich von Ast zu Ast und pfiff die Jungen aus ihrem Schlaf: "Na los ihr faulen Ratten, es ist Zeit aufzustehen und sein Leben zu leben! Hop hop und raus aus den Federn, denn der Tag ist noch jung und will unvergesslich gemacht werden!" Pan's Lachen schallte glockenklar durch das Hauptquartier, blies damit die Müdigkeit von jedem der fünf Jungen. Nur ich lehnte am Rande des Schlaflagers und beobachtete das alltäglich, morgendliche Ritual. Wie die verlorenen wie auf einen Schlag hellwach wahren und freudig, gespannt darauf warteten was Peter als Nächstes Sagen würde; welches Spiel er sich für den heutigen Tag ausgesucht hatte. Jeder einzelne sprang auf und versammelte sich um unseren Anführer, so als währe er keine vier Monate weg gewesen. Als hätte er uns keine sechzehn Wochen uns selbst überlassen, in einem Land welches zwar unsere (neue) Heimat, aber alles andere als sicher war. Und dennoch schenkte ihm jeder Junge seine ungeteilte Aufmerksamkeit.

Auch ich gesellte mich zu meiner Truppe hinzu und lauschte den Plänen des schwarzhaarigen. Wie ein Prophet hatte sich dieser nun vor uns aufgebaut und stemmte voller Tatendrang seine Fäuste in die Hüften.
"Meine lieben Verlorenen!", begann er seine Rede und musterte uns eingehend, um die Spannung noch mehr ansteigen zu lassen, "Zu erst einmal, will ich mich entschuldigen das ich euch in den letzten Tagen alleine gelassen habe, ohne mein Verschwinden anzukündigen." Überrascht hob ich meine Brauen. Für gewöhnlich 'entschuldigte' sich Peter Pan nämlich nicht - niemals. Er war ehr die gegenteilige Persönlichkeit, die frech und ohne Sorge umher spazierte, sich nur für sein eigenes Ego interessierte und lediglich mit den Schultern zuckte, hatte er mal etwas getan, was unangenehme Folgen mit sich brachte. Nun ehr misstrauisch verzog ich mein Gesicht, da ich mir denken konnte, dass diese Worte nicht ohne Grund seinen Mund verlassen hatten. Die anderen fünf beteuerten in einem lauten Stimmengewirr, dass es kein Problem sei. Besonders Felix, der älteste unter uns, brüstete sich damit, dass er uns im schlimmsten Falle vor jedem Angreifer hätte verteidigen können.
"Sicher doch.", stimmte ich dem Blondem sarkastisch zu, wodurch ich mir einen bösen Seitenblick von ihm einfing und ein gezischtes: "Klappe, Knirps!" Unbeeindruckt widmete ich mich wieder Pan und seinem glorreichem Monolog. "Aber nun bin ich wieder zurück und habe mir gedacht, dass wir die vergangene Zeit gemeinsam aufholen und uns Dingen widmen sollten, die das Adrenalin in unseren Adern zum brodeln bringt! Und wie soll das Bitteschön besser gehen, als mit einem kleinem Abenteuer, mh? Mit einer winzigen Meuterei gegen unsere verhassten Piraten? Also schnappt euch eure Schwerter und Waffen und lasst uns losziehen in den Kampf, um den Landfischen zu zeigen, wer auf wessen Speisekarte steht!"

Zustimmend brachen die Verlorenen in Jubel aus, klatschten und liefen los, bereit sich in ein neues Abendteuer zu stürzen. Das irgendwann eines davon tödlich enden könnte, darüber dachte keiner auch nur nach.

~•~

"Da vorne.", Lee zeigte Richtung Klippen und tatsächlich kam hinter ihnen geradewegs die Rubin zum Vorschein. Das in die Jahre gekommene Schiff, mit den unverkennbaren roten Segeln war riesig und funkelte auf dem Meer wie ein verloren gegangener Edelstein, hoffend irgendwann von seinem Fluch befreit zu werden. Leicht kniff ich meine Augen zusammen, um über die Ferne hinweg die Männer an Bord besser beobachten zu können. Einige von ihnen wuselten über Deck, während andere an der Reling standen und die Beiboote klar zur Überfahrt machten. Ein gekonnter Ablauf, der nicht zum ersten Mal gemacht wurde. Mein Blick wanderte weiter nach achtern, zum Heck und dem Steuerrad des Schiffes, an dem niemand anderes als der Captain höchstpersönlich stand. Der noch recht junge Mann trug wie immer, passend zu seiner geliebten Rubin einen ebenfalls roten Mantel, während er seine langen, weißen Haare im Nacken zusammengebunden hatte.

"Wann greifen wir an?", fragte Felix. Ich wand mich zu Peter dessen Mundwinkel schon vor freudig nach oben zuckten und der es augenscheinlich kaum noch abwarten konnte, endlich zu spielen.

"Genau jetzt!"

Pfeilschnell schoss der schwarzhaarige, aus unserem Sichtschutz heraus, sprintete über den schmalen Kamm hinweg und ließ sich schließlich jauchzend die Klippen hinunter fallen. Augen verdrehend folgte ich ihm und mit mir auch die restlichen Verlorenen.

Geübt rollte ich mich ab, als ich dumpf auf den Planken der Rubin landete. Überrumpelt von unserem plötzlichem Auftauchen drehten sich die Piraten zu uns um; haschten nach den Griffen ihrer Säbel.

"Ach Nein, wer kommt uns denn da besuchen?", Hook trat hinter dem Steuerrad hervor und verzog gefälscht nett sein Gesicht, "Wenn das Mal nicht Peter Pan's lästige Bengel sind. Wo ist denn euer 'Anführer'? Hat er etwa Angst bekommen, sich mir gegenüber zu stellen?"
"Und wovon träumst du Nachts, alter Mann?" Pan stand hinter dem Captain, auf der hölzernen Balustrade und grinste auf ihn herab.
"Von dir.", Hook drehte sich zu ihm, "Jede einzelne, gottverdammte Nacht die ich auf diesem Schiff verbringen muss, träume ich von dir, Peter Pan." Gerade als der schwarzhaarige darauf antworten wollte, gab Hook seiner Crew ein kaum merkliches Handzeichen, was den ersten dazu aufforderte sich auf mich zu stürzen.

Rechtzeitig duckte ich mich unter dem Hieb des Piraten hinweg und zog aus meinem hinteren Hosenbund, meine beiden Dolche heraus. Die schwarzen Klingen hatte ich damals mit nach Nimmerland genommen, als mich Peter gefunden hatte und bis heute waren sie meine liebste Waffe, da sie nicht nur viele Erinnerungen mit sich zogen, sondern weil die langen, dünnen Schneiden sich einfach perfekt an meine Hände und Unterarme anpassten. Während ich mich mit der rechten Hand des Captain auseinandersetzte, begannen nun auch die anderen zu kämpfen und ein Tumult aus metallischem Klirren und Schreien brach aus. Immer wieder parierte ich die schlappen Versuche mich zu entwaffnen, doch schlug selber nicht zurück. Viel mehr hatte ich ein Auge auf die anderen Jungs, während ich schielend nach Peter und Hook Ausschau hielt. Beide entdeckte ich schließlich immer noch achtern stehend, wo der langhaarige probierte den jüngeren aus der Luft zu pflücken, welcher jedoch nur schadenfroh jedes Mal ein Stückchen höher flog. Nebenbei schienen sich die beiden auch noch zu unterhalten, was ich durch die Entfernung und den Lärm allerdings nicht verstehen konnte.

"Hey!", rief mein Gegner mir zu und schaffte es mich zu Fall zu bringen, "Sich auf dem Schlachtfeld zurück zu halten ist schwach, Kleiner." Demonstrativ spuckte mir der Pirat ins Gesicht und pinnte mit seiner Pranke meinen Brustkorb an den Boden.
"Und weißt du, was tödlich ist?", mit meinem Finger lockte ich sein vernarbtes Gesicht dichter an meines und flüsterte dann unheilvoll, "Den stärkeren zu verhöhnen!" Mit einem einfachen Tritt zwischen die Beine konnte ich den Ballast, der auf mir drauf hockte loswerden. Zischend schnappte der Pirat nach mir, griff jedoch aber in die Leere was ihn sein Gleichgewicht kostete. Dies nutze ich aus, packte den Mann am Nacken und ließ schlussendlich meine Klinge für mich sprechen.

Leblos, mit einem klaffendem Lächeln in der Kehle fiel der Seeräuber zu Boden und färbte mit seinem Blut die Planken in ein dunkles rot. Mich nicht länger als nötig mit der Leiche aufhaltend, wand ich mich Richtung Heck, wo Peter weiterhin den Captain der Rubin auf Trapp hielt. Mein Blick ging wieder zurück zu den anderen Verlorenen, die immer noch tapfer kämpften. Lee war gerade dabei seinen Bruder Milo vor einem hinterrücks gestarteten Säbelhieb zu beschützen, während Felix mit Josh und Farin die restlichen Piraten bestrebten zu umzingeln. Sie alle waren schon leicht aus der Puste und trugen Blessuren davon, dennoch stand in ihnen noch der kindische Wunsch weiter zu machen.

Gerade als ich mich erneut zu Pan umdrehen wollte, schreckte ich auf da Captain Hook schlagartig neben mir aufgetaucht war. Überrumpelt von der plötzlichen Nähe, taumelte ich nach hinten; suchte Halt an dem rotem Mantelkragen des weißhaarigen. Dabei erfasste ich eine der vielen Ketten, die um seinen Hals hingen und riss sie mit mir. Bevor der junge Mann jedoch irgendwas bemerken konnte, hatte Peter sich von hinten an in ran geschlichen und stieß ihn grob von mir weg.
"Wehe du kommst ihm noch ein mal so nahe, Bastard!", drohte ihm der schwarzhaarige, mit unnatürlicher tiefer Stimme und baute sich schützend vor mir auf, "Sonst wird deine ewige Verdammnis zu deinem kleinsten Problem werden." Ein schreckliches Lachen drang aus Peter's Brust und ließ das Schiff erzittern.

"Jungs, lasst uns von hier verschwinden - hier stinkt es mir zu sehr nach alten Männern!"

Damit hieß es für uns Rückzug.
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Darkness exist to make light truly count.~Mellarie-Bellancia

Nimmerland - Forever deathWo Geschichten leben. Entdecke jetzt