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Sie schlägt ihre Augenlider auf und starrt Abraham an.

Zusammengekauert hockt Es auf dem Platz und gaukelt.
Es wirkt wie ein Wolf, das schläft und im Traum etwas murmelt.
Aus dem Nichts schnellt Es den Kopf zu Bradley.
Es ertönt ein Aufschrei und rennt zu Bradley und drückt ihn gegen die Stange, wo man normalerweise die Halteknöpfe betätigen kann.
Speichelfäden und Schaum fließen aus dem Mund und Es bekleckert damit Bradleys Shirt.

Bradley packt Es an den Haaren, in der Hoffnung, dass er so die Bisse weghalten kann, die Es ihm verabreichen möchte.
Das Resultat ist das Haarbüchel in seiner Hand.

Mit seinem hektischen Atmen bringt er Es noch mehr zum Schreien und Es schlürft die Speichelfäden und den Schaum, der aus seinem Mund geflossen ist, wieder hoch.

Man hört von weiterer Entfernung die Sirenen der Polizei.

Einige im Bus klammern sich an ihre Sitze und Stangen und fangen an zu weinen.
Irgendwer muss sie alarmiert haben ...

»Ah, verdammte scheiße!«, brüllt Ellens bester Freund und krallt seine Finger in die Schultern des Wesens und seine Fingernägel bohren sich immer tiefer in das Fleisch von Abraham, sodass das Blut schon hervorquillt.

Ellen reißt ihre Augen auf, als sie realisiert, was da gerade Passiert, und springt kerzengerade auf, doch wird zur gleichen Zeit wieder umgestoßen.
Ihr Schädel wird wegen des fahrenden Busses gegen die Scheibe geschmettert und ein pochender Schmerz bildet sich.
Sie legt ihre Hand auf die Stelle und versucht ihre Balance zu finden, doch verliert durch einen Ruck (der von einem Gullydeckel erzeugt wurde, als der Bus drüber gefahren ist) das bisschen Gleichgewicht, welches sie aufbauen konnte und kniet auf dem Boden auf alle Vier und vergräbt ihre Finger in ihren Haaren.
„Komm schon, so schwer kann es doch gar nicht sein!"
Ich muss Bradley helfen, irgendwie ...
Das muss doch wesentlich einfacher sein, als das, was er und Rhonda für mich getan haben!
Ellen verlagert ihr ganzes Gewicht gegen die Wand, um sich irgendwie aufraffen zu können.
Sie rutscht die Wand bis zum Fenster hoch und verlagert ihre Beine in einen noch leicht hockenden, aber sicheren Stand.
Sie blickt zu Rhonda, die ihre schmalen Finger an die Sitze und an die Stange klammert, um selbst nicht umhergestoßen zu werden.

Der Bus fährt über einen weiteren Gullydeckel, wodurch Ellen durch ihren fehlenden Halt nach vorne gestoßen wird.

Sie stolpert ein paar Schritte nach vorn und knallt gegen diese aggressive Gestalt, voller Lust und Grauen.

Es schreckt auf und dreht sich zu Ellen, woraufhin sie wie hypnotisierend in weiß-klare Augen starrt.
Keine Pupille, keine Iris, nichts.
Schneeweiß sind die Augen.
Als wären sie nach hinten gedreht.

Ellen kann für diese paar Millisekunden ihren Blick nicht von ihnen nehmen, fühlt sich wie dazu gedrängt, da unbedingt hineinschauen zu müssen.

Erst als Es sie angreifen möchte, ist sie wieder fähig sich zu bewegen und weicht den schimmeligen grün-blauen blassen Händen, die nach ihr gestreckt werden, aus und schubst Es stattdessen im richtigen Moment weg, sodass Es ein paar Schritte nach hinten taumelt und sie sich ihm kurz nähern kann.

Als sie sieht, wie Es wieder auf sie zurennt, packt sie Es am Kragen und reißt Es zu Boden.

Dieses Verhalten von der Person (von dem Ding) ... wirkt irgendwie ... schwerwiegend auf Ellen.
Wie Es sie angesehen hatte, es sind nur ein paar Sekunden gewesen, hatte so verzweifelt gewirkt ... so leer und Hilflos.
Ist das wirklich noch Abraham gewesen oder jemand anderes (etwas anderes)?

Zumal Ellen Abraham eben nicht so gut kennt, kann sie sich die Frage nicht von selbst beantworten.

Aber als Es ein paar Sekunden später auf sie stürzen wollte, wusste sie: Es ist kein Mensch mehr gewesen ...
Es hatte wie triebgesteuert gewirkt, als kenne Es es nicht anders und hätte auch nie anders gehandelt ...

Ellen hält mit ihrem Fuß den Oberkörper von Abraham nach unten.

Es möchte hineinbeißen, doch sie verlagert ihr ganzes Gewicht auf die Brust und zerstampft mit ihrem freien Fuß den Schädel.

Als sie das tut, durchfährt ein langgezogenes Zucken durch ihren Körper, der ihr jegliche Kraft und Adrenalin raubt.

Dieses Gefühl, als ihr Fuß den Schädel zermatscht hat, ist ... komisch.

Ellen hat nicht nachgedacht, sondern es einfach getan ... Vielleicht hatte sie auch Panik gehabt, was vielleicht sogar die logischste Erklärung dafür ist.
Zählt es noch als Notwehr oder wird das schon als Mord deklariert?
Ein erneutes Zucken durchfährt Ellens Körper und sie reißt ihre Augen auf.
Scheiße, darüber hab ich gar nicht nachgedacht!
Ellen wollte es noch nicht einmal tun.

Es war eindeutig viel zu leicht. Viel zu leicht in dem Sinne, dass eigentlich im Normalfall vielleicht bloß die Nase gebrochen wäre - und nicht gleich der ganze Schädel.

Ellen betrachtet ihre Finger, die zu zittern beginnen - Mal wieder.
Man könnte ja schon beinahe denken, bei ihnen wär'ne Schraube locker, als hätten sie'nen Wackelkontakt.

Sie sind mit dem Blut von Abraham verziert und als Ellen weiter hinunter sieht, begutachtet sie weitere Blutspritzer, die ihren Schuh regelrecht in eine neue Farbe tauchen.
Die Schuhe eines Mörders?
Ihr Blick wird auf den zertrümmerten Schädel gelenkt, der nur noch ein Haufen Brei, mit darunter zuckenden Gliedern ist.
Sie schließt ihre Augen.

Sie hofft, dass, wenn sie ihre Augen wieder öffnet, der tote Körper unter ihr verschwunden ist und sie sich all das nur eingebildet hat und kneift ihre Augen extra zusammen, als wenn das noch irgendetwas bringen würde.

Mit dieser Einstellung öffnet Ellen ihre Augen wieder, doch der erwartete Anblick wird ihr nicht beschert.
Stattdessen geben ihre Beine nach und sie tastet nach ihrem Puls, um wirklich sicher zu gehen, dass sie nicht tot und damit in der Hölle ist.
Ihr Herz hämmert gegen ihre Brust, ihr Finger verlieren an Temperatur und ihr Körper verkrampft sich.
Was hab ich da nur getan ...?
Ellen sieht hinunter und dreht ihren Kopf wieder weg und schüttelt ihn.
Das kann doch alles nicht Wahr sein ...
Ihr ganzer Körper beginnt zu zittern und ihre Brust fühlt sich an, als würden sich unsichtbare Gewichte auf sie legen, die zu schmerzen beginnt.
Warum habe ich das nur getan ...?
Ellen ist gegen eine Glasscheibe gelehnt, die den hinteren Ausgang und den Sitzen daneben voneinander trennt.
Sie zieht ihre Beine an sich ran und stützt ihre Ellenbögen auf ihren Knien ab.

Ellen traut sich nicht hoch zu schauen, in Gesichter, die sie mit Sicherheit alle mit ihren missbilligenden Blicken durchbohren werden und zieht ihre Kapuze über den Kopf.

Doch was ist, wenn es noch nicht alles gewesen ist?

Rhonda hatte von drei Personen gesprochen, Zwei sind erledigt (Im Wahrsten Sinne des Wortes) und die dritte Person (Leon) macht sich auch bemerkbar ...

Es führen drei Treppenstufen hinter Ellen hoch und genau dort hockt Es.

Es krümmt sich auf dem Sitz und kommt schreiend die Treppe hinuntergerannt und wird zugleich durch ein glänzendes Teil, welches schnell an Ellen vorbei saust, aufgespießt und wegen der Geschwindigkeit nach hinten geschleudert.
Wie eine Kartoonfigur, die auf einem Spielzeugauto ausrutscht, fliegt Es nach hinten und liegt zusammengesackt auf der Treppe, mit einem Taschenmesser in der Stirn, soweit Ellen es erkennt, als sie sich umdreht.

They Lost The ControlWo Geschichten leben. Entdecke jetzt