Opfer

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RAFAEL

Es herrschte pures Chaos. Überall schrieen die riesigen Gamma Wölfe in ihrer menschlichen Form durcheinander oder knurrten und heulten mit den Stimmen ihrer Seelentiere. Adam und Henning Canton starrten fassungslos auf die kleine schwarzhaarige Omega, die regungslos im Schoß von Rafael lag. Die Heiler hatten alles versucht, doch diese Entgültigkeit konnten auch sie nicht umkehren.
Mia war tot.
Sie hatte sich geopfert, um den Seelenbund zu den Hamburger Alphas zu brechen. Rafael liefen die Tränen über die Wangen, während er sich über den zierlichen kleinen Körper der jungen Frau beugte. Zärtlich streichelten seine Finger über die kühle, blasse Haut... Sein Bruder kauerte an Mias Seite, den Kopf in den Händen vergraben. Seine Schultern zuckten unter den lautlosen Schluchzern. Sam war da offener. Sie weinte herzzerreißend in den Armen ihres Bruders.
„Oh, Göttin... Das ist alles meine Schuld! Hätte ich sie doch im Bunker besser beschützt, dann wär das alles nicht passiert!" Sascha presste seine Schwester fest an sich und sah mit versteinerter Miene auf seine trauernden Alphas. Rafael hob den Kopf und blickte in Sams Richtung. Seine Stimme war tonlos, als er antwortete: „Nein, Sam... Das war nicht deine Schuld. Wenn, dann war es unsere. Dass wir die Niedertracht dieser beiden Hurensöhne so unterschätzt haben... ihre Feigheit! Aber ihr Opfer wird nicht umsonst gewesen sein! Jetzt werden wir unserer Kleinen hier Gerechtigkeit geben und diese beiden feigen und hinterhältigen Bastarde in den siebten Kreis der Hölle befördern!" Den letzten Teil richtete Rafael an Nikolai. Der königliche Alphasohn nickte mit eisiger Miene und knurrte nur: „Abführen!" Die Garde zerrte
die beiden Hamburger durch die entstehende Gasse zwischen den Gamma Kriegern hindurch und jeder einzelne Wolf schnappte nach ihnen, als sie vorbei geführt wurden. Nikolai hockte sich neben Rafael und Gabriel und sagte leise: „Es tut mir so unendlich leid um eure Kleine! Vertraut mir, meine Freunde... Die beiden Feiglinge werden auf eine sehr brutale Art und Weise sterben.... Was geschieht jetzt mit eurer kleinen Omega...?"

Rafael sah wieder auf Mia hinab und antwortete kaum hörbar: „Wir bringen sie nach Hause. Geben ihren Freundinnen noch die Möglichkeit, sich zu verabschieden und dann schicken wir ihre Energie zurück zur Göttin. Und wie sie gesagt hatte... Gabriel und ich werden sie wieder finden! Mia gehört zu uns ... ob in diesem oder im nächsten Leben.."



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Es war warm... so warm, als würde sie in einem riesigen, unendlich kuschelig weichen Federbett liegen. Es duftet nach Erde und Pinienkernen und Tannennadeln... Die Luft war erfüllt von einem sanften, vibrierenden Schnurren.
Sie fühlte sich wohl, so wohl!

Glücklich... Geliebt... Schmerzfrei... Vollkommen.

Bei ihr war eine weitere Präsenz, die zu ihr gehörte. Eine Präsenz, die voller Liebe und Hoffnung war. Ihre Wölfin... Oh, hier könnte sie bleiben... für den Rest der Ewigkeit. Eingehüllt die Geborgenheit und das Schnurren und den Frieden.
Glücklich streckte sie sich, lachte trunken vor Freude und umarmte die Seele ihrer Wölfin, um ihr dieselbe Liebe zurückzugeben, die das Seelentier ihr immer entgegengebracht hatte. 
Wie lange sie dort lag, konnte sie nicht mehr sagen. Ob es Minuten, Stunden, Tage oder gar Jahre waren... und es war ihr auch gleich. Sie hatte Frieden gefunden, also lag sie da und genoss...
In das Schnurren, dass die Luft erfüllte, mischte sich der Hauch einer Stimme. Tonlos, weder Mann, noch Frau.... ein Flüstern wie ein leichter Sommerwind, der über ein Feld gläsener Blumen strich.

‚Mia......'

Sie wollte nicht aufwachen. Aufwachen aus diesem Schnurren... aus dem Gefühl glückseliger Vollkommenheit, im absoluten Frieden mit sich und der Welt. Die Stimme gab aber keine Ruhe...

Mia.....'

Das Gefühl von Frieden und Glück verstärkte sich, während die Stimme lauter wurde. Schließlich öffnete sie ihre Augen und sah sich um. Sie war allein... Nun ja, nicht ganz allein. Neben ihr saß eine kleine, schwarze Wölfin und sah sich genauso suchend um wie sie selbst. Ein Strahl warmen, sanften und silbrigen Mondlichts umhüllte sie beide und die Präsenz von etwas mächtigen, uralten und vollkommen reines durchtränkte den Schein des Mondes. Ohne zu wissen woher war ihr klar, dass sie sich in der Anwesenheit der Mondgöttin befand. Etwas was sich wie eine sanfte, kühle Hand anfühlte, strich über ihre Wange, unsichtbar und voller Zärtlichkeit.

Meine Mia... Mein süßes, kleines Mädchen. Du warst so tapfer, so mutig... du musstest mehr leiden als deine Schwestern und dennoch ist dein Herz nicht verdunkelt worden. Du hast dein Leben geopfert, für Gerechtigkeit und um des Friedens willens.
Mein Liebling... so sehr ich dir auch helfen möchte... Der Zauber war an deine irdische Form gebunden. An deine Seele. Da darf selbst ich mich nicht einmischen ... eine Seele muss geopfert werden.'

Trauer mischte sich in das Gefühl von Liebe und Geborgenheit. Sie verstand durchaus, was sie zurückgelassen hatte. WEN sie zurückgelassen hatte. Und Sehnsucht ergriff ihr Herz. Sie wird es nie erleben... Gefährten und Welpen. Ein Leben voller Liebe und Abenteuer, voller Freude und Lachen... eine Träne lief über ihre Wange und schwebte vor ihr in der Luft. Erleuchtet vom Licht des Vollmond... ein kleiner funkelnder Stern. Die Präsenz der Mondgöttin veränderte sich. Zwar spürte sie immer noch die Liebe, aber da war jetzt auch Schmerz und Mitgefühl.

Oh...Mein armer kleiner Liebling...'

Sie schlug die Hände vors Gesicht und weinte. Um den Verlust... Um das, was sie nie würde erleben können... Sanft und zärtlich schmiegte sich ihre Wölfin gegen sie, dann verschwand die Präsenz ihres Seelentieres auf einmal. Mit einem Wimmern lies sie die Hände sinken und sah sich verzweifelt suchend um. Doch die Wölfin war verschwunden...

Mit Liebe traffest du deine Entscheidung... und mit Liebe traf sie die ihre.
Nun kehre zurück, mein Kind. Finde deine Gefährten und lebe dein Leben.... Wir werden uns wieder sehen, wenn deine Zeit gekommen ist.'



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RAFAEL

Nikolai erhob sich und legte noch kurz die Hände auf die Schultern der beiden Zwillinge. Dann trat er zu den Alpha Garden des königlichen Rudels und sagte: „Wir rücken ab..."
Raffaels Finger streichelten immer noch über die Wange und dann über den Hals seiner kleinen Omega. Ihre Haut fühlte sich... wärmer an... Der junge Mann runzelte die Stirn und sah, wie sich die tiefe Wunde über ihrem Herzen zuschließen begann. „Gabriel!" flüsterte er.
Sein Bruder hob den Kopf und sah ihn mit tränenüberströmten Wangen an. Dann folgte er dem Blick Rafaels und sah fassungslos zu, wie die blasse Hautfarbe langsam rosig wurde.
„Was geht hier vor?" fragte er ebenso fassungslos wie sein Zwilling. Dann hob ein Atemzug ihre Brust und die dichten, dunklen Wimpern flattern, bevor sie sich hoben und große blau-graue Augen in den Himmel hinauf blicken.
„Mia? .... Liebling?"
Die junge Frau drehte den Kopf, und sah zuerst Gabriel, dann Raphael an. Der Hauch eines Lächelns hob ihre Mundwinkel, dann flüsterte sie:
„Hi..."

MiaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt