12 | Geständnis

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Ich saß im Schneidersitz auf dem Boden. Dabei starrte ich das Handy einer Geisel an als könne es jeden Moment explodieren. Nach den heutigen Ereignissen zog ich mich in ein leeres Büro zurück um nachzudenken.

Meine Gedanken drehten sich im Kreis.

Der erste nervenaufreibende Tag endete mit einer Vielzahl an Informationen, auf die ich Antworten brauchte. Dringend.

Drei Uhr morgens.
Im Polizeizelt arbeitete nur die Nachtschicht, Mamá sollte also im Bett liegen und schlafen.
Meine Finger flogen über die Tastatur, als ich Gérmans Handynummer wählte. Mein Stiefvater nahm immer ab, egal welche unpassende Uhrzeit ich für meine Anrufe wählte.

Heute nicht.
,,Leider bin gerade nicht erreichbar. Hinterlassen Sie gerne eine Nachricht."
Gérmans Stimme auf dem Anrufbeantworter ließ mich realisieren, wie sehr ich ihn vermisste. Stumme Tränen liefen über meine Wange.

Mein Plan zuerst Gewissheit von Gérman zu holen, dass Mamá niemanden folterte, scheiterte kläglich. Egal. Seufzend wählte ich Mamás Nummer und wartete ungeduldig.

Es dauerte ewig, doch dann erklang eine verschlafene Stimme am anderen Ende der Leitung, die mein Blut in dem Adern gefrieren ließ. ,,Ich hoffe es ist wichtig, Suaréz", murmelte sie gähnend.

Ich ließ den Hörer sinken und holte tief Luft. ,,Mamá?", flüsterte ich mit unnatürlich hoher Stimme. Es vergingen zwei Jahre, in denen ich sie nicht mehr sprechen hörte, keine Neuigkeiten erfuhr oder versuchte, sie zu erreichen.

Plötzlich klang Alicia hellwach. ,,Maddie?", fragte sie überrascht, ansonsten konnte ich schwer eine andere Emotion erkennen.

,,Du bist schwanger?", platzte es aus mir heraus und sah aus dem Fenster. Draußen bahnte sich der Mond einen Weg durch den wolkenverhangenen Himmel. ,,Ich habe dich im Fernsehen gesehen."

,,Wieso rufst du an?", überging Mamá meine Frage gekonnt und ich meinte, sie wieder gähnen zu hören. ,,Ist es in der Bank von Spanien schon langweilig geworden?"

Es tat ein bisschen weh, dass sie keine simple Frage stellte. Es kam kein 'wie geht es dir?", 'bist du glücklich?' oder 'ich will nicht, dass du dich schon wieder in Lebensgefahr begibst'

Ihre Stimme klang so emotionslos wie lange nicht mehr. ,,Ruf mich nicht mehr an, Maddie. Nie wieder. Ich bin es Leid, in der Vergangenheit festzuhängen."

Ich biss mir fest auf die Lippe. Ich war nicht in der Lage aufzulegen, bevor ich die Frage stellte, die mir auf den Lippen lag. ,,Hast du Rio gefoltert?"

Sie antwortete nicht.

Ungehindert strömten Tränen über meine Wange. Leicht verzweifelt vergrub ich das Gesicht in den Händen und wartete auf eine zufriedenstellende Antwort. Ich wartete auf ein "Nein", auf die Erklärung, dass es sich um ein verdammtes Missverständnis handelte.

,,Hast du?", Meine Stimme klang erstickt und zitterte.
Ich versuchte mir nicht anmerken zu lassen, dass ich weinte.

,,Ja", sagte Mamá schlicht.
Keine Lügen, keine Schönredungen.
Einfach nur 'ja'.

Ich ließ das Handy sinken, um das Geständnis zu verdauen.
,,Wie konntest du nur?", flüsterte ich anklagend. ,,Rio hatte keine Informationen, die für die Polizei relevant sein könnten. Du wusstest es, oder? Du wusstest es und hast trotzdem nichts dagegen unternommen! Er ist mein bester Freund!"

Alicia unterbrach mich. ,,Doppelmoral ist was schönes", meinte sie und unterstrich die Worte durch eine dramatisch angehauchte Pause. ,,Ich habe deinen kleinen Freund verhört, daraufhin haltet ihr es für eine wundervolle Idee, über 100 Geiseln in einer Bank festzuhalten."

Ja, nur dass wir den Menschen dort kein Haar krümmten. Jedenfalls nicht grundlos. ,,Du folterst Menschen, verdammt!", zischte ich anklagend. ,,Du bist Polizistin! Du solltest anderen helfen."

,,Die Polizei, dein Freund und Helfer?", sinnierte Alicia spöttisch. ,,Ach Maddie... Dein geliebter Professor hätte Rio heimlich, still und leise befreien können. Stattdessen muss er allen zeigen, wer den Größten hat."

,,Wenn du sauer auf den Professor, Raquel oder mich bist, dann lass es nicht an Rio aus. Er hat dir nichts getan."

Alicia lachte amüsiert. ,,Oh, du kannst Raquel gerne Mamá nennen und den Professor auf Knien anbeten, das ist mir völlig egal. Ich bin darüber hinweg. Was mit Rio passiert ist hatte nichts mit euch zu tun, sondern ist eine Regierungsangelegenheit."

Ich setzte an ihr zu erklären, dass wir lediglich die Kampfansage erwiderten, die die Regierung mit Rios Folterung an uns stellte. Jedoch kannte ich Mamá lange genug um zu wissen, wann eine Diskussion keinen Sinn ergab. Machte sie sich darum Sorgen? Dass ich Raquel "Mamá" nannte?

Alicia Sierra wusste ganz genau, was sie tat. Sie kümmerte sich weder um das Gesetz noch um Gerechtigkeit. Sie folgte dem Professor aus Frust, vielleicht Hass - und weil sie es eben konnte.

Ich seufzte leise. ,,Du willst nicht auf mich hören, verstehe. Kann ich ein letztes Mal mit Papá sprechen, bevor ich wieder auflege?"

,,Du hast deine Chance verwirkt dich zu verabschieden, als du abgehauen bist."
Die Worte klangen bitter und vorwurfsvoll. Ich hatte keinen blassen Schimmer, was sie mir damit sagen wollte.

Alicia legte auf ohne sich zu verabschieden.

Sie hat ihn gefoltert.
Frustriert schleuderte ich das Handy an die gegenüberliegende Wand. Das Telefonat brachte mir weder Befriedigung, noch innere Zufriedenheit.

Wie sollte ich Rio je wieder in die Augen sehen?

•••

,,Ich will mich bei dir entschuldigen", ich setzte mich neben Tokyo auf die lange Treppe. Unten schliefen die Geiseln reihenweise in knallroten Schlafsäcken. ,,Wir stehen auf derselben Seite."

Tokyo hielt ihren Blick konsequent auf die Geiseln gerichtet, aber sie hörte zu.

,,Ich wollte es nicht glauben, weil ich sie schon mein Leben lang kenne, aber Mamá hat ihn gefoltert."
Es auszusprechen tat weh, aber gleichzeitig war es befreiend. ,,Niemals werde ich mich auf die Seite der Polizei schlagen, verstehst du? Wir sind hier, weil wir dieses korrupte Vorgehen nicht akzeptieren."
Ich räusperte mich. ,,Und selbstverständlich nehme ich alles zurück, was ich über dein Sexleben gesagt habe."

Nun sah Tokyo mich doch an. Ihre Augen schimmerten undurchdringlich. ,,Danke", antwortete sie schlicht und spielte mit dem Feuerzeug herum. ,,Ich bin ausgetickt, aber es hat mich verdammt..."

,,Wütend gemacht?", fragte ich.

Sie nickte.

,,Mich auch", seufzte ich. ,,Der Befehl kam sicher von der Regierung, aber ich verstehe nicht, warum Gérman sie nicht davon abgehalten hat."

,,Wahrscheinlich wusste er es nicht. Würdest du Nairobi erzählen, wenn du in ein anderes Land fliegst, weil dein Chef dir befohlen hat, jemanden für Informationen zu foltern? Mach Gérman nicht dafür verantwortlich. Sei froh, dass du einen guten Vater hast."

Tokyo hatte erstaunlich beruhigende Worte parat. Ich war froh, dass sie mir verzieh, denn wir konnten es uns nicht leisten, uns ständig zu misstrauen.

Ich schmunzelte.
,,Es ist verrückt, dass wir uns ständig streiten. Anfangs konnte ich dich nicht leiden, aber das liegt wohl daran, dass du verrückt bist. Du bist hierfür geboren", meinte ich mit einer umschweifenden Geste durch den Eingangsbereich der Bank. ,,Und in der Banknotendruckerei hast du mein Leben gerettet. Das weiß ich zu schätzen."

,,Dito", erwiderte Tokyo auf die 'anfangs konnte ich dich nicht leiden' - Aussage. ,,Ich weiß, dass du lieber dein normales Leben fortgeführt hättest, aber du hast Rio nicht im Stich gelassen. Du bist hier und das ist das, worauf wir uns fokussieren sollten."

,,Ihr habt euch vertragen! Ein Glück!"
Nairobi sprach einen Ticken zu laut dafür, dass wir von schlafenden Geiseln umringt waren. Ein paar drehten sich oder bewegten sich kurz, aber alles in allem blieb es ruhig.

,,Gewöhn dich besser nicht daran. Wir finden genug Gründe, uns zu streiten", scherzte ich.

Tokyo grinste. ,,Solange wir uns hinterher wieder vertragen, bin ich einverstanden."










Criminal Passion [2] ˡᵃ ᶜᵃˢᵃ ᵈᵉ ᵖᵃᵖᵉˡ ✔Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt