34 | Wir sind zurück

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Verkleidet als Polizisten der Spezialeinheit gelang es uns, vor die Absperrungen zu gelangen. Trotz des Schutzhelmes vermied ich direkten Blickkontakt zu anderen Menschen. Wenn mich jemand erkannte, war es vorbei. Wie sich herausstellte eine völlig unnötige Befürchtung. In großen Menschenmassen ging eine einzelne Person leicht unter und die Polizei war mit anderen Problemen beschäftigt, als ihre eigenen Kollegen zu verdächtigen. Trotzdem fühlte ich mich auf Schritt und Tritt beobachtet und schaute immer wieder ungeduldig auf die Uhr.

,,Seit ihr auf Position? Es sind noch drei Minuten", ertönte die Stimme des Professors direkt in meinem Ohr. Drei Minuten.
,,Ja. Wir sind bereit."
Nairobi nickte mir aufmunternd zu. All die Versuche sie zu überreden, sich im Regenüberlaufbecken auszuruhen, misslangen kläglich. Nairobi blieb stur und ließ sich nicht von ihrem Vorhaben abbringen. Es wunderte mich eigentlich nicht. Sie gab immer hundertzwanzig Prozent ihrer Power. Wenn da nicht die ständige Angst war, dass ihr angeschlagener Gesundheitszustand doch noch zum Verhängnis wurde. Meine Sorge um sie saß tief, schließich hatte ich sie schon zweimal fast verloren.

,,Eine Minute, zwanzig Sekunden. Macht euch bereit", fuhr der Professor fort.
,,Verstanden. Ágata?"
,,Bereit", antwortete Nairobi über das Funkgerät. Ich nannte sie nie beim richtigen Namen, jedoch wollte ich nicht riskieren, dass die erste Reihe der Demonstranten Verdacht schöpfte.
,,Dreißig Sekunden... Zwanzig.... Zehn... Jetzt."

An der Außenwand der Bank flackerte es. Dann erschien ein riesiges, rechteckiges Bild, das mittels einer Drohne übertragen wurde.
Vor der Kamera saß meine Mutter. Es reichte ein Blick in ihre Augen um zu ahnen, dass das nichts Gutes bedeutete. Es gab nur einen Unterschied zu den anderen Malen: Diesmal stand sie auf unserer Seite. Sie war nicht plötzlich zum Professor übergelaufen, aber sie schuldete ihm einen Gefallen für seine Geburtshilfe. ,,Holá Spanien", begrüßte sie die versammelte Gesellschaft. Ihre Stimme hallte über den gesamten Platz und brachte die Gespräche und Rufe der Demonstranten zum Stillstand. ,,Das hier ist eine Mitteilung an Coronel Tamayo. Vor nicht allzu langer Zeit hatte unser kleiner Schreihals die zündende Idee, die seinen durchschnittlichen Hintern retten sollte. "Alicia", hat er gesagt, "wie wärs, wenn DU die Verantwortung für all den Mist übernimmst, den die Regierung verbockt hat." Tolle Idee, oder? Ich habe mich dagegen gewehrt... Klar war ich nicht unschuldig, aber wie ich bei der letzten Pressekonferenz schon erwähnte, kamen die Befehle von oben. Das alles ist jetzt nicht wichtig. Heute, meine lieben Demonstranten und blauweißen Freunde, spreche ich aus einem anderen Grund zu euch."
Alicia legte eine dramatische Pause ein. ,,Hier sehen Sie, was ich von unserem lieben Coronel halte." Die Antwort folgte in nicht nur einem, sondern gleich zwei ausgestreckten Mittelfingern.

Die Demonstranten jubelten und applaudierten. ,,Das ist mein Aufruf an euch, euch nicht alles gefallen zu lassen, was Coronel Tamayo anordnet. Heizt ihm ordentlich ein, dass er ein bisschen ins Schwitzen kommt! Schließlich hat er gerade das Todesurteil derjeniger unterzeichnet, die sich immer noch in der Bank befindet. Geiselnehmer und Geisel. Der Einsatz des Militärs bedeutet eine Überlebensrate von höchstens 30 Prozent. Wollt ihr euch das etwa gefallen lassen? Wollt ihr wie brave Lemminge darauf warten, bis euer Todesurteil gefällt ist? Wollt ihr zulassen, dass dieser Mann euer Leben genauso ruiniert, wie er meins ruiniert hat?"

Die Aufstände wurden lauter. Alicia erreichte ihr Ziel.

,,Over and out meine Süßen"
Der Bildschirm wurde schwarz.

Heilloses Chaos brach aus. Vielen war nicht bewusst gewesen wie das Militär vorging und meine Mutter hatte es öffentlich ausgesprochen. Die Absperrbänder schienen dem Druck kaum mehr standzuhalten. Polizisten rannten wild durcheinander und versuchte die Menschenmasse zu besänftigen, aber je aktiver sie wurden, umso lauter wurden die Demonstranten.
Keiner schenkte Nairobi oder mir noch irgendeine Art von Beachtung. ,,Los!" Nairobi nahm meine Hand und sprintete los. Wir bewegten uns in der immer schmaler werdenden Gasse zwischen den Absperrbändern.

Protestanten rissen uns zurück, die Buhrufe wurden lauter. Polizisten griffen zu neuen Mitteln, um die Massen zu stoppen. Nairobi und ich bahnten uns einen Weg durch das Chaos. Wir werden erst aufgehalten, als wir auf die hundert Meter Freifläche vor der Bank gelangten. Hier gab es keinen Schutz. Ein Polizist stoppte uns.

,,Ich habe Anweisung erhalten, niemanden durchzulassen. Befehl von Suarèz."

,,Und wir haben eine andere Anordnung von Coronel Tamayo. Wir sichern umgehend die Bank. Sehen Sie nicht, was hier los ist? Das könnte ein Ablenkungsmanöver seitens der Dalís sein. Sie können den Coronel fragen, aber wir könnten dadurch wertvolle Zeit verlieren", ratterte Nairobi hinunter. In diesem Moment war ich froh um unseren Schutzhelm, der große Teile unseres Gesichts verdeckte. Dennoch klopfte mein Herz schneller und ich begann nervös zu schwitzen.
Glücklicherweise startete der Professor nun Teil 2 seines Plans. Rauchbomben. Einfach, aber simpel. Benjamins Leute versteckten sich unter den Protestanten und aktivierten die Dinger. Sie waren harmlos, aber man verlor schnell die Orientierung. Ein dichter Nebel legte sich um die Menschenmasse.

Das reichte dem Mann, um uns durchzulassen. ,,Der Coronel hat Recht. Es könnte ein Ablenkungsmanöver sein. Ich schicke umgehend Verstärkung."

,,Danke. Die werden wir benötigen", erwiderte Nairobi.

Geschafft. Jetzt fehlten noch hundert Meter, die wir in freiem Sprint zurücklegen mussten. Nairobi humpelte, aber sie beschwerte sich nicht. Tapfer rannte sie weiter. Ich wollte nicht wissen, wie viel Schmerzmittel sie sich gespritzt hatte, um das durchzuziehen.

Wir erreichten die Garage, durch die wir am ersten Tag mit einem gepanzerten Fahrzeug einfuhren. Der Lieferanteneingang der Bank. Ich brüllte Denvers Namen ins Funkgerät. Ohne mich umzudrehen wusste ich, dass die sogenannte Verstärkung dicht hinter uns war.

Das Tor öffnete sich quälend langsam.
,,Haltet sie auf!", hörte ich eine Stimme hinter uns.
Der erste Schuss fiel.
Die Öffnung reichte. Gebückt stolperten wir in die Bank.
,,Schließ die verdammte Tür!", schrie ich.
Der Schließmechanismus setzte ein. Leider genauso langsam.
Nairobi zog mich hinter einen Stapel Kisten. Hand in Hand hockten wir dort und beobachteten, wie die Polizei immer näher kam.
Drei... zwei... eins... zu.

Atemlos nahm ich den Schutzhelm ab. ,,Das war verdammt knapp", keuchte ich.
Nairobi fiel mir um den Hals. Ihre Frisur sah etwas wild aus, aber sie sprühte vor Euphorie. ,,Du warst großartig, Süße", flüsterte sie und lehnte ihre Stirn an meine.

,,Ihr habt euch trotzdem einen verdammt schlechten Zeitpunkt ausgesucht ah-ah-ah."

,,Denver!" Ich fiel auch Denver um den Hals und drückte ihn fest an mich. Er sah mitgenommen aus. Sein Overall war dreckig und staubig und er trug unsere gesamte Ausrüstung. Alles kugelsicher. Ich schluckte schwer. Er erinnerte mich, dass wir nicht zum Spaß herkamen.

,,Wie ist es da draußen?", fragte Denver etwas ernster und nahm auch Nairobi in den Arm. ,,Ich bin froh, dass es dir gut geht. Die Polizei meinte, du seist.... Wir waren so erleichtert, als der Professor angerufen hat."

,,Die Tränen heben wir uns für ein andermal auf. Jetzt sorgen wir dafür, dass diesmal keiner stirbt." Nairobi war fest entschlossen, aber grinste Denver aufmunternd an. ,,Wir brauchen rote Overalls, Waffen und ein Wiedersehen mit den anderen."

 

Criminal Passion [2] ˡᵃ ᶜᵃˢᵃ ᵈᵉ ᵖᵃᵖᵉˡ ✔Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt