27 | Die Wahrheit

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Das stimmte nicht.
Nairobi starb nicht einfach so.
Nicht nach allem, was wir gemeinsam durchmachten.

,,Sie sind ein verdammter Lügner!", schrie ich und stand auf, sodass der Tisch wackelte. Die Polizisten vor der Tür des Nebenraumes hielten mich zwar davon ab, mich auf Tamayo zu stürzen, aber die Botschaft kam trotzdem bei ihm an. ,,Nairobi ist nicht tot. Das behaupten Sie nur, um meine Freunde in der Bank zu verunsichern! Sie sind ein Lügner! Ein verdammter Lügner!"

Tamayo rollte mit den Augen. ,,Bist du dir sicher?", schnauzte er.

Nein, war ich nicht.
Aber ich war es leid zu kämpfen und Menschen zu verlieren, die mir etwas bedeuteten. Ich weigerte mich, seinen Worten Glauben zu schenken und klammerte an dem winzigen Hoffnungsschimmer fest, der gefährlich flackerte und zu erlischen drohte.
Was machte ich, wenn er nicht log?
Wenn Nairobi wirklich ihren Verletzungen erlag?

•••

Tamayo verkündete Nairobis Tod bei einer Pressemitteilung am späten Nachmittag. Ich war nicht einmal dazu in der Lage zu weinen. Wie gelähmt saß ich auf meinem Stuhl und starrte ins Leere. Ich reagierte nicht auf Raquel, nicht auf Mamá, nicht auf Tamayo. Ich tauchte in Erinnerungen mit Nairobi ab und verlor mich in ihnen. Raquel nahm mich in den Arm, aber mehr als ein paar aufmunternde Worte brachte sie nicht zustande. Was sollten wir auch anderes tun, als sinnlos unsere Zeit abzusitzen?

Zum Abendessen gab es lauwarme Suppe, von der ich kaum zwei Löffel schaffte. Ich rührte lustlos in der Pampe herum und stellte mich innerlich schon auf das Gefängnisessen ein, das wahrscheinlich genauso unappetitlich aussah und schmeckte. ,,Willst du meine Portion auch?", fragte ich Raquel. Es war der wohl erste vollständige Satz, den ich seit Tamayos Pressemittelung sagte.

Raquel seufzte. ,,Sergio wird der Sache nachgehen, das weißt du."

Ja, und ich hatte Angst, was er dabei herausfand. Ich wusste nicht, was schlimmer war. Unwissenheit oder eine grausame Nachricht unseres Anführers.

,,Kaffee für die Bankräuberinnen", Antonañzas kam mit zwei dampfenden Bechern herein. Verstohlen sah er sich um und beugte sich dann ein Stück nach vorne. ,,Der Professor hat Rios Folterung und Ihre vermeintliche Hinrichtung öffentlich gemacht, Inspektora. Sie werden heute noch an das Gericht übergeben, um einen fairen Prozess zu erhalten", flüsterte unser neuer Verbündeter. Raquel hatte erwähnt, dass der Professor zu Antoñanzas Kontakt aufbaute, aber ich vergaß es zwischenzeitlich. ,,Es wurde sogar eine Notfallpressekonferenz einberufen."

,,Und Nairobi?", flüsterte Raquel zurück. Ich hatte es nicht über mich gebracht, diese Frage zu stellen.

Antoñanzas warf der Tür erneut einen hektischen Blick zu. ,,Die Spezialeinheit aus dem Krankenhaus ist noch dort."

Es dauerte kurz, bis ich begriff. Wäre Nairobi tot, bräuchte sie keine Spezialeinheit, die vor ihrem Zimmer Wache stand.

Als sich die Tür schwungvoll öffnete, zuckte Antoñanzas zurück. Es war meine Mutter. ,,Was haben Sie hier zu suchen, Antoñanzas?" Alicia kam energisch hereingeschneit und machte eine zisch ab- Geste. ,,Haben Sie meine Kekse besorgt?"

,,Ich sollte Kaffee bringen und..."

,,Die Kekse, Antoñanzas. Wo sind die Kekse?", unterbrach Mamá den treuen Mitarbeiter.

Antoñanas rieb verlegen seine Hände. ,,Noch im Supermarkt, Inspektora."

,,Worauf warten Sie dann noch? Hopp, hopp!"

•••

Ich verabschiedete mich von Raquel, die zu ihrem Gerichtsprozess abgeholt wurde und zum ersten Mal seit Tagen wieder Sonnenlicht sah. Hoffentlich schaffte der Professor es, sie zu befreien. Der Fluchtplan war gut, aber nicht perfekt. Kein Plan war perfekt. Glück gehörte immer mit dazu.

Criminal Passion [2] ˡᵃ ᶜᵃˢᵃ ᵈᵉ ᵖᵃᵖᵉˡ ✔Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt