21 | Ich liebe dich - Gérman

76 11 8
                                    

ALICIA

82 TAGE VOR TAG X

Die schlimmste Art von Trauer ist, wenn deine Tränen nicht fließen können und du einfach nichts fühlst. Wenn die Welt endet. Du weinst nicht. Du hörst nichts. Du siehst nichts. Du stehst einfach nur da, nur für eine Sekunde, in der dein Herz stirbt.

Gérmans Beerdigung.
Ich weinte nicht.
Nicht eine einzige Träne.

Ich weinte nicht, als der Pfarrer seine Trauerrede hielt.
Ich weinte nicht, als der hölzerne Sarg herabgelassen und Erde in das Grab geschüttet wurde.
Ich weinte nicht, als ich eine Blume auf die frische Erde legte.
Nicht einmal, als ich den Namen auf dem Grabstein las.

Gérman Sierra.

Die anderen Trauergäste vergossen zahlreiche Tränen für meinen Mann. Selbst die, die sich ein Leben lang kaum für ihn interessierten. Warum eigentlich? Fühlten sie sich schuldig, ihn jahrelang vernachlässigt zu haben? Bereuten sie, nicht mehr Zeit mit ihm verbracht zu haben? Oder waren sie einfach nur elendige Heuchler?

Ich verachtete die Heuchlerei der Menschen. Reihenweise kamen sie zu mir, sprachen ihr Mitleid aus, fragten wie es mir ging oder berührten meinen gewölbten Bauch und beteuerten, wie leid es ihnen täte, dass das Kind ohne einen Vater aufwachsen musste. Ich hasste sie alle.

Hinter meinem Rücken zerrissen sie sich ihre fiesen Münder über mich. Ich hörte sie flüstern: ,,Sie hat ihn nie geliebt oder hast du sie weinen gesehen?" war ein Klassiker, fast so beliebt wie: ,,Das Kind wird vor ihr weglaufen, sobald es gehen kann. Kein Wunder, dass ihre Tochter so geworden ist." oder: ,,Ich habe nie verstanden, warum Gérman sie geheiratet hat."

Als ich letzteres hörte, hatte ich genug und stieß den kleinen Gruppe ungefragt hinzu. ,,Es war wegen dem Sex", sagte ich schlicht.

Gérmans Cousine wandte sich von ihren Gesprächspartnern ab. ,,Bitte?"

,,Er hat mich geheiratet, weil wir guten Sex hatten. Glaubst du wirklich, ich habe mich selbst geschwängert?"

Verstört schüttelte sie den Kopf. Mittlerweile hörten fast alle Umstehenden zu. ,,Hat sonst noch jemand etwas zu sagen?", fragte ich mit erhobener Stimme. ,,Interessiert es jemanden, wie man einen sterbenskranken Mann pflegt? Das wüsstet ihr, wenn ihr ihn besucht hättet. Keinen von euch habe ich gesehen. Erst wenn er unter der Erde liegt, ist er wichtig!"

Meine harschen Worte waren auf einem Friedhof fehl am Platz, aber nun traute sich keiner mehr, etwas zu sagen. Der Pfarrer ergriff meinen Arm und schüttelte stumm den Kopf. ,,Ich weiß, wie Sie sich fühlen."

Da ich Berührungen aller Art nicht ausstehen konnte - insbesondere bei Fremden - befreite ich mich aus seinem Griff. ,,Nichts wissen Sie. Keiner von euch."

Es war, als würde ich mich selbst nur in einem Film betrachten, von außen.
Gérmans letzter Atemzug hatte etwas in mir ausgelöscht.
Vielleicht war ich auch tot.

Criminal Passion [2] ˡᵃ ᶜᵃˢᵃ ᵈᵉ ᵖᵃᵖᵉˡ ✔Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt