25 | Das Verhör

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,,Lasst mich mitfahren! Bitte... Ich muss wissen, wie es ihr geht!", protestierte ich schreiend, als die beiden Polizisten von der Spezialeinheit mich in Handschellen zum Polizeizelt zerrten. Notärzte kümmerten sich um Nairobi und verfrachteten sie in einen Krankenwagen. Die Sirene hämmerte in meinen Ohren und das Blaulicht brachte alle Alarmglocken auf die höchste Gefahrenstufe.

In der Menge der Demonstranten breitete sich eine respektvolle Stimme aus. Einige hatten sogar Tränen in den Augen, streckten ihre Hände nach mir aus oder nickten mir aufmunternd zu. Jetzt erlebte ich den Respekt und die Unterstützung, die der Professor vor wenigen Wochen stolz verkündete.

Den Glauben an eine Sache, an die ich selbst den Glauben verlor.

Ich würde nicht weinen. Nicht wie ein ängstliches Mädchen ins Polizeizelt taumeln. Ich wollte die sein, die die Demonstranten in mir sahen: Sydney, die furchtlose Bankräuberin.

Obwohl mir nach etwas anderem zumute war, richtete ich mich auf, straffte meine Schultern und hob das Kinn.

Der Schock saß tief, aber sie lebte.
Nairobi würde überleben .
Ich lebte.
Die Ärzte hatten eine Chance, sie zu retten.
Meine Freunde in der Bank lebten.
Wie ein Mantra redete ich mir diese Gedanken ein, bis ich sie selbst glaubte.

•••

Sie stand vor dem Eingang des Polizeizeltes. Ein Lollistil ragte aus ihrem Mund und die langen roten Haare waren zu einem strengen Zopf zusammengebunden. Die geglätteten Gesichtszüge zeigten keine Reaktion. Eigentlich musterte Alicia mich, als wäre ich eine Fremde. Und vielleicht waren wir das mittlerweile auch.

Unschlüssig blieben die beiden Spezialeinheitskräfte vor meiner Mutter stehen, sodass ich ihr notgedrungen gegenüber stand.

,,Worauf wartet ihr noch? Bringt sie rein", drängte Mamá, meinem Blick ausweichend. Ich bemerkte ihre Haltung, das leichte Hohlkreuz, das sie wegen der massiven Kugel von einem Bauch machte. Wenn ich mich nicht sehr täuschte, lag die Geburt nicht mehr in weiter Ferne. Wieso arbeitete sie dann noch?

,,Mamá..."

,,Shht, ich muss mit... wie war noch gleich dein Name?" Mit schiefgelegtem Kopf fixierte der kühle Blick den Mann zu meiner Rechten, der mir vorher sehr unsanft Handschellen anlegte. ,,Ach, was solls. Die Schokobons sind leer. Hol Nachschub."

Durch die Öffnung im Zelt schlüpfte ich hinein und alle Gespräche verstummten schlagartig. Da stand ich, verdreckt und Spuren von getrockneten Tränen auf den Wangen. Ich hatte geschrien, als sie mir die Mitfahrt im Krankenwagen verboten.

Tamayo und ein paar Kollegen standen versammelt um einen Tisch. Überall hingen Gebäudepläne, Theorien mit dicken Fragezeichen versehen und die Bilder aus den Verbrecherakten meiner Freunde. Zuerst entdeckte ich Tokyos Foto und fragte mich unweigerlich, was sie gerade in Gandias Fängen durchmachte. Dann entdeckte ich Nairobis.
Sie hielt ein Schild in der Hand, nur versehen mit dem Namen und einer Nummer. Anders als Tokyo, deren Blick wild und bedrohlich wirkte, trug Nairobi ein schelmisches Grinsen zur Schau. Eilig riss ich meinen Blick los.

Und da wurde mir schlagartig bewusst, dass in nicht allzu langer Zeit auch ein ähnliches Bild von mir existieren würde. ,,Señorita Sierra", richtete Tamayo das Wort an mich. ,,Ich habe eine Menge Fragen."

,,Ich beantworte keine Fragen von Menschen, die damit einverstanden sind, jemanden lebendig zu begraben", griff ich Rios schockierendes Geständnis auf und sah ihm herausfordernd entgegen.
Die fragenden Blicke der anderen lagen uns im Rücken.
,,Und was ist mit Gandia? Sie haben ihm erlaubt, uns kaltblütig zu ermorden, stimmts? Es ist Ihnen egal, dass sie dabei gegen jedes Gesetz verstoßen. Nairobi ist keine Bedrohung für ihn gewesen. Sie war wehrlos und er hat sie vorgeführt, misshandelt und beinahe erschossen. Nein, eigentlich hat er sie zweimal getroffen."

Criminal Passion [2] ˡᵃ ᶜᵃˢᵃ ᵈᵉ ᵖᵃᵖᵉˡ ✔Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt