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Von allen guten Geistern verlassen nahm ich Anlauf und sprang auf Gandias Rücken. Wie ein Klammeräffchen suchte ich mit Händen und Füßen Halt und riss ihn rückwärts. Meine Finger drückte ich rücksichtslos in seine Augäpfel und fühlte überhaupt nichts bei den Schmerzensschreien, die er ausstieß. Ich hatte mit mehr Befriedigung gerechnet, aber in Wirklichkeit verspürte ich überhaupt nichts. Außer Ekel vielleicht.

Helsinki und Tokyo rannten an mir vorbei zu Nairobi, die rasselnd zu atmen versuchte. Meine kurze Unaufmerksamkeit nutzte Gandia, um mich abzuwerfen. Unsanft knallte ich mit dem Rücken auf den Boden und stöhnte vor Schmerz. Für einen Augenblick wich sämtliche Luft aus meinem Brustkorb und Gandia nutzte die Zeit, um aus dem Zimmer zu stürmen.

,,Er entkommt!", keuchte ich.

Alamiert schloss Tokyos Hand sich um die M16 an ihrem Hals und sah zwischen Nairobi und mir hin und her. ,,Bleib bei ihr."

Das brauchte sie nicht zweimal sagen.

,,Na los, schnapp ihn dir!", drängte ich Tokyo. Ich hatte letztendlich doch nicht Gebrauch von meiner Waffe gemacht und mich mit Händen und Füßen gegen Gandia verteidigt, aber Tokyo würde diesem Idioten ohne zu Zögern ein Ende setzen, sollte sich eine günstige Gelegenheit auftun.

Tokyo und Helsinki nahmen die Verfolgung auf. Die Geisel, die wir als Krankenschwester für Nairobi engagierten, prüfte unmittelbar die Werte meiner Freundin und ich genehmigte mir keinen Moment der Pause und stand unmittelbar auf.

Meine Rippen schmerzen von dem Aufprall und mein gesamter Körper war angespannt. Meine Sorge galt nicht mir selbst. ,,Nairobi?"

Nairobis Lider flatterten und ihr Lächeln sah ausgelaugt aus, aber sie suchte nach meiner Hand und drückte diese leicht. ,,Ich werde diesen Bastard umbringen", flüsterte sie mit rauer Stimme. ,,Hilfst du mir?"

,,Wie geht es dir?", fragte ich besorgt.

Zwar erwachte Nairobi endlich aus der Betäubung, aber Gandias Mordversuch hinterließ Spuren in ihrem ohnehin miesen Zustand. Die Linien auf auf dem Monitor bewegten sich gefährlich im unteren Bereich. ,,Ich bin noch da, wie du siehst."

,,Hör auf, Scherze darüber zu machen. Hast du eine Ahnung, wie viele Sorgen ich mir in den vergangenen Stunden um dich gemacht habe? Ich hatte eine verdammte Angst um dich" Vorwurfsvoll sah ich sie an, als könnte Nairobi etwas daran ändern.

,,Das wird wieder", unterbrach sie mich aus vollster Überzeugung. Ironischerweise leuchteten genau jetzt sämtliche Warnsignale auf und das monotone Piepsen im Hintergrund verschnellerte sich um das dreifache. Zeitgleich donnerte unüberhörbarer Lärm im Stockwerk über uns los. Schüsse. Explosionen. Das volle Programm. Ich schluckte schwer.

Sie bekommen das hin. Sie werden gegen Gandia gewinnen. Nicht zu wissen, ob das Leben eines Freundes direkt über mir ein Ende fand, fühlte sich genauso furchtbar an, wie neben Nairobi zu stehen und keine Hilfe zu sein.

,,Nairobi?" Ich rüttelte mehrere Male an ihrem Körper. ,,Nairobi, antworte mir! Hilfe!"

Nairobi reagierte nicht auf mich und eine weitere Explosion gigantischen Ausmaßes erschütterte die Bank von Spanien. Am liebsten hätte ich mich in mein Zimmer gekauert, die Hände auf die Ohren gepresst und gehofft, dass es bald endete. Stattdessen hoffte ich auf das Wohlbefinden meiner Freunde und hielt mit aller Gewalt meine verausgabte Freundin am Leben.

,,Die Blutzufuhr muss sich gelöst haben, als Gandia hereingekommen ist." Unsere Krankenschwester legte zitternd, aber präzise den Zugang neu. Ihre Arbeit wirkte professionell auf meine nicht medizinisch geschultenAugen, aber die Unsicherheit in ihren Augen verriet, dass sie mir Nairobis Überleben auch nach der Operation nicht garantieren konnte. Für den Moment beruhigten sich die Werte wieder.

Seufzend griff ich unters Bett, wo Bogota den genähten hellblauen Bären auf meinen Wunsch hin plazierte. Eigentlich wollte ich ihn zu einem späteren Zeitpunkt schenken, aber ich hatte das Gefühl, dass Nairobi ihn jetzt brauchte.

,,Hast du...?"

,,Schon deine Kräfte", fiel ich ihr ins Wort. Die Schüsse im Obergeschoss ignorierend presste ich die Lippen zu einer dünnen Linie zusammen ud nickte. ,,Sobald wir Hand in Hand aus der Bank von Spanien spazieren, wirst du Axel seinen Bären zurückgeben. Ich hab versucht ihn zu reparieren und es ist gewiss keine Meisterleistung geworden, aber..."

,,Er ist perfekt." Die Tränen, die über Nairobis Wange liefen, zeugten ausnahmsweise nicht nur von Traurigkeit. Ein schwacher Hoffnungsschimmer lag darin. ,,Axel, er... er ist so groß geworden."

,,Nicht mehr lange und er wird der jüngste Millionär aller Zeiten", versuchte ich die Situation mit einem schlechten Scherz aufzulockern, der aber in einer geschossenen Salve Kugeln aus dem Obergeschoss unterging.

Nairobis Lächeln fiel augenblicklich in sich zusammen und starrte zur Decke, als fürchte sie, gleich von einem dutzend Kugeln getroffen zu werden. Die Gefahr, in der die anderen steckten, war unmittelbar vor uns.

Nairobi bettete den Bären eng umschlungen in ihren Armen und kuschelte mit ihm. Wenngleich dieses Kuscheltier zu einem verheerenden Ereignis führte, stand es gleichzeitig für so viel mehr. Nairobis Reue, ihre Willensstärke und ihr Überlebenswille.
Sie überlebte eine verdammte Kugel, die so vielen anderen das Leben gekostet hätte. Sie von allen hier verdiente ihr Happy end am meisten.

,,Du solltest Ihnen helfen", sagte Nairobi plötzlich und klang dabei todernst.

,,Ich lasse dich nicht wieder allein", denn das endete bisher nicht gut. Nie. Lieber gewährleistete ich ihr3 Sicherheit.

Aber die schwarzhaarige wollte davon nichts hören und schüttelte nachdrücklich den Kopf. ,,Ich komme zurecht. Lass mir eine Pistole hier. Wichtig ist, dass wir Gandia unter Kontrolle bekommen. An meinem Bett zu warten wird nichts bringen, wenn er ein Stockwerk über uns Helsinki und Rio erschießt."

Nairobi sprach die Wahrheit aus, aber ich hatte Angst. Angst davor, sie noch einmal einer Gefahr auszusetzen. Ja, auch der Gedanke mich Gandia gegenüberzustellen behagte mir nicht besonders, aber solche Ängste konnte ich bei Bedarf unterdrücken. Meine Angst Nairobi zu verlieren nicht.

Nairobi seufzte. ,,Wir werden nur gegen Gandia gewinnen, wenn wir mit vereinten Kräften gegen ihn vorgehen. Er kann unsere Pläne durchkreuzen, wenn er so weitermacht."
Nairobi nahm meinen Arm. In ihren Augen lag eine Strenge, die sie an den Tag legte, wenn sie Befehlte erteilte. ,,Reiß dich zusammen, Sydney. Könnte ich auch nur einen Fuß aus diesem Bett bewegen, würde ich auf der Stelle nach oben rennen und Gandia einen Denkzettel verpassen, der sich gewaschen hat. Unsere Freunde, unsere Familie braucht deine Hilfe. Jetzt. Zeig ihm, dass er sich nicht mit uns anlegen soll."

Das saß. Leider mit Recht. Nairobi wie zerbrechliches Porzellan zu behandeln brachte keinen von uns voran. Das Problem, Gandia, bei der Wurzel zu packen dagegen schon. ,,Versprich mir, dass du dich nicht von der Stelle rührst. Egal was passiert."

Ich traute Nairobi alles zu. Auch, dass sie sich in ihrem Zustand aus dem Bett quälte und Gandia eigenhändig suchte, sollte dort oben irgendein Mist passiert sein. Die Schreie und Schüsse versprachen nicht gerade ein freundliches Zusammensitzen. Es ging um Leben und Tod.

,,Verschwinde... und komm nicht ohne seinen Kopf zurück, cariña."




Criminal Passion [2] ˡᵃ ᶜᵃˢᵃ ᵈᵉ ᵖᵃᵖᵉˡ ✔Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt