03 | Herzlos

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ALICIA SIERRA
3 Tage nach Rios Festnahme

,,Hallo Aníbal", ich trat aus dem Schatten und musterte gleichgültig die zusammengesunkene, kraftlose Gestalt, die am Tisch saß. Der Junge sah müde aus, aber seine Augen weiteten sich überrascht, als er mich erkannte.

Vor drei Tagen erhielt ich einen Anruf über die Festnahme von Aníbal Cortez, einen Mittäter beim Überfall auf die Banknotendruckerei. Ich erwartete, einen Hoffnungsschimmer zu spüren, dass Rio mich zu Maddie führte, aber im Grunde interessierte es mich nicht.

Nichts ergab mehr einen Sinn, seit Gérman für immer die Augen schloss.

Eigentlich kam mir die Anweisung sehr gelegen. Welche Ablenkung könnte besser sein, als sich im 8. Schwangerschaftsmonat nach Algerien einfliegen zu lassen, um einen jungen Mann zu foltern?

,,Ich weiß nicht, wo deine Tochter ist", sagte Rio und stützte seinen Kopf auf seine Hände.

Etwas umständlich, weil die verdammte Kugel von Bauch mir im Weg war, setzte ich mich auf den Stuhl gegenüber und zündete eine Zigarette an. ,,Ich weiß. Sie da!"
Mein Kollege zeigte mir mit einem Nicken, dass er zuhörte. ,,Bringen Sie dem Jungen mehr Kaffee. Ich kann kein Verhör führen, wenn er schläft."

Als Rio einnickte, stupste ich ihn unter dem Tisch mit dem Fuß, bis er erschrocken aufschreckte. ,,Hm...?"

,,Wo ist der Professor?", fragte ich, voll auf meine neue Lebensaufgabe fixiert, endlich diesen Angeber kaltzumachen. Wenn ich Raquel, Maddie und Nairobi auch noch erwischte, umso besser.

Gerechtigkeit.

,,Ich will keinen Kaffee mehr", antwortete Rio zusammenhangslos. ,,Mir wird schlecht davon."

,,Das wird dir guttun, Kleiner", sagte ich gespielt einfühlsam, ging um den Tisch herum und nahm den Bescher, um ihn an seinen Mund zu führen. ,,Sei ein braver Junge."

,,Ich will nicht", stammelte Rio.

Nicht auf ihn hörend zwang ich ihn zum trinken und stellte den fast leeren Becher auf den Tisch. In das Gebräu ließ ich die halb gerauchte Zigarette fallen und holte tief Luft.

,,Fühl mal, es hat mich getreten", sagte ich und wartete, bis Rio seine Hand auf meinen Bauch legte.

,,Maddie würde sich freuen, wenn sie wüsste, dass sie einen Bruder oder eine Schwester bekommt."
Ich bezweifelte, dass Rio überhaupt einen klaren Gedanken zu fassen bekam. Bei der Menge an Kaffee, Schlafmangel und anderer kreativer Verhörungsmethoden wunderte mich das nicht im Geringsten.

Ich legte meine Hand auf seine. Euphorie durchströmte meine Adern, als ich hörbar aufatmete. ,,Das spielt keine Rolle mehr. Sie hat sich gegen mich entschieden und mir geht es besser denn je, aber du Rio... Du solltest jetzt meine Fragen ehrlich beantworten. Mein Kind wird in einer Welt mit oder ohne dich aufwachsen. Es ist deine Entscheidung."

Der Moment, als ich vor Gérmans Grab stand und entschied, mich von jeglichen emotionalen Bindungen freizusagen, war ein Befreiungsschlag gewesen. Nach einem ermüdenden und schlussendlich sinnlosem Kampf gegen seinen Krebs, zahlreichen Schwangerschaftsuntersuchungen und der Ungewissheit über Maddies Wohlergehen konnte ich endlich wieder atmen.

Das Kind in meinem Bauch ignorierte ich weitgehend. Seit ich wusste, dass Gérman die Geburt nicht erlebte, fiel es mir verdammt schwer, eine Bindung dazu aufzubauen. Es war besser so, am Ende verlor ich es doch noch und das ersparte mir eine Menge Schmerz.

Criminal Passion [2] ˡᵃ ᶜᵃˢᵃ ᵈᵉ ᵖᵃᵖᵉˡ ✔Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt