Tränen - Teil 31

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Als Kind war Liesel immer sehr gern zu Tante Wendelgard gefahren. Dort hatte sie sogar ein eigenes Zimmer. Ihre Tante hatte ihr ganz viele Puppen gekauft, weil sie keine eigenen Kinder hatte. Trotzdem wollte Liesel dieses Mal nicht mit Mama und Papa zu ihrer Tante fahren. Denn sie spielte nicht mehr mit Puppen, sie hatte anderes im Sinn. Wenn sie mit ihren Eltern nach Potsdam fuhr, dann konnte sie ihre Termine bei Karl nicht wahrnehmen und das wäre furchtbar!

Doch es half alles nichts. Papa bestand darauf, dass sie mitfuhr. Wütend lief sie in ihr Zimmer, warf ihre Puppe an die Wand und ganz plötzlich ging es ihr auf, sie war doch hysterisch! Es ging ihr schlecht, wenn sie ihre Termine nicht wahrnehmen konnte. Mit einem breiten Grinsen hob sie ihre Puppe wieder auf und nahm sie in den Arm. Alles, was sie brauchte, waren ein paar Tränen und ein wenig Geschrei.

Am besten wären ein paar unbeteiligte Zeugen. Nebenan saß Fridi mit seinen Freunden am Boden. Die Jungs spielten wieder einmal Bahnhof auf dem Teppich. Das wären genau die richtigen Zeugen.

Ganz gerade stellte sie sich hin, schloss die Augen und dachte an ihren geliebten Kater. Sehr intensiv dachte sie an ihn und als die Tränen aus ihren Augen flossen, lief Liesel in das Zimmer ihres Bruders.

„Papa!", schrie Fridi so laut, dass man ihn im ganzen Haus hören konnte. „Liesel heult schon wieder ohne jeden Grund! Außerdem hat sie meine Bauklötze umgestoßen! Sie ist schon wieder hysterisch! Schick sie zur Behandlung, damit sie ruhiger wird!" Seine Freunde machten große Augen. Was war denn mit der los?

Fast hätte Liesel ihren kleinen Bruder dankbar angegrinst. Aber sie riss sich zusammen, rannte in ihr Zimmer, warf sich auf ihr Bett und weinte herzzerreißend. Als ihr Vater herein kam, reagierte sie nicht. Mitfühlend setzte er sich zu ihr und streichelte ihr das Köpfchen.

„Es ist wohl doch besser, wenn du hier bei Berta bleibst. Dann kannst du weiter zu Doktor Westphal gehen. Komm mal her, mein Spatz." Er drehte sie um, hob sie auf und sie schaffte es sogar an seiner Schulter noch eine Träne heraus zu lassen. Doch dann war es vorbei und Helmut spürte, wie seine Tochter ruhiger wurde.

„Ist alles wieder gut?", fragte er und Liesel nickte. Er ließ sie los, aber sie umarmte ihren Papa noch einmal. Fest drückte sie ihn an sich und Helmut ging das Herz auf. Er würde alles für dieses Kind tun, das war ihm in dieser Sekunde klar. Mit einem Lächeln verließ er ihr Zimmer und Liesel schämte sich ein ganz klein wenig für das, was sie gerade getan hatte.

Doch das war schnell vergessen. Morgen würde sie wieder zu Karl gehen. Tante Wendelgard tat ihr leid, aber wenn sie zwischen ihr und Karl wählen musste, dann zog sie leider den Kürzeren.

*

Viel zu kurz waren die Ferien, aber die Schule war auch nicht schlecht. Intensiv arbeitete Liesel mit und lernte. Doch nach dem Ende der Stunde ließ Fräulein Wagner die Mädchen noch nicht in die große Pause gehen. Sie schaute in ihr Büchlein und las zwei Namen vor.

„Ilona Krüger und Johanna Peters, vortreten!"

Ahnungslos erhoben sich die beiden Mädchen und gingen nach vorn an den Lehrertisch.

„Ihr zwei habt es innerhalb kürzester Zeit zehnmal in mein Buch geschafft. Euer Maß ist voll! Ich lasse mir nicht von euch auf der Nase herumtanzen."

Liesel war schockiert! Was passierte hier? Wurden die beiden jetzt etwa verdroschen? Auch die anderen Mädchen waren ganz still und Fräulein Wagner schien diese Stille zu genießen.

„Ilona! Beuge dich nach vorn, über den Tisch!"

Mit großen Augen schaute das Mädchen ihre Lehrerin an.

„Wird's bald? Oder soll ich dich zum Hausmeister schicken? Der hat sehr viel mehr Kraft in seinen Armen als ich."

Resigniert beugte sich Ilona über den Tisch.

Das Geheimnis der weiblichen LustWo Geschichten leben. Entdecke jetzt