»Gehen wir heute? Bitte, bitte! Du hast es versprochen!«, fragte, bettelte und erinnerte mich mein kleiner Bruder gleichzeitig.
Ich seufzte. »Okay, schon gut, wir gehen.«
Seit Dylan den vergangenen Samstag einfach vor unserer Tür aufgetaucht war, hatte Finn mich jeden Tag über ihn ausgefragt und ich hatte ihm verraten, dass Dylan in einem Café in der Stadt arbeitete und ich ihn da kennengelernt hatte. Nun wollte Finn ihn unbedingt besuchen. Ich hatte es die letzten Tage abgelehnt, denn ich wusste nicht wirklich, wie ich mich Dylan gegenüber verhalten sollte. Ich konnte nicht abstreiten, dass mir der Tag mit ihm gefallen hatte. Wenn ich ehrlich war, war es der beste Tag gewesen, den ich seit Ewigkeiten hatte, denn ich hatte alle Sorgen vergessen können. Doch nur weil ich sie vergessen konnte, waren sie nicht plötzlich verschwunden.
Finn war ganz hibbelig vor lauter Aufregung, weshalb ich ihn besser an die Hand nahm, als wir uns auf den Weg zum Café machten.
»Ob Dylan mir einen Kakao macht?«
Wie der große Bruder so der kleine Bruder.
»Klar, wenn du ihn danach fragst.«
»Darf ich ihn danach fragen?«
Ich nickte.
»Yeahy! Ist Dylan auch in der Schule?«
»Nein, er geht schon auf die Universität.«
»Und was macht er da?«
Weitere derartige Fragen folgten, bevor wir endlich am Café ankamen. Die kleine Glocke bimmelte, als wir eintraten, und ich hoffte noch, dass Dylan keine Schicht hatte, als ich auch schon seinem Blick begegnete. Sein mittlerweile mir gut bekanntes Lächeln breitete sich auf seinen Lippen aus, doch bevor er etwas sagen konnte, rannte Finn schon auf ihn zu.
»Hallo Dylan, erinnerst du dich noch an mich?«
»Klar, dein Name war Herbert, richtig?«
Finn lachte. »Nein!«
»Nicht? Ach ja stimmt, es war Klaus!«
Finn schüttelte eilig mit dem Kopf. »Nein! Ich geb dir einen Tipp! Mein Name fängt mit F an!«
Dylan verzog überlegend das Gesicht, während er sich mit den Unterarmen auf der Theke abstützte, um zu Finn hinunterzuschauen.
»Ah! Frederik!«
Finn lachte, als wäre es das Lustigste auf der Welt, bevor er sich zu mir umdrehte. »Dein Freund hat meinen Namen vergessen!«
»Nein! Wirklich? Das gibt's ja gar nicht!«, erwiderte ich geschockt und versuchte, nicht darüber nachzudenken, wie der Anfang seines Satzes klang.
Finn kicherte erneut, bevor er sich wieder an Dylan wandte und ihm die Hand hinhielt. Er musste sich auf die Zehenspitzen stellen, um über die Theke zu kommen.
»Hallo Dylan, mein Name ist Finn. Merk dir das!«
»Jawohl, Chef, das werde ich!«, erwiderte Dylan und schüttelte seine Hand. »Als Entschuldigung für meine Vergesslichkeit darfst du dir hier etwas aussuchen.«
Finn warf mir einen kurzen Blick zu und als ich nickte, fragte er nach einem Schokomuffin und einem Kakao. Und obwohl ich noch kein Wort zu Dylan gesagt hatte, stellte dieser auch mir einen Kakao hin. Einen Zimtkakao natürlich.
Ich holte mein Portemonnaie aus der Tasche und legte ihm das Geld für alles auf den Tresen. Einen langen Moment schauten wir uns nur an.
»Fein, aber nur dein Kakao. Die Sachen deines Bruders gehen auf meine Kappe.«
»Du solltest wirklich nicht so viel verschenken. Wenn dein Chef das rausbekommt, bekommst du Ärger.«
»Keine Angst, jeden anderen kassier ich knallhart ab.«
Ich schüttelte mit dem Kopf, doch konnte mir ein Schmunzeln nicht verkneifen.
»Wo du schonmal hier bist, wie sieht es am Samstag bei dir aus? Für unseren zweiten Ausflug.«
»Da hätte ich Zeit bis abends.«
»Wunderbar! Dann hole ich dich am Samstag um zehn früh ab.«
»Und wo soll es hingehen?«, fragte ich sofort nach. Hoffentlich nichts allzu Teures.
Er zuckte mit den Schultern. »Überraschung.«
»Ich mag keine Überraschung.« Glatte Lüge. Ich liebte Überraschungen.
»Nun, mala suerte, wie man im Spanischen sagen würde.«
»Im Spanischen?«
»Die Eltern meiner Oma kamen aus Mexiko.«
»Also kannst du Spanisch sprechen?«
»Nur ein klein wenig.«
»Interessant.«
»Nini! Kommst du?«, rief Finn von dem Tisch, an dem er schon fleißig seinen Muffin verputzte.
»Ich komme.«
»Nini?«, fragte Dylan sofort.
»Spitzname«, erwiderte ich nur und beeilte mich, meinen Kakao zu nehmen und zu Finn zu gehen, bevor Dylan das Thema weiterführen konnte.
»Magst du auch ein Stück haben?«, fragte Finn mich sofort. Wäre ich nur ein wenig später gekommen, hätte sich die Frage erledigt.
»Nein, danke, es du nur auf.«
Das tat er auch glatt, bevor er sich an seinen Kakao wandte, der allerdings noch zu heiß war, also kam er zurück zu seinen Fragen.
»Nini, ich hab mal eine Frage.«
»Ja?«, fragte ich, bevor ich an meinem Kakao nippte.
»Können Jungs andere Jungs küssen?«
Und schon verschluckte ich mich prompt.
»Was? Wie-wieso fragst du das?«, fragte ich, nachdem ich mich wieder erholt hatte von meinem Hustenanfall.
»Phillip hat mich heute auf die Wange geküsst.«
Ich zog die Augenbrauen hoch. Phillip war sein bester Freund schon in der Vorschule und nun waren sie zusammen in der Elementary School. Ich würde ja den großen beschützerischen Bruder spielen, aber die beiden waren gerade einmal fünf!
»Ähm, also, Jungs können auf jeden Fall andere Jungs küssen, so wie Mädchen Jungs küssen oder Mädchen andere Mädchen. Aber nur, wenn die andere Person das auch möchte.«
Finn schien einen langen Moment darüber nachzudenken.
»Und warum küsst man jemanden?«
»Nun, Leute küssen sich, wenn sie sich gern haben.«
»Ich hab Phillip gern.«
»Ich meine, besonders gern. Nicht so, wie einen Kumpel.«
»Woher weiß man, dass man jemanden besonders gern hat, anders als einen Kumpel?«
Es wurde immer schwieriger mit den Fragen, denn ehrlich gesagt hatte ich selber keine Ahnung, wie es sich anfühlte. Ich hatte mich schon in andere Jungs verknallt aber so richtig verliebt? Eher nicht ...
»Na ja, man findet die Person sehr schön und lustig, man möchte immer bei ihr sein und sie am liebsten den ganzen Tag umarmen.«
Wieder schien Finn tiefgehend über meine Worte nachzudenken und ich hoffte, dass er sich damit zufriedenstellen würde.
»Findest du Dylan sehr schön und lustig?«
Hätte ich erneut getrunken, hätte ich mich erneut verschluckt, so unerwartet kam diese Frage aus seinem Mund. Ich war einen Moment einfach nur sprachlos. Meine Mutter wusste von meiner Sexualität, aber Finn war einfach noch zu jung, um das Thema wirklich zu verstehen, weshalb wir noch nicht wirklich mit ihm darüber gesprochen hatten.
»Die Antwort würde mich auch interessieren«, sagte eine bekannte Stimme hinter mir und ich zuckte erschrocken zusammen. Wenn man vom Teufel spricht ...
»Hat dir deine Mutter nicht beigebracht, dass man die Gespräche anderer nicht belauscht?«
»Um ehrlich zu sein, nein, sie hat mir eher beigebracht, wie ich es so unauffällig wie möglich machen kann.«
Überrascht drehte ich mich zu ihm herum. »Was? Wirklich?«
Dylan grinste. »Wirklich, aber jetzt lenk nicht ab, wir warten noch auf deine Antwort.«
»Musst du nicht arbeiten?«
»Warum fragst du mich das immer?«
Das Klingeln der Eingangstür rettete mich, denn mit einem Seufzen ging Dylan zurück zur Theke und ich wandte mich schnell an Finn.
»Ich weiß es nicht, vielleicht. Und du? Magst du Phillip besonders?«
Finn zuckte mit den Schultern. »Ich spiele gern mit ihm, aber ich möchte ihn nicht den ganzen Tag umarmen. Ich weiß auch nicht, ob er schön ist, aber Nina ist schön. Nur nervig.«
Wenn man aus dieser Aussage etwas ziehen konnte, dann war er wohl hetero.
»Hör zu, Finn, du kannst sowohl Jungs als auch Mädchen küssen, wenn du sie besonders magst, aber nur, wenn sie es auch wollen, okay? Und wenn dich jemand küsst, du das aber nicht willst, dann schiebst du die Person weg und sagst laut, dass du das nicht möchtest.«
Finn nickte. »Okay.«
»Gut, dann wäre das ja geklärt. Jetzt trink dein Kakao, Mom wartet bestimmt schon auf uns.«
Das ließ er sich nicht zweimal sagen und stellte nur wenig später mit einem zufriedenen Seufzen und einem ausgezeichneten Schokobart die leere Tasse auf den Tisch.
»Okay, lass uns gehen«, meinte ich und da Dylan gerade beschäftigt war, nickte ich ihm zum Abschied nur zu. Finn jedoch hatte einen anderen Plan und bevor ich ihn zurückhalten konnte, rannte er hinter die Theke, zog an Dylans Arm und flüsterte ihm etwas ins Ohr, als dieser sich zu ihm herunterbeugte. Und Dylan flüsterte etwas zurück.
»Was hast du zu Dylan gesagt?«, fragte ich, kaum dass wir das Café verlassen hatten.
»Das ist ein Geheimnis. Das darf ich dir nicht sagen.«
»Warum nicht? Ich verrat's auch nicht weiter, versprochen!«
»Nein, ich verrate nichts!«
Schade.
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Liebes Tagebuch ... (bxb)
RomanceLiebes Tagebuch. Mein Name ist Nico, ich bin 17 Jahre alt und hasse mein Leben. --- Nico hat es gewiss nicht leicht. Sein Vater ist nach Asien abgehauen und hat ihn, seine Mutter und seinen kleinen Bruder zurückgelassen. Seine Mutter hat kaum Zeit f...