Mal wieder warf ich einen Blick auf mein Handy. Nico hatte noch immer nicht auf meine Nachricht vom Vorabend geantwortet. Er hatte sie noch nicht einmal gelesen.
Mit einem Seufzen steckte ich das Gerät wieder in meine Hosentasche und konzentrierte mich lieber auf die Arbeit. Ich hatte mir den ganzen Tag schon mehr als genug Gedanken gemacht. Nein, ich hatte mir die ganzen letzten Tage schon genug Gedanken gemacht. Ich sollte ihm nicht einfach nur schreiben, nein, ich sollte zu ihm gehen und wir sollten reden. Und nach meiner Schicht im Café würde ich genau das tun.
Der Zeiger wanderte nur langsam voran, während die Kundschaft heute recht rar war. Gut, bei dem düsteren Regenwetter, das draußen herrschte, war es kein großes Wunder. Doch so erschreckte ich mich fast, als die Türglocke klingelte. Als ich aufschaute, kam ein breit grinsender Finn auf mich zu und ein Blick nach draußen zeigte mir Nico. Doch er schaute die Straße hinunter und nicht hinein ins Café.
»Hallo!«
»Hallo, Finn«, begrüßte ich den kleinen Mann mit einem Lächeln.
»Nini sagt, dass du ihn nicht sehen möchtest, aber ich wollte unbedingt einen Muffin haben. Warum willst du Nini nicht sehen?«
Eine schwierige Frage, vor allem, weil sie nicht der Wahrheit entsprach, allerdings wollte ich Finn nicht sagen, dass sein Bruder log.
»Da hat dein Bruder wohl etwas falsch verstanden. Natürlich will ich ihn sehen.«
»Weil du ihn gern hast?«
Ich nickte.
»Sehr gern?«, fragte er nach und ich fragte mich, ob er das auf Anweisung seines Bruders fragte.
»Hat dir dein Bruder gesagt, dass du das fragen sollst?«
Finn zog verwirrt die Augenbrauen zusammen. Das war wohl meine Antwort. »Was denn?«
»Egal, welchen Muffin möchtest du denn haben?«
»Schokolade!«, rief er sofort begeistert und ich gab ihm einen. Er wollte mir das Geld dafür geben, doch ich sagte ihm, dass er das Geld in seine Sparbüchse machen soll.
»Danke, Dili! Tschüss!«
»Auf Wiedersehen, kleiner Mann!«
Er wandte sich ab und wollte gehen, aber hielt auf der Mitte des Weges inne und kam wieder zurück.
»Du hast meine Frage nicht beantwortet!«
»Welche?«
»Ob du Nini sehr gern hast!«
Ich stützte mich mit den Unterarmen auf den Tresen, um mich zu ihm zu beugen.
»Weißt du, Finn, ich habe deinen Bruder sogar sehr, sehr gern.«
»Besonders gern? So sehr, dass du ihn küssen möchtest?«
Ich lachte leise, doch nickte, ohne darüber nachzudenken, denn so war es. Trotz dem, was passiert war, liebte ich Nico.
Mein Blick ging erneut nach draußen und begegnete Nicos, der seinen jedoch sofort abwandte.
»Wie geht es deinem Bruder?«
Finns Lächeln verschwand. »Er ist traurig. Ich habe sogar gesehen, dass er geweint hat!«
Etwas in meinem Herz zog schmerzhaft bei diesen Worten.
Noch einmal schaute ich zu Nico hinüber, doch er hatte uns den Rücken zugewandt.
»Kannst du kurz warten, Finn, ich bin gleich wieder da.«
Er nickte. »Okay.«
Ich drehte mich herum und ging hinter zum Büro meines Onkels, wo ich gegen die Tür klopfte.
»Herein.«
Mein Onkel saß an seinem Schreibtisch, über ein paar Papiere gebeugt.
»Onkel Toni, ich muss dich um einen Gefallen bitten?«
Er sah auf. »Was brauchst du?«, fragte er nur.
»Nächste Woche fällt ja Teddy aus. Ich habe einen Freund, der ... der Hilfe braucht. Kann er nächste Woche ein paar meiner Nachmittagsschichten übernehmen?«
»Einen Freund?«
Ich nickte. »Sein Name ist Nico. Du kannst ihm vertrauen. Ich übernehme jede Verantwortung.«
Mein Onkel zog überrascht die Augenbraue hoch.
»Bitte«, setzte ich noch hinterher.
Er schien noch einen Moment zu überlegen, bevor er nickte. »Okay, aber du übernimmst die Verantwortung. Du bist dafür zuständig, ihn einzuweisen, verstanden?«
Ich nickte. »Danke!«
Damit rannte ich zurück nach vorn, wo Finn noch immer geduldig auf mich wartete. Vom Muffin war allerdings nicht mehr viel übrig.
Ein Blick zur Tür zeigte mir, dass nun auch Nicos Mutter vor dem Café stand, also fasste ich kurzerhand einen Entschluss.
»Komm, Finn, ich komm mit raus«, sagte ich, als ich um den Tresen herumging.
»Okay«, erwiderte er nur und gemeinsam verließen wir das Café. Obwohl noch immer dicke Wolken den Himmel bedeckten, regnete es gerade nicht.
»Hallo Clara, wie geht es dir?«, fragte ich Nicos Mutter und umarmte sie zur Begrüßung.
»Hallo, Dylan, mein Guter. Mir geht es gut, danke der Nachfrage.«
»Das freut mich«, meinte ich mit einem Lächeln, als ich mich wieder von ihr löste. »Tatsächlich wollte ich fragen, ob ich mir deinen Sohn für den restlichen Tag ausleihen kann.«
Clara sah zu ihrem Ältesten hinüber und auch ich warf ihm einen kurzen Seitenblick zu. Er schaute überrumpelt zwischen uns hin und her.
»Natürlich, er ist ganz dein. Komm, Finn, gehen wir dir endlich neue Schuhe kaufen.«
»Okay, Mommy.«
Damit ergriff Finn die Hand seiner Mutter, bevor die beiden losliefen. Ich schaute ihnen noch einen Moment hinterher, bevor ich mich zu Nico umdrehte, ihn am Arm nahm und mit ins leere Café zog.
»Was ... was hast du vor?«, fragte Nico, als ich ihn hinter den Tresen zog, eine neue Schürze hervorholte und sie ihm reichte.
Noch immer verwirrt nahm er sie entgegen.
»Wenn du möchtest, dann zeige ich dir hier alles und weise dich ordentlich ein und dann kannst du nächste Woche ein paar Nachmittagsschichten übernehmen.«
Noch immer ziemlich verwirrt starrte er mich nur an und ich konnte das schiefe Grinsen nicht verhindern, das sich auf meine Lippen stahl.
»Wer weiß, wenn du dich gut anstellst, bekommst du diesen Job vielleicht als feste Stelle.«
Es dauerte noch einen Moment, bis Nico verstand und mir ganz plötzlich um den Hals fiel. Da ich das nicht erwartet hatte, stolperte ich ein paar Schritte zurück, doch zögerte nicht, seine Umarmung zu erwidern. Und diese einfache Berührung führte mir sehr deutlich vor Augen, wie sehr er mir gefehlt hatte, obwohl es nur vier Tage waren.
»Danke«, hörte ich Nico leise in mein Ohr flüstern.
Ich strich ihm mit der Hand über den Rücken, während ich ihn noch ein Stück fester an mich drückte.
»Ich nehme an, du bist dann Nico?«, ertönte die Stimme meines Onkels hinter mir und wir fuhren auseinander. Nicos Wangen begannen sofort, sich leicht rot zu verfärben.
Ich räusperte mich. »Ähm, ja, Onkel, das ist Nico. Nico, mein Onkel Toni. Ihm gehört das Café.«
»Freut mich, dich kennenzulernen, Nico. Bitte fang gar nicht erst mit dem "Sie" an. Einfach Toni.«
Nico lächelte freundlich, als er den Handschlag meines Onkels erwiderte. »Freut mich, auch Sie ... dich kennenzulernen. Danke für die Chance!«
»Wenn Dylan so bettelt«, erwiderte mein Onkel mit einem Seitenblick zu mir.
Ich stöhnte nur peinlich berührt und er lachte.
»Ich will ja nicht neugierig sein ...«, begann mein Onkel und mir ahnte Schlimmes. »... aber das sah mir eben nach mehr als nur Freundschaft aus.«
Ein breites Grinsen zierte sein Gesicht, während nun auch meine Wangen heiß wurden.
Ich schaute zu Nico und unsere Blicke trafen sich kurz, bevor er seinen schuldbewusst senkte.
Ich räusperte mich erneut. »Nun, es sah so aus, weil es so ist. Wir sind ein Paar.«
Meine Worte ließen Nico den Kopf abrupt wieder heben. Überrascht sah er mich an.
Ich schenkte ihm ein leichtes Lächeln. Ich hatte noch immer an seinem Geheimnis zu knabbern und ich hoffte, dass er die Wahrheit gesagt hatte, als er meinte, dass er aufhören wollte. Es gab definitiv noch Redebedarf zwischen uns, aber ich liebte ihn und ich wollte das, was wir hatten, nicht einfach aufgeben.
»Dann freut es mich noch mehr, dich kennenzulernen. Ich hoffe, du brichst meinem Neffen nicht das Herz.«
Ich brauchte Nico nicht anzusehen, um zu wissen, dass ihn diese Worte trafen.
»Okay, Onkel, das reicht. Ich würde ihn jetzt gern einweisen und du hast sicher noch Dinge zutun.«
Mein Onkel lachte. »Schon gut, Botschaft ist angekommen. Ich werde euch in Ruhe lassen.«
Damit wünschte er uns noch einen schönen Abend, weil er heimwollte. Wir verabschiedeten uns von ihm und er ließ uns allein.
»Okay, dann zeig ich dir mal alles«, sagte ich, da ich noch nicht wusste, was ich sonst sagen sollte.
Als ich ihm allerdings alles erklärt und erzählt hatte, kehrte Schweigen ein. Und dadurch, dass kaum Kunden kamen, war es eine lange, ungemütliche Stille.
»Ich dachte, dass du mich nie wiedersehen willst«, sagte Nico schließlich leise.
Ich hob den Blick und schaute mich um, doch abgesehen von einer alten Frau an einem Tisch am Fenster waren wir allein.
»Ich will nicht lügen. Dich da oben auf dieser Bühne zu sehen, war ein Schock.«
»Ich wollte nie, dass du das siehst. Ich ... es war oft schwer für uns. Für meine Mutter. Mein Vater hat uns einfach sitzen lassen und meine Mutter hat nie etwas gelernt oder studiert, um eine gutverdienende Arbeit zu bekommen. Sie hat mehrere Jobs gleichzeitig, um uns zu ernähren, um die Wohnung und Schulkosten zu zahlen und um Finns Therapie zu finanzieren. Wenn ich nicht auch noch Geld verdient hätte, hätten wir uns all das nicht leisten können. Ganz zu schweigen davon, dass ich studieren gehen möchte. Ich hatte schon davor einige Jobs, doch nichts hat lange gehalten. Und mit der Schule und mit unter einundzwanzig ...«
Ich nickte. Ich verstand seine Worte, hatte ich auch zuvor schon verstanden, auch wenn ich sie nicht wirklich nachempfinden konnte. Wir hatten nie Geldprobleme und es gab nie einen Zweifel daran, dass ich die Möglichkeit haben würde, studieren zu gehen. Zwar wurde auch bei mir ab und zu das Taschengeld knapp und jetzt, wo ich für mich allein aufkam, achtete ich auch darauf, was ich mit meinem Geld machte. Doch ich hatte mich nie in einer Situation befunden, wo ein Job mein Überleben bedeutet hätte. Nie hatte ich so dringend Geld gebraucht, dass ich auch nur eine Sekunde in Erwägung gezogen hätte, solch einen Job zu machen, wie Nico ihn machte. Meinen Körper zu verkaufen.
»Nun«, meinte ich, als sich abermals Schweigen ausbreitete, und sah zu ihm hinüber, »Du kannst definitiv tanzen.«
Erst sah er mich fast schockiert an und ich sah selbst, dass meine Worte sicherlich nicht die beste Antwort auf seine Rede waren. Doch dann lächelte er. Noch etwas gezwungen, aber ich hatte die Stimmung etwas aufgelockert.
»Ich liebe das Tanzen. Nur nicht ...«
... halbnackt vor fremden Männern, ergänzte ich im Kopf, bevor ich mir einen Ruck gab, mich zu ihm drehte und einen Schritt nähertrat.
»Hast du es ernst gemeint, als du gesagt hast, dass du aufhörst, dort zu ... arbeiten?«
Nico nickte entschieden. »Ich war seit Samstag nicht mehr dort und habe auch nicht vor, je wieder dorthin zu gehen.«
Meine Gedanken gingen zurück zum Club. Zum Club, der mich hereingelassen hatte, ohne nach meinem Ausweis zu fragen. Zum Club, wo so viele Männer Nico angestarrt hatten, als er sich so sinnlich und sexy zur Musik bewegt hatte. Wenn ich die Umgebung und die ganzen Zuschauer außer Acht ließ und nur an Nicos Tanz dachte - ich schluckte.
»Alles okay?«, holte mich Nicos Frage aus meinen Gedanken und ich räusperte mich.
»Ja, alles gut. Ich ... ich habe nur gerade an deinen Tanz gedacht. Du hast wirklich Talent.«
Nico wandte den Blick ab, doch ich sah den roten Schimmer auf seinen Wangen. »Danke«, flüsterte er mehr, als er es sagte.
»Ich würde es bei Gelegenheit gern nochmal sehen. Privat, meine ich.«
Ein Schatten legte sich über sein Gesicht, als er zögerte, doch dann zwang er sich ein Grinsen auf die Lippen.
»Mal sehen«, gab er frech zurück, doch es wirkte erzwungen und ich verfluchte mich für meine Worte. Es war zu früh, um solche Sachen zu sagen. Wir hatten uns noch immer nicht richtig ausgesprochen! Ich war ein Idiot.
Bevor ich etwas sagen konnte, kündigte die Türglocke einen Kunden an.
»Dein Kunde«, sagte ich also nur und trat ein paar Schritte zurück, um ihm Platz zu geben.
Mit einem freundlichen Lächeln begrüßte er die Frau und ihre Tochter, die an den Tresen kamen.
»Was hätten Sie denn gern?«, fragte Nico.
»Ich nehme einen Kaffee to go und Anna? Was möchtest du?«
»Einen Schokomuffin!«
Ich hielt mich vollkommen im Hintergrund, während Nico den Kaffee zubereitete und dann einen Schokomuffin einpackte.
»Lass es dir schmecken, kleine Maus«, sagte Nico zu dem jungen Mädchen.
»Was sagt man da?«, fragte die Mutter gleich, woraufhin sich die Kleine mit einem glücklichen Lächeln bedankte.
»Danke, einen schönen Abend noch«, wünschte die Mutter.
»Ihnen auch«, gab Nico zurück, bevor sich die beiden umwandten und das Café verließen.
»Das war gut. Ich denke, du bist bereit für nächste Woche«, lobte ich.
»Danke, Dylan, wirklich!«, gab er nur zurück und mir war klar, dass er nicht mein Lob meinte.
»Kein Problem. Ich möchte dir helfen und gebe dir dafür liebend gern ein paar meiner Schichten ab.«
»Was? Nein, ich kann dir nicht deinen Job wegnehmen!«
Ich trat einen Schritt auf ihn zu und nahm sein Gesicht zwischen meine Hände. »Und ich kann und werde nicht zulassen, dass du weiter in diesem Club arbeiten musst.«
Ein verräterisches Glitzern trat in seine Augen, doch bevor einer von uns etwas sagen konnte, kündigte die Türglocke einen neuen Kunden an. Dieses Mal übernahm ich wieder, damit sich Nico fangen konnte.
Nachdem ich den Kunden bedient und dieser das Café wieder verlassen hatte, warf ich einen Blick auf die Uhr
»So, fast Feierabend. Wir können anfangen, aufzuräumen. Dieses Mal übernehme ich das Staubsaugen und du kannst derweil schonmal den Tresen und die Tische abwischen.«
»Okay«, gab Nico nur zurück und gemeinsam machten wir uns daran, alles sauberzumachen, und waren damit auch recht schnell fertig.
»Wartest du noch einen Moment? Ich hole schnell meine Sachen.«
Nico nickte und ich ging nach hinten zum Mitarbeiterzimmer, um meine Jacke, meinen Rucksack und meinen Regenschirm zu holen.
Als ich wieder nach vorn kam, saß Nico auf einem Stuhl nah des Eingangs und hatte das Gesicht in seinen Händen vergraben.
»Nico?«, fragte ich, als ich näher trat.
»Ich kann das nicht«, drang gedämpft hinter seinen Händen hervor.
Ich trat noch näher und hockte mich schließlich vor ihn. »Was meinst du? Was kannst du nicht?«
Endlich nahm er die Hände vom Gesicht, doch was dahinter zum Vorschein kam, ließ mich schlucken. Er sah so verdammt verzweifelt aus. Was war los? Noch vor zwei Minuten war ... nicht alles in Ordnung gewesen, aber er war nicht so fertig gewesen.
»Was ist los?«, fragte ich und griff nach seiner Hand, doch er entzog sie mir gleich wieder.
»Nicht«, sagte er, bevor er sich mit der Hand durch die Haare fuhr. »Dylan, ich bin dir unendlich dankbar dafür, dass du mich nicht einfach ... wegstößt, trotz dessen, was du gesehen hast. Und ich bin dir so mega dankbar für diese Jobmöglichkeit hier, aber ... ich kann das nicht akzeptieren, solange du nicht die ganze Wahrheit kennst.«
Die ganze Wahrheit?
Ich stand wieder auf, um mir einen Stuhl heranzuziehen und mich ihm gegenüber zu setzen, denn ich hatte das Gefühl, dass dieses Gespräch nicht leicht werden würde.
»Welche Wahrheit?«, fragte ich ruhig nach, während Nico mehr und mehr zu verzweifeln schien. Seine Hand fuhr erneut durch sein Haar und als er sie wieder in den Schoß legte, bemerkte ich, dass sie zitterte. Ich wollte nach ihr greifen, Nico an mich ziehen und beruhigen, doch ich blieb sitzen und wartete.
»Du wirst mich hassen, mich verabscheuen«, sagte er und wieder begann es verdächtig zu funkeln in seinen Augen. Er senkte den Blick. »Aber ich kann es dir nicht verheimlichen.«
Ich sagte nichts, sondern wartete weiter geduldig, während Nico den Mut zu finden versuchte, weiterzusprechen.
Er hob den Blick und schaute mich direkt an. »Als ich in dem Club angefangen habe, war es nur Tanzen. Es war befremdlich, gar unangenehm, vor all diesen fremden Männern zu tanzen, doch ich schaffte es ganz gut, sie auszublenden. Ein paar Wochen lang habe ich nur für ihn getanzt. Bis letztes Jahr Finns Diagnose kam. Wir hatten schon zuvor immer kämpfen müssen, doch nun sollten wir auch noch eine Therapie bezahlen? Ich bin also zu meinem Chef gegangen, um ihn nach mehr Geld, nach mehr Auftritten zu fragen. Doch er brauchte mich nicht für mehr Tänze«, Nico brach ab, schloss die Augen und atmete tief durch, bevor er fortfuhr. »Aber er machte ein anderes Angebot.«
Ich schluckte. Ich hatte eine böse Vorahnung, doch ich wollte sie nicht in Erwägung ziehen. Bitte sag, dass nicht das kommt, was ich denke.
»Er bot mir an, mir das doppelte zu zahlen, wenn ich ... ab und zu ... mit Kunden schlief.«
Oh Gott.
Ich stand abrupt auf, um ein paar Schritte zu laufen.
»Am Anfang habe ich abgelehnt, aber ... als unsere finanzielle Situation schlimmer wurde, als die Schulden größer wurden ... habe ich das Angebot angenommen.«
Ich zog scharf die Luft ein und schloss meinerseits einen Moment die Augen, um seine Worte zu verarbeiten.
»Ich bin eine Hure«, spuckte er plötzlich in den Raum und geschockt wirbelte ich zu ihm herum. Er schaute zum Fenster hinaus, um mich nicht ansehen zu müssen, doch ich sah die Tränen in seinen Augen, noch bevor die erste über seine Wange rollte. Ruppig wischte er sie weg.
»Jetzt weißt du es. Jetzt weißt du, wie abartig ich bin. Und es tut mir leid ... es tut mir leid, dass ich es dir verschwiegen habe. Ich wollte nur ... das zwischen uns hat sich einfach so gut angefühlt. Es hatte mich abgelenkt von all den beschissenen Sachen in meinem Leben und ich war zu selbstsüchtig, um dem ein Ende zu setzen.« Eine weitere Träne rollte über seine Wange und wieder wischte er sie eilig weg. Sein Blick senkte sich auf seine Hände, die nervös miteinander spielen.
»Du ... du musst nichts sagen. Ich werde einfach gehen«, sagte er dann und stand auf, ohne auch nur noch einmal in meine Richtung zu schauen.
Ich brauchte noch einen Moment, doch dann setzte ich mich eilig in Bewegung und packte ihn am Arm, bevor er das Café verlassen konnte. Ohne darüber nachzudenken, zog ich ihn an mich.
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Liebes Tagebuch ... (bxb)
RomanceLiebes Tagebuch. Mein Name ist Nico, ich bin 17 Jahre alt und hasse mein Leben. --- Nico hat es gewiss nicht leicht. Sein Vater ist nach Asien abgehauen und hat ihn, seine Mutter und seinen kleinen Bruder zurückgelassen. Seine Mutter hat kaum Zeit f...