Für einen kurzen Moment durchströmte mich Panik, als mich Dylan am Arm packte, bevor er mich an sich zog.
Und das war der Moment, wo ich zusammenbrach.
Die ganze Zeit hatte ich versucht, mich zusammenzureißen, doch in seinen Armen war das nicht mehr länger möglich. Das Zittern meiner Hände breitete sich auf meinem gesamten Körper aus, während ich die Tränen nicht länger zurückhalten konnte. Ein Schluchzen drang aus meiner Kehle, worauf sich Dylans Arme noch fester um mich schlangen.
Ich wusste nicht, wie lange wir dort standen, doch Dylan ließ mich nicht los, bis ich mich wieder vollständig beruhigt hatte.
»Besser?«, fragte Dylan, als er sich langsam von mir löste.
Ich nickte nur, da ich meiner Stimme noch nicht traute, und wischte mir eilig die ganzen Tränen von den Wangen.
»Brauchst du was? Taschentuch oder was zu trinken?«, fragte Dylan, doch ich schüttelte den Kopf.
»Tut mir leid wegen deines Shirts«, sagte ich leise, als ich die Flecken sah, die meine Tränen hinterlassen hatten.
»Alles gut, trocknet wieder.«
Ich trat einen Schritt zurück und hob nur zögernd den Blick, um ihn anzusehen. Noch immer hatte ich Angst, Verachtung und Ekel in seinen Augen zu sehen, doch da war nichts dergleichen. Stattdessen war da Sorge und ... Wut?
Ich schluckte. »Tut mir leid, ich hätte dir eher davon erzählen sollen. Bevor ...«, ich ließ den Satz offen, nicht wissend, wie ich es sagen sollte.
»Bevor all das zwischen uns passiert ist?«, fragte Dylan und schnaubte. »Ich will ganz ehrlich sein. Hättest du es mir ganz am Anfang verraten ... ich weiß nicht, ob irgendetwas zwischen uns passiert wäre.«
Ich nickte. Natürlich. Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich mich genauso wenig darauf eingelassen hätte, wenn die Situation umgekehrt gewesen war.
»Weiß deine Mutter davon?«, fragte er plötzlich.
»Nein! Gott, nein, natürlich nicht. Das ... das ist nichts, was man seiner Mom erzählt. Was soll ich auch sagen? Hey Mom, damit wir als Familie überleben können und Finn seine Therapie bekommt, geh ich mich mal prostituieren, okay? Wartete nicht auf mich, wird spät. Bis morgen!«
Ich stoppte in meinem blöden Geplapper, als ich merkte, wie die Verzweiflung erneut hervorzubrechen versuchte, und wünschte mich zurück in Dylans Arme. Doch das konnte ich unmöglich von ihm verlangen, also schlang ich meine eigenen Arme um mich.
»Hast du schonmal mit jemanden darüber gesprochen?«
Ich schüttelte den Kopf. »Nein, nur ... nur ins Tagebuch geschrieben. Mit wem soll ich auch darüber reden? Ich habe nur Mom, Finn und Peter.«
»Und mich«, ergänzte Dylan und ich schaffte es, ihm noch einmal in die Augen zu sehen. Er schluckte, bevor er Luft holte.
»Lass uns was essen gehen.«
Was?
»Was?«, fragte ich überrascht.
»Ich habe Hunger und ... ich brauche einen Moment. Und du anscheinend auch, denn deine Hände zittern immer noch.«
Ich schaute auf meine Finger hinab und sah, dass er recht hatte.
»Komm, lass uns erstmal etwas essen gehen und danach ... sehen wir weiter.«
Er zog sich seine Jacke über und machte Anstalten, das Café zu verlassen, doch als ich mich nicht rührte, blieb er stehen.
»Das musst du nicht«, sagte ich leise, auch wenn es wehtat. »Ich habe dir gerade etwas erzählt, was ... ich meine ... du musst nicht mit mir essen gehen oder überlegen, wie du mit mir umgehen sollst. Ich kann vollkommen verstehen, wenn du möchtest, dass ich einfach gehe. Ich werde es akzeptieren und dich in Ruhe lassen.«
Er nahm die Hand wieder von der Türklinke und kam auf mich zu.
»Okay, Nico, hör zu! Ich werde nicht lügen, das, was du mir gerade erzählt hast, ist wirklich krass und ich bin noch weit davon entfernt, es zu verarbeiten. Aber ich werde dich jetzt nicht einfach wegschicken. Du bist ganz offensichtlich sehr aufgewühlt und ich möchte dich in diesem Zustand nicht allein lassen. Ich bin noch dabei, das Ganze zu verstehen und herauszufinden, was ich ... fühle und denke, deshalb möchte ich, dass wir erstmal etwas essen und danach ... danach reden wir weiter.«
»Aber ...«
»Nichts aber. Ich werde dich jetzt nicht einfach aus meinem Leben verbannen, Nico. Das könnte ich nicht, selbst, wenn ich wollte.«
Bedeutete das, dass ...
»Lass uns etwas Essen gehen, in Ordnung?«
Ich nickte und Dylan wirkte erleichtert.
Gemeinsam verließen wir das Café und Dylan verschloss die Tür hinter uns, bevor wir die Straße hinuntergingen.
»Wo ... wo gehen wir hin?«, fragte ich leise.
»Nicht weit von hier gibt es ein kleines, italienisches Restaurant, wo ich immer gern mal hingehe. Es ist sehr lecker dort.«
Ich nickte nur und lief schweigend neben ihm her, bis wir das gemeinte Restaurant erreichten. Wir suchten uns einen Tisch in einer der Ecken des Raumes aus und rutschten auf die gepolsterten Sitzbänke.
»Guten Abend, die Herren, mein Name ist Henry, was darf ich Ihnen zu Trinken bringen?«, begrüßte uns auch sofort ein Kellner und wir bestellten beide Cola.
Sobald der Kellner wieder verschwunden war, nahm Dylan die Speisekarte in die Hand und blätterte durch die Seiten. Also tat ich es ihm gleich und suchte nach einem billigen Gericht. Überraschenderweise waren aber fast alle Preise ganz in Ordnung.
»Weißt du schon, was du essen möchtest?«, brach Dylan schließlich die Stille.
»Vielleicht die Spaghetti Carbonara, du?«, fragte ich zurück, auch wenn es sich komisch anfühlte über Essen zu reden, nach dem, was vor nicht einmal einer Viertelstunde passiert war.
»Mhh, ich denke, ich werde die Lasagne nehmen.«
»Dylan ...«
»Lass uns erst essen, Nico, bitte.«
Ich zögerte, doch nickte dann. Wie konnte ich es ihm auch abschlagen? Er war noch hier. Er sprach noch mit mir. Nach allem.
Nachdem wir bestellt hatten, kehrte Stille ein, denn über was sollten wir reden, wenn nicht über den riesengroßen Elefanten?
»War mein Cousin einer deiner ... Kunden?«, fragte Dylan plötzlich leise, ohne mich anzuschauen. Stattdessen spielte er mit seinem Glas.
Ich schluckte, doch bevor ich antworten konnte, hielt er die Hand hoch.
»Nein, sag's mir nicht. Ich will es gar nicht wissen.«
Wieder Schweigen.
»Wann ... wann war das letzte Mal?«, fragte er nach ein paar Minuten, noch immer sein Glas anstarrend.
Ich senkte den Kopf und wollte eigentlich nichts sagen, aber er hatte die Wahrheit verdient. »Am nächsten Tag, als der Vorfall mit Justin war«, gab ich leise zu.
Dylan atmete tief durch nach dieser Information, bevor er stockte und mich ansah.
»Warte, war das der Abend, an dem wir abends nochmal kurz geschrieben hatten? Wo ich dich angerufen hatte, du aber nicht geantwortet hattest, weil du angeblich zu müde warst?«
Ich nickte.
»Ich hatte das Gefühl gehabt, dass etwas nicht stimmt. Ich hätte nachhaken sollen!«
»Nein, nein, gib dir keine Schuld, bitte.«
Wieder folgte ein langer Moment des Schweigens, in dem Dylan zu überlegen schien.
»Also nicht mehr seit wir ...«, begann er und ich verstand.
»Nein. Ich habe mich schon davor jedes Mal schrecklich gefühlt, doch nachdem wir ... nachdem wir miteinander geschlafen haben und nach der Sache mit deinem Bruder ... das konnte ich nicht. Ich wollte dich nicht betrügen, das hätte ich nicht ... ich habe meinen Chef angelogen. Ich habe vorgegeben, krank zu sein, um nicht wieder in den Club zu müssen, bis ... bis der Tag war, an dem ich mein Geld bekam. Samstag.«
Dylan wollte gerade etwas sagen, als der Kellner wieder an den Tisch kam. Mit unseren Tellern.
»Bitte sehr, die Herren, lassen Sie es sich schmecken und sagen Sie Bescheid, wenn Sie etwas brauchen.«
Wir bedankten uns, woraufhin er auch schon wieder verschwand.
»Das ging aber fix«, meinte Dylan.
»Na ja, es ist auch nicht gerade voll hier.«
»Stimmt auch wieder. Dann lass es dir schmecken.«
»Danke, du dir auch.«
Und das machten wir, ohne auch nur ein Wort miteinander zu sprechen. Jeder schien seinen eigenen Gedanken nachzuhängen.
Ich fragte mich, warum wir hier saßen. Warum Dylan mich nicht schon längst zum Teufel geschickt hatte.
Die Spaghetti Carbonara war wirklich lecker, doch eigentlich hatte ich keinen großen Hunger, weshalb ich mir den Großteil wohl einpacken lassen würde. Für später oder für Finn.
»Keinen Hunger?«, fragte Dylan, als er mit seiner Lasagne fertig war, während ich noch auf meinem halbleeren Teller herumstocherte.
»Nein, nicht wirklich. Ich werde mir den Rest einpacken lassen.«
Wie als hätte mich der Kellner gehört, tauchte er auf und ich bat ihn, mir den Rest einzupacken, während Dylan nach der Rechnung fragte. Zusammen mit unseren Tellern ging er wieder.
Dylan wartete noch, bis er außer Hörweite war, bevor er sich mit den Armen auf dem Tisch abstützte.
»Du solltest zur Polizei gehen.«
Alarmiert sah ich auf. »Nein! Nein, das kann ich nicht.«
»Nico, dein Chef ... der hätte dich allein fürs Tanzen nie einstellen dürfen! Du warst minderjährig! Und das andere ... das ist nicht nur abgrundtief falsch, sondern auch illegal!«
»Dylan, ich ... das kann ich nicht. Ich habe gelogen wegen meines Alters. Ich ... ich bekomme Probleme.«
»Nico, man muss schon unglaublich dämlich sein, um zu glauben, dass du über 21 bist!«
»Aber ...«
»Nichts aber. Wir können mit meinem Vater reden. Er weiß sicher, was wir am besten tun sollten.«
»Wir?«
Dylan sah mich ernst an. »Ja, wir. Ich lass dich damit nicht allein. Aber du musst zur Polizei gehen.«
»Dylan, das kann ich nicht.«
»Doch, du kannst.«
»Dylan, ich wurde nicht dazu gezwungen oder sowas. Ich habe den Job angenommen. Ich habe mit meinem Alter gelogen, um dort tanzen zu können. Ich habe dem Angebot zugestimmt.« Meine Stimme wurde mit jedem Wort leiser, bevor ich beinahe flüsternd hinzufügte. »Ich habe akzeptiert gegen Geld mit Fremden zu schlafen.«
Erneut spürte ich Tränen in den Augen, doch ich blinzelte sie eilig fort. Ich wollte nicht schon wieder anfangen, zu weinen.
Ich spürte Dylans Hand auf meiner und schaute auf.
»Aber du warst minderjährig, als all das passiert ist. Du warst verzweifelt und hast Geld gebraucht.«
»Ich kann nicht, Dylan, es tut mir leid, aber ich kann nicht«, sagte ich, bevor ich abrupt aufstand, meine Hand unter seiner hervorzog und eiligen Schrittes das Restaurant verließ, bevor ich davor wieder stehen blieb. Ich würde nicht einfach abhauen und Dylan auf den Kosten sitzen lassen, aber ich brauchte frische Luft.
Keine Ahnung, wie lange ich da stand und die kühle Abendluft einatmete, als die Restauranttür geöffnet wurde und jemand neben mich trat.
»Tut mir leid, ich wollte dich nicht unter Druck setzen.«
»Schon gut. Ich verstehe dich ja und weiß, dass du mir helfen willst, aber ich kann das nicht, Dylan. Ich kann nicht zur Polizei gehen.«
Ich sah Dylan aus dem Augenwinkel nicken.
»Hast ... hast du schon bezahlt?«, fragte ich.
»Ja.«
»Wie viel war es? Ich gebe dir meinen Anteil ...«
»Vergiss es«, unterbrach er mich sofort.
»Nein, ich kann nicht zulassen, dass du schon wieder für mich bezahlst.«
»Du kannst leider nichts dagegen tun. Komm!«
»Wohin jetzt?«
»Zum Fluss.«
Ich zögerte, doch seufzte leise und folgte ihm dann.
Wieder sprachen wir kein einziges Wort miteinander, bis wir am Cumberland River angekommen waren und uns auf die Absperrungen lehnten.
»Dylan, was ... was machen wir hier?«, fragte ich.
»Ich versuche, alles zu verarbeiten, während ich dich nicht allein lasse.«
»Du musst nicht auf mich aufpassen. Mir geht es gut.«
»Nein, geht es nicht.« Er drehte mir den Kopf zu. »Mir fällt gerade was auf. Dein Tagebucheintrag ...«
Ich senkte den Kopf.
» ... war das aufgrund eines Kunden?«
Ich zögerte, doch nickte.
»Dir geht es nicht gut«, stellte er fest und vermutlich hatte er recht. Vermutlich ging es mir schon lange nicht gut.
Ohne etwas zu erwidern, drehte ich mich um, setzte mich und lehnte mich gegen das Geländer. Es dauerte nur einen Moment, bis Dylan mir folgte.
Wieder saßen wir nur eine ganze Weile schweigend nebeneinander, bis Dylan mit seinem Bein leicht gegen meines schlug.
»Was denkst du gerade?«
»Das ich vermutlich einen Psychotherapeuten brauchen werde«, erwiderte ich mit leicht heiserer Stimme.
Ein langer Moment verging, bevor Dylan seinen Arm um meine Schulter legte und mich gegen sich zog.
»Es ist vorbei. Ich werde nicht zulassen, dass du noch einmal dort hingehst.«
»Wieso fasst du mich noch an? Wieso bist du nicht völlig angeekelt von mir?«
»Wenn ich das wäre, müsste ich das auch von Lenny sein.«
Verwirrt schaute ich zu ihm und er begann sofort zu erklären, was er meinte.
»Der Angriff auf Lenny, von dem ich dir erzählt habe ... Lenny wurde nicht verprügelt oder dergleichen. Er wurde vergewaltigt.« Schockiert riss ich die Augen auf, wollte schon etwas sagen, als er weitersprach. »Keinen Moment habe ich mich vor ihm geekelt oder ihn abstoßend gefunden und das werde ich bei dir auch nicht.«
»Ich wurde nicht vergewaltigt«, protestierte ich sofort.
Man konnte doch kaum von Vergewaltigung sprechen, wenn man es zuließ, oder?
Dylan sah mich einen langen Moment an. »Vielleicht nicht in dem gleichen Sinne wie bei Lenny, aber ... in meinen Augen zählt es mit dazu.«
»Ich habe es zugelassen.«
»Das heißt nicht, dass du es wolltest.«
Ich schluckte, bevor ich den Blick abwandte, da ich seinem nicht länger standhalten konnte. Stattdessen legte ich meinen Kopf auf seiner Schulter ab und gestattete mir, seine Nähe zu genießen.
»Es tut mir so leid«, entschuldigte ich mich erneut mit heiserer Stimme.
»Ich weiß«, gab er leise zurück, bevor ich seine Lippen an meinem Scheitel spürte. »Es wird alles gut.«
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Liebe Leser, ich hoffe euch hat das Kapitel gefallen - tatsächlich bin ich etwas unsicher über das Kapitel, deshalb würde ich mich sehr über eure Meinung beziehungsweise über konstruktive Kritik freuen. Noch einen schönen Tag euch allen! LG Seline
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Liebes Tagebuch ... (bxb)
RomanceLiebes Tagebuch. Mein Name ist Nico, ich bin 17 Jahre alt und hasse mein Leben. --- Nico hat es gewiss nicht leicht. Sein Vater ist nach Asien abgehauen und hat ihn, seine Mutter und seinen kleinen Bruder zurückgelassen. Seine Mutter hat kaum Zeit f...