~~ Nico ~~

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Ich schluckte nervös, als ich vor dem Schultor zum Stehen kam. Ich wollte da wirklich nicht rein, denn ich hatte keine Ahnung, was mich erwartete. Mir gingen nur alle möglichen Horrorszenarien durch den Kopf, sodass ich am liebsten wieder umdrehen wollte. Am liebsten zurück zu Dylan.
Mit einem Seufzen setzte ich mich in Bewegung.
Auf in die Schlacht!

Es war deutlich, dass sich die Neuigkeiten über mich über Nacht durch die gesamte Schule verbreitet hatten. Ich bekam viele Blicke. Manche angeekelt, andere neugierig, wieder andere wandten den Blick sofort ab. Aber sie hielten sich fern. Keiner kam auf mich zu, um mir eine reinzuhauen, mich zu beschimpfen oder Sonstiges. Nur Blicke und Getuschel. Allerdings war ich auch Justin noch nicht über den Weg gelaufen. Ich hoffte aber auch, dass das so blieb. Und zwar für den Rest meines Lebens.
»Nico!«, hörte ich Peter rufen und drehte mich zu ihm herum. Mit seinen Büchern in der Hand kam er auf mich zu gejoggt. »Bitte, bitte, bitte sag mir, dass du die Biologie Hausaufgaben hast!«
»Was?«, fragte ich nur.
»Die Bio Aufgaben, die wir letzte Woche aufbekommen haben.«
»Achso, ja, das hab ich schon letzte Woche gemacht.«
»Streber – ich meine, Gott sei Dank, bitte, bitte, bitte lass es mich abschreiben!«, bettelte er und ich lachte. Wenigstens einer, der sich normal verhielt.
»Klar«, meinte ich nur, als wir das Mathezimmer betraten.
»Danke! Du bist meine Rettung. Noch eine schlechte Note und meine Mutter würde mich mit dem Besen verhauen.«
Wir ließen uns auf unserer Zweierbank nieder, bevor ich die Biologiehausaufgabe heraus suchte und Peter begann, sie abzuschreiben.
»Danke, du hast was gut bei mir.«
»Kein Problem.«
»Und? Wie läufts bisher so als Schulenschwuler?«
Ich zuckte mit den Schultern. »Im Moment noch ganz in Ordnung. Nur Blicke und Getuschel. Damit kann ich umgehen.«
»In ein paar Tagen wird auch das wieder vorbei sein. Den meisten ist es vermutlich auch egal. Du bist halt nur gerade die aktuelle Sensation. Gesprächsthema Nummer eins. Wenn heute noch was anderes passiert, bist du morgen schon wieder vergessen.«
»Hoffentlich.«
»Wieso hast du es mir eigentlich nie erzählt?«
Ich zuckte erneut mit den Achseln. »Keine Ahnung, ich wusste nicht, wie du reagieren würdest.«
»Wie gesagt, es macht mir wirklich nichts aus. Jedem das seine.« Er warf mir einen Seitenblick zu, bevor er sich näher beugte und leise sprach als vorneweg. »Ist Justin wirklich schwul. Hattet ihr was miteinander?«
Überrascht sah ich ihn an.
»Tu nicht so! Ich habe eure Auseinandersetzung gestern gehört und ich bin nicht blöd. Er ist mein Freund und ein wesentlich besserer als manch anderer?«, wiederholte er meine Worte vom Vortag und ich biss mir auf die Lippe. Verdammt, das hätte ich mir verkneifen sollen.
»Keine Angst, ich erzähle es auch nicht weiter. Ich will nur wissen, ob er nur ein Arschloch ist oder auch ein Heuchler.
Ich seufzte leise. »Wir haben miteinander geschlafen. Das war's.«
Seine Augen weiteten sich, als er mich ungläubig anstarrte. »Ernsthaft? Obwohl er dich tyrannisiert?«
»Nun, das hat er erst angefangen, nachdem ich Schluss gemacht habe.«
»Du hast mit ihm Schluss gemacht? Kein Wunder, dass er dich hasst. Das hat sein Ego sicher mächtig verletzt.« Er lehnte sich zurück. »Wie auch immer. Genug von ihm. Lass uns lieber über den anderen Kerl reden. Wie heißt er?«
»Dylan.«
»Geht er auf eine andere Schule? Wie habt ihr euch kennengelernt?«
»Nein, er studiert. Veterinärmedizin in Murfreesboro. Er arbeitet in einem kleinen Café in der Nähe. Dort habe ich ihn das erste Mal getroffen.«
»Du stehst also auf ältere Typen?«
»Jetzt mach mal halblang! Er ist nur ein Jahr älter als ich.«
Peter grinste. »Trotzdem älter. Nun versteh ich auch, warum du nie mitgeredet hast, als ich über Mädchen geredet habe. Ich hätte es eigentlich ahnen können, aber du bist ja sowieso nicht der Gesprächigste, deshalb habe ich mir nie groß was dabei gedacht.«
Bevor ich etwas darauf erwidern konnte, betrat der Lehrer den Raum und bat um Ruhe.
Mir juckte es in den Fingern mein Tagebuch rauszuholen, um es auf den neusten Stand der Dinge zu bringen, doch nicht, wenn Peter gleich neben mir saß. Die Gefahr war zu groß, dass er etwas lesen konnte, also musste ich mich wohl auf später gedulden.
Zu meinem großen Glück lief ich den ganzen Tag nicht einmal Justin über den Weg, beziehungsweise seinen Freunden. Ich sah sie nur einmal von weitem und schlug direkt eine andere Richtung.
In der letzten Stunde konnte ich kaum die Beine stillhalten, so sehr wollte ich endlich die Schulglocke hören und Dylan wiedersehen.
Als mir dieser Gedanke durch den Kopf fuhr, hielt das ungeduldige Wackeln meines Beines sofort inne. Stattdessen holte ich mein Tagebuch aus dem Rucksack. Nun saß ich allein, also konnte ich endlich schreiben.

Liebes Tagebuch ... (bxb)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt