Kapitel 18

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Immer noch ganz durch den Wind stolperte Leyla kurze Zeit später, mit Patientenakten bepackt, durch die Klinikflure. Panisch drehte sie sich immer wieder um, ob Dr. Heiland nicht doch irgendwo stand und ihr auflauerte, denn so eine Zusammenkunft, wie heute morgen, überstand sie nicht noch einmal. Kaum, dass sie am Counter vorbeiging erkannte sie Ben, der sich dort mit Kollegen unterhielt. Kurz nahm sie Augenkontakt zu ihm auf, unterbrach diesen jedoch schnell. Auch wenn sie seinen traurigen Blick resignierte, da sie momentan einfach nicht im Stande war, ihm zu erzählen, wieso sie sich so verhielt, weshalb sie ihren Weg schnell fortsetzte. Sie merkte zwar, wie sehr sie ihn damit verletzte, was keineswegs ihre Absicht war, aber jetzt musste sie erstmal selber mit der Situation fertig werden.
Kaum, dass sie nun das Ärztezimmer erreicht und betreten hatte, ließ sie vor Schreck auch schon ihre Patientenakten fallen. Dort saß zwar nicht Dr. Heiland, sondern nur ihr bester Freund Matteo Moreau, doch alleine, dass überhaupt jemand an einem der Tische saß, brachte sie komplett aus dem Konzept und ließ erneute Panik in ihr aufkommen. Aus angsterfüllten Augen starrte sie Matteo an und bekam Schnappatmungen, ehe sie zu Boden sank.
"Leyla? Gott Leyla!", entkam es Matteo schockiert, ehe er von seinem Stuhl aufsprang und vor ihr auf die Knie sank.
Kurz zuckte Leyla zurück und erschrak erneut, als sie leicht gegen die Wand hinter sich stieß. Tränen bahnten sich den Weg über ihre Wangen und ihr ganzer Körper zitterte.
"Gott Leyla, was ist denn passiert?", fragte Matteo besorgt und zog sie vorsichtig an sich, um ihr Halt zu geben.
"Ich....nicht....bitte.....", schluchzte sie und versuchte sich kurz gegen seine Umarmung zu wehren.
"Shht, Leyla. Ich bin es doch nur, Matteo, dein bester Freund", machte er sie sanft darauf aufmerksam, dass er ihr nichts tun würde.
"Matteo", hauchte Leyla nur schluchzend und ließ sich nun sanft in seine Arme sinken.
Fest schlossen sich Matteos Arme um Leylas zitternden Körper, während er versuchte sie etwas zur Ruhe zu bringen, da sie kurz vor einer Panikattacke stand. Vorsichtig strich er nun über ihren Rücken und ihren Hinterkopf, wo er sanft durch ihre Locken fuhr, da sie das immer beruhigte, wenn es ihr nicht gut ging. Doch in all den Jahren, die er Leyla nun schon kannte, hatte er sie noch nie so wie gerade erlebt. Noch nicht einmal nach der damaligen Situation mit ihrem Ex Mann Navid, weshalb er sich immer mehr Sorgen um sie machte. Was konnte denn nur passiert sein?

Eine gefühlte Ewigkeit später löste Matteo Leyla sanft von seinem Oberkörper und sah ihr vorsichtig in die Augen, dass sein Oberteil nun von ihren Tränen durchnässt war, war ihm im Moment ganz egal. "Leyla", fing er sanft an zu sprechen,"Was ist passiert?"
"Können......wir bitte auf die Couch?", fragte Leyla stattdessen nur ganz leise und nahm seine Hand in ihre.
"Sicher", entgegnete ihr Matteo sofort, half ihr hoch und brachte sie zum Sofa, bevor er sich neben ihr niederließ.
Leicht dankbar sah sie ihn an und umklammerte immer noch fest seine Hand, diesen Halt brauchte sie jetzt.
"Möchtest du mir nicht erzählen, was los ist?", versuchte er erneut zu ihr durchzudringen.
"Ich....ich....", brachte sie nur stockend hervor. Sollte sie ihm wirklich erzählen was passiert war? Wobei? Wovor hatte sie eigentlich Angst? Das neben ihr war doch Matteo, ihr jahrelang bester Freund und er hatte sie noch nie verletzt oder enttäuscht. Wenn sie es schon nicht Ben erzählen konnte, dann bestimmt Matteo. Sie nahm ihren ganzen Mut zusammen und atmete noch einmal tief durch, bevor sie anfing ihm von dem Vorfall zu erzählen:"Dr......Dr. Heiland.....ich war im Labor, wegen meinen Proben und er......er wollte mir seine Hilfe anbieten.....aber ich wollte nicht...........ich.......es ging so schnell......und dann hat er.......er hat...."
Matteo, der seiner besten Freundin aufmerksam zuhörte, sah sie nun ernst an und knurrte nur:"Was hat er?!"
"Er.......er hat mich.......angefasst......", hauchte sie nur und zitterte sofort wieder am ganzen Körper.
"Gott Leyla", brachte er nur hervor und zog sie sofort wieder in seine Arme.
Erneut schluchzte sie auf und schmiegte sich vertrauensvoll an ihn.
Schockiert streichelte er durch ihre Locken und musste erstmal verarbeiten, was sie ihm da eigentlich erzählt hatte. Dieser Mistkerl hatte es wirklich gewagt seine Freundin gegen ihren Willen anzufassen. Der würde noch sein blaues Wunder erleben, wenn er ihn erst in seine Finger bekommen würde. Doch bevor er diesem Möchtegern-Arzt eine reinhauen würde, musste er sich erstmal um die aufgelöste Leyla kümmern.
"Was soll ich jetzt tun?", hauchte sie weinend und sah ihn an.
"Du tust jetzt erstmal gar nichts! Lass mich und Ben das erstmal mit ihm klären und dann sagst du es Professor Patzelt", meinte Matteo und sah sie auch an, bevor er ihr sanft die Tränen weg strich.
"Ben weiß noch nichts", gab sie leise zu und senkte ihren Kopf.
"Du hast es ihm nicht erzählt?", fragte er leise und seufzte nur kurz auf.
Sie schüttelte ihren Kopf:"Ich konnte nicht....als er nach eurer OP in mein Büro kam.....da war der Vorfall gerade zwei Stunden oder so her......ich konnte seine Anwesenheit nicht ertragen......da hab ich ihn quasi aus meinem Büro rausgeworfen.....ich weiß, dass ich es ihm erzählen muss......das werde ich nachher auch sofort machen......aber da konnte ich es nicht...."
"Ben wird es verstehen", versuchte Matteo sie aufzumuntern.
"Bist du sicher?", fragte sie und nahm erneut seine Hand in ihre, irgendwie gab ihr das die Sicherheit, die sie gerade am meisten brauchte.
Er umschloss ihre Hand sofort, gab ihr einen Kuss auf die Stirn und nickte dann leicht:"Ganz sicher! Und jetzt bin ich für dich da, wie ich es immer war."

Ben, der gerade am Ärztezimmer vorbeiging, traute seinen Augen und Ohren kaum, als er das Bild sah, welches ihm dort geboten wurde. War Leyla deshalb so abweisend zu ihn gewesen? Weil sie wieder etwas mit Matteo hatte? Konnte das wirklich sein? Aber sie hielten eindeutig Händchen, sahen sich so vertraut lächelnd an und Matteos Worte waren eindeutig gewesen. Wie konnte sie ihm so etwas antun? Er würde doch alles für sie tun!
Einen Moment beobachtete er die beiden noch, bevor er die Tür aufstieß und verletzt und sauer zu den beiden sah. "Aha, so sieht es also aus!", meinte er nur laut und verschränkte die Arme vor der Brust.
Überrascht lösten sich Matteo und Leyla ruckartig voneinander und starrten nur zur Tür, bevor beiden ein schockiertes "Ben" entkam.
"Ben? Wow, mehr habt ihr nicht zu sagen? Wie konntet ihr nur!", zischte er verletzt und schaffte es kaum seine Tränen zurück zuhalten.
"Ben....ich kann alles erklären....", hauchte Leyla nur leise und stand dann vom Sofa auf.
"Das brauchst du nicht, ich hab schon verstanden! Deshalb warst du also so abweisend zu mir! Ich hätte vieles vermutet, aber eine Affäre mit Matteo hätte ich dir nicht zugetraut", meinte er ernst und sah, wie sie auf ihn zu kam.
"Bitte was?", hauchte Leyla schockiert und wechselte kurz einen Blick mit Matteo, bevor sie wieder zu Ben sah.
"Das hätte ich nie von euch gedacht!", gab Ben nur von sich, der den Augenkontakt der beiden bemerkt hatte, was ihn nur noch mehr in seiner Theorie bestärkte. Kurz räusperte er sich, doch nur um nicht sofort weinen zu müssen, denn den Gefallen, jetzt seine Emotionen zu zeigen, würde er Leyla nicht tun.
"Ben, du verstehst das völlig falsch!", mischte sich nun Matteo ein und stellte zu den beiden.
Ben entkam nur ein irronisches Lachen, bevor er Matteo einen vernichtenden Blick zuwarf:"Was gibt es da bitte nicht zu verstehen?! Und du....so etwas hätte ich nicht von dir gedacht, dass du so tief sinken kannst....mir meine Frau auszuspannen, nur damit du alte Gefühle wecken kannst! Das ist so.....so niedrig!"
"Ich sollte besser gehen", meinte Matteo nur, da er sich jetzt nicht von Ben beleidigen ließ. Schließlich wusste, dass zwischen ihm und Leyla außer Freundschaft nichts lief und jetzt würde Ben ihm sowieso keines seiner Worte glauben, dafür war er zu sturr.
Leyla nickte nur leicht:"Ja, ich denke das ist besser! Das hat so keinen Sinn!"
"Was? Was hat keinen Sinn? Wollt ihr mich eigentlich komplett verarschen?!", meinte Ben nun aufgebracht, sah Matteo hinterher und wieder zu seiner Frau.
"Nein! Wir haben dich nie verarscht! Aber du hörst ja nicht zu! Deshalb bringt es jetzt nichts mit dir zu reden. Andernfalls könnte ich dir sagen, was.....", sie konnte nicht zuende sprechen, da Ben sie mitten im Satz unterbrach.
"Spar dir das Leyla! Ich hab genug gesehen und gehört! Ich werde jetzt zu unserer Tochter gehen!", mit diesen Worten ließ er sie einfach stehen.
Geschockt sah Leyla Ben nach und musste sich erstmal sammeln. Was genau war gerade passiert? Traute Ben ihr wirklich zu, dass sie ihn betrügen würde? Mit Matteo? Wie konnte er nur so etwas von ihr denken? Sie hatte ihm nie einen Grund gegeben, dass er sich über ihre Treue zu ihm auch nur einen Funken sorgen machen musste. Und jetzt warf er ihr gerade das vor. Sie sollte ihm fremd gegangen sein. Eine Affäre mit Matteo. Nie im Leben hatte Leyla auch nur einen Gedanken daran verschwendet erneut etwas mit Matteo anzufangen oder sich überhaupt auf einen anderen Mann einzulassen. Schließlich waren Ben und sie doch verheiratet. Und bis gerade auch sehr glücklich, zumindest hatte sie das gedacht, aber scheinbar hatte sie sich dabei schwer getäuscht, wenn er ihr so etwas unterstellte. Aber wenn Ben nicht glücklich gewesen war oder irgendwelche Zweifel gehegt hatte, wieso sprach er dann nicht einfach mit ihr. Hatten sie sich das nicht versprochen? Immer offen und ehrlich zueinander zu sein? In guten, wie in schlechten Zeiten? Davon schien gerade einiges zu fehlen. Verzweifelt verließ Leyla schließlich das Ärztezimmer und lief mit erneut aufkommenden Tränen zurück in ihr Büro. Sie musste später unbedingt nochmal mit Ben reden, das konnte sie nicht so stehen lassen. Zumal sie ihm dann sagen konnte, was für ein Idiot er eigentlich war, dafür was er ihr gegenüber behauptet hatte und das vorallem komplett unbegründet. Durfte sie jetzt nicht mal mehr ihren besten Freund umarmen? Kopfschüttelnd ließ sie sich nun auf ihrem Bürostuhl nieder und stützte den Kopf in die Hände, bevor sie ihren Tränen freien Lauf ließ. Alles was heute passiert war, musste ein Traum gewesen sein, ein Alptraum.

In aller Freundschaft- Die jungen Ärzte Liebesgeschichten mit HürdenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt