Prolog

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Die Sonne schien die Luft und all ihre Hitze im Tal gefangen zu halten. Daran würde auch der kurz bevorstehende Sonnenuntergang nichts ändern. Zur Zeit war es nachts in diesem Sommer nicht merkbar kälter als tagsüber und das drohte unsere gesamte Ernte zu zerstören. Ich konnte nicht mehr zählen, wie oft ich zu dem Brunnen gelaufen war, um frisches Wasser zu holen, in der Hoffnung, dass wir das Gemüse vor dem Austrocknen retten konnten. Bei dem Anblick des nur mühsam in die Erde laufendes Wassers, wirkte der Rettungsversuch, wie ein kläglicher. Ein harter Winter war unausweichlich. Ich lachte über meinen Gedankengang. Schlimmer als dieser Sommer konnte es nicht werden.
Schweiß tropfte mir von der Stirn, als ich mich an die dringend ausbesserungs bedürftige Mauer setzte. Selbst die Steine in meinem Rücken waren zu warm. Seufzend verließ die Luft meine Lungen und ich legte den Kopf in den Nacken. Eine kleine Pause hatte ich nötig, bevor ich die Kühe von der Weide holte. Nachdem ich das Gemüse zumindest für heute gerettet hatte, hatte ich mir diese auch verdient.
Mein Blick lag auf der Sonne, die unser Tal in ein orangefarbenes Licht tauchte und in wenigen Minuten hinter den Gipfeln verschwinden würde. Ich beschloss, so lange sitzen zu bleiben, bis sie weg war. Dann wäre es gerade hell genug um nicht in absoluter Dunkelheit nach Hause zu kommen. Es war nicht so, dass es in unserem Dorf gefährlich war, aber meine Großmutter hatte es lieber, wenn ich mich nicht in der Nacht draußen herumtrieb. Früher hatte ich mich oft trotzdem rausgeschlichen, aber mittlerweile war ich abends durch die Arbeit so erschöpft, dass ich keine Kraft mehr hatte.
Beim Versuch, wieder aufzustehen, merkte ich, dass es keine gute Idee war, sich hinzusetzen. Meine Arme und Beine schmerzten, als ich sie belastete. Auch wenn ich mittlerweile nur noch Hosen zur Arbeit trug statt Röcken, hatte es mir das Aufstehen nicht erleichtert. Meine Großmutter war das immer noch ein Dorn im Auge, aber sie wusste, dass sie meine Hilfe brauchte und Regeln dieser Art waren mir noch nie sonderlich wichtig gewesen. Ich streckte mich einmal kräftig und gerade, als ich rüber zur Weide laufen wollte, fiel mir etwas auf.
Grelle Blitze durchzuckten das immer dunkler werdende Tal. Sie kamen von der Handelsstraße, die durch unser Dorf lief. Ungefähr auf der Höhe der alten Kirche in der Mitte. Gebannt stand ich immer noch vor der Mauer und beobachtete das Spektakel. Die Neugierde in mir kippte, als ich die ersten Schreie hörte. Etwas stimmte hier nicht. Ich versuchte, die aufkommende Panik zu unterdrücken und eilte zu den Kühen. Auch diese waren bereits unruhig. Kein Wunder, meistens wussten sie auch vor mir, wann es gewittern würde. Nur dass diese Blitze kein Gewitter waren.
Die bunten Blitze und die Schreie kamen immer näher. Mittlerweile waren sie so nah, dass sich meine Nackenhaaren aufstellten. Vermutlich hatte ich nur noch wenige Minuten bis sie hier waren. Ich trieb die Kühe noch ein Stück schneller an, denn was auch immer diese Fremden vor hatten, ich wollte es nicht herausfinden. Bei jedem Schrei stiegen mein Puls und die Angst. Reiß dich zusammen. Nur Noch wenige Meter bis zum Stall. Ein Glück spielten die Kühe heute mit und liefen ohne mehrfache Aufforderung hinter mir her.
Erleichterung breitete sich in mir aus, als ich die schwere hölzerne Stalltür hinter den Kühen schloss. Ich musste mich immer mit meinem gesamten Körpergewicht gegen diese lehnen und verharrte heute noch einen Moment in der Position, um durch zu atmen. Hatte ich es geschafft?
Als ich mich umdrehte, erkannte ich nichts außer das Licht der ersten Sterne, die unseren Hof fahl schimmern ließen. Plötzlich formierten sich drei dunkle Wolken um mich herum. Instinktiv drückte ich mich gegen die Stalltür und versuchte mit aufgerissenen Augen das zu erfassen, was vor mir passierte. Jetzt waren es drei junge Männer, die mit einem alles andere als freundlichen Lächeln auf mich zukamen. Waren sie aus den Wolken gekommen? Mir blieb keine Zeit diesen Gedanken weiter zu verfolgen, denn sie standen nur noch wenige Meter von mir entfernt.
"Wen haben wir denn da?", fragte der linke von ihnen, der einen langen dunklen Mantel und einen Zylinder trug. Würde er nicht so bedrohlich wirken, könnte man ihn glatt für einen Zirkus-Reisenden halten. Ich war nicht in der Lage zu antworten oder wegzurennen. Stattdessen stand ich an der Wand und ließ zu, dass diese drei Männer mich noch weiter einkesselten.
"Das Mäuschen hier ist noch weniger Gesprächsbereit als die Alte", lachte der in der Mitte und die beiden anderen stimmten mit ein.
"Was habt ihr getan?", rief ich ihnen entgegen, doch meine Stimme brach. Sie wussten, dass ich keine Chance hatte und meine Schwäche bestätigte sie nur in der Annahme. Wieder nur dieses hämische Lachen. Nur der ganz rechts wirkte zunehmend genervter und hatte als einziger die Hände vor der Brust verschränkt. Wer waren sie und was wollten sie?
"Miller. Jetzt mach dieses Mädchen kalt oder ich tu es", wies er ihn barsch an. Sollte das hier mein Ende sein? 15 Jahre bin ich gewachsen um dann an einem Abend in einem verdammt heißen Sommer von drei Fremden getötet zu werden.
"Warum?", fragte ich und ich ärgerte mich in der gleichen Sekunde darüber, dass, wenn das meine letzten Worte gewesen sein sollten, die mit Abstand schlechtesten waren.
"Weil du irgendein Muggel Kind bist und wir das brauchen, was unter eurem kümmerlichen Dorf liegt", wandte sich der in der Mitte mir zu und zielte mit einem Stock auf mich. Wenn diese Situation nicht so bedrohlich wirkte, hätte ich fast losgelacht. Er bedrohte mich nach dem ganzen Theater mit einem Stock, der gerade mal so lang wie mein Unterarm und so breit wie mein kleiner Finger war.
"Miller!", der Ausruf glich einem scharfen Messer, das die Nacht durchschnitt und war gefolgt von einem spitzen Schrei. Der in der Mitte war zusammengebrochen und krümmte sich am Boden vor Schmerzen. Jetzt war es der Rechte, der seinen Stab auf mich richtete. Panisch blickte ich mich um. Das konnte nicht das Ende sein.
Plötzlich spürte ich ein noch nie dagewesenes Gefühl durch meinen Körper strömen. Ein grüner Blitz durchschnitt die Dunkelheit und schoss auf mich zu. Instinktiv warf ich mich auf die Seite und rollte mich ab. Ich verlor keine Zeit und sprang wieder auf. Mein Blick fiel auf den Zugwagen, der wenige Meter entfernt stand. Es fühlte sich an, als würde mir jemand ins Ohr flüstern, was ich zu tun hatte. Ich richtete meine gesamte Konzentration auf den Wagen. Wie von Geisterhand löste sich dieser vom Boden und schoss auf einen der Männer. Mit einem ohrenbetäubenden Knall begrub er diesen unter sich. Ungläubig blickte ich meine Hände an und suchte die Umgebung nach weiteren Wurfgeschossen ab. Jetzt hatte ich wirklich eine Chance und ich war entschlossen sie zu nutzen
Die Dunkelheit machte es zunehmend schwerer, etwas zu erkennen. Zum Glück waren die Männer durch meinen Rückschlag so aus dem Konzept gebracht, dass ich etwas mehr Zeit hatte. Es flog ein altes Fass durch die Luft und setzte Miller außer Gefecht, sodass ich mich nur noch einem gegenüberstand. Dieser zögerte auch keine weitere Sekunde. "Avada", schrie er wütend und noch bevor er zu Ende sprechen konnte, tauchten weitere Menschen auf. Hatte ich doch verloren? Ich kniff die Augen zusammen in der Erwartung, gleich von einem dieser grellen Blitze getroffen zu werden. Doch es passierte nichts. Stattdessen spürte ich eine Hand auf meinem Arm. Erschrocken riss ich die Augen wieder auf und blickte in ein faltiges, aber freundliches Gesicht einer älteren Frau. Ihre Augen strahlten eine unendliche Ruhe aus, die sich sofort auf mich übertrug.
"Kind, wo sind die anderen zwei?", behutsam strich sie mir dabei über den Rücken, so als wäre mir gerade Schreckliches widerfahren. Moment mir war Schreckliches widerfahren, aber ich war nicht in der Lage, das alles, was gerade passiert war, zu verarbeiten. Stattdessen zeigte ich stumm in die Richtung, in die ich den Wagen und das Fass geschleudert hatte. Ich hatte diese Dinge bewegt, ohne sie auch nur anzufassen. Ungläubig legte die Frau ihre Stirn in Falten und folgte meinem Blick. "Arthur, das musst du dir ansehen", rief sie und etwas in ihrer Stimme war anders. Hoffentlich bekam ich keinen Ärger für das, was ich getan hatte, aber ich musste es tun, sonst hätten sie mich umgebracht. Ein anderer, etwas weniger nett aussehender Mann stellte sich zu uns herüber. Trotzdem wusste ich, dass von diesen Menschen keine Bedrohung ausging. Ich war mir ziemlich sicher, dass sie mir helfen wollten.
"Wie heißt du mein Kind?", wandte sich die ältere Frau an mich, ohne mich auch nur einen Augenblick loszulassen.
"Elisa Eltringham", presste ich hervor und schaute verunsichert zwischen den beiden hin und her. "Noch nie gehört", schüttelte der Mann den Kopf und die Frau stimmte ein. "Wer sind deine Eltern?"
"Weiß ich nicht", antwortete ich knapp, aber mehr konnte ich ohnehin sowieso nicht über meine Herkunft sagen.
"Ist es möglich, dass sie übersehen wurde?", wandte sich die ältere Frau an einen weiteren Mann, der neben dem Wagen kniete und des Puls des Mannes darunter maß. Hatte ich ihn umgebracht?
"So etwas passiert. Gerade, wenn man so weit außerhalb jeglicher Zivilisation lebt", rief er herüber und erhob sich dann. Gelassen lief er zu uns herüber.
"Wir nehmen sie vorsichtshalber mit", beschloss er dann und zog sich ein paar Leder Handschuhe über die langen dünnen Finger. Mitnehmen? Mich?
immer noch stand ich wie angewurzelt in der Mitte der kleinen Gruppe, die Hand der älteren beruhigend auf meinem Rücken.
"Elisa, du musst uns jetzt vertrauen", wies mich einer der Männer an und ich weiß nicht warum, aber ich traute ihnen. Im Gegensatz zu den Kerlen vom Anfang wirkten diese nicht bedrohlich. Vielleicht war ich auch einfach nur naiv.

Stumm folgte ich den Dreien durch das zerstörte Dorf. Mein Magen zog sich zusammen, als ich die toten Menschen am Boden sah. Der Laden eines guten Freundes stand in Flammen. Was hatten sie gesucht, dass sie unser Dorf so sehr zerstörten?
In dem angrenzenden Wald stand eine Kutsche, die von knochigen Pferden gezogen wurde. Es war zu dunkel um diese genau zu erkennen, aber ich wusste, dass sie anders waren als Normale. Die Frau öffnete die Kutschtür und sah mich abwartend an. Zögerlich stieg ich in die fast schon prunkvolle Kutsche. Ich hatte noch nie in einer gesessen und schon gar nicht in einer mit samtenen Vorhängen und Sitzen. Als alle Platz genommen hatten fuhren wir los.
"Was ist mit meiner Oma?", platze es keine Sekunde später aus mir heraus. Sofort legte sich ein trauriger Schatten über ihre Gesichter und sie mussten nichts weiter sagen. Bathilda war alt und nach diesem Sommer hätte sie den Winter vermutlich nicht überstanden. Zumindest redete ich mir das ein, denn das half mir, den Schmerz zu überleben, der sich in meine Brust gesetzt hatte. Mir war klar, dass ich wahrscheinlich Recht hatte, aber trotzdem war meine Großmutter immer alles gewesen, was ich hatte. Jetzt war ich alleine. Nicht ganz. Zusammen mit drei Fremden saß ich in der schönsten Kutsche, die ich je gesehen hatte. Angestrengt versuchte ich ihnen zuzuhören, aber der Tag hatte seine Spuren an mir hinterlassen.
Irgendwann war ich mir nicht mehr sicher, ob ich doch nicht einen abbekommen hatte, denn als sie von Hexen und Zauberern erzählten, dachte ich, ich hätte mich verhört. Vielleicht erzählten sie mir Märchen, damit ich einschlafe, so wie man es bei kleinen Kindern tat. Abwesend drehte ich den Kopf aus dem Fenster. Von hier oben sah alles so friedlich aus. Ich riss die Augen auf. Von hier oben. Ich schrie und presste mich fest gegen den Sitz und gegen die Frau neben mir. Weg vom Fenster, hinter dem es Kilometer tief in die Luft ging. Wir flogen.
"Beruhige dich", forderte mich der ältere Mann auf und warf mir dabei einen tadelnden Blick zu. "Wir werden dir alles erklären, wenn wir in Hogwarts sind"

Im Schatten des Unausgesprochenen Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt