Kapitel 19

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Auf dem Weg zurück zum Gemeinschaftsraum hatten Portia und ich Poppy getroffen. Allem Anschein nach kam sie direkt aus den Ställen der Tierwesen. Ihre Hose war voller Matsch und roch kein Stück besser als sie aussah. Teilweise klebte ihr der Dreck auch im Gesicht.
"Was hast du denn gemacht?", wollte Portia mit hochgezogener Augenbraue wissen und blieb stehen. Als sie unsere Freundin genauer musterte, verzog sie das Gesicht. Der Geruch musste nun auch bei ihr angekommen sein.
"Eines der Mondkälber ist ausgebrochen und ich hab ein wenig gebraucht, um es wieder einzufangen", sagte Poppy und ihre sonst so freundliche Stimme klang eher abgeschlagen und erschöpft. Statt nachzufragen, was denn genau passiert war, stand ich teilnahmslos neben den beiden und hörte eher halbherzig zu. Meine Gedanken waren schon wieder oder wohl besser immer noch bei Sebastian. Ich wollte wissen, was er Amit gesagt hatte. Wäre es sehr unhöflich, wenn ich es den Ravenclaw morgen fragen würde? Andererseits warum wollte ich das überhaupt wissen? Sebastian Sallow sollte mir verdammt noch einmal egal sein! Er hatte nicht mal meinen Namen benutzt und ich stand hier und sollte für Poppy eine gute Freundin sein, doch ich dachte nur an seinen wütenden Gesichtsausdruck und an das verfluchte Gefühl in meinem Magen, das er immer noch auslöste.
"Das schreit wirklich nach einer Sternennacht", sagte Portia und ich schreckte hoch. Alle beide sahen mich breit grinsend an. Ich war so sehr in Gedanken gewesen, dass ich das Gespräch der beiden gar nicht weiter verfolgt hatte. Ich sah die beiden völlig verdattert an, weil ich mir keinen Reim darauf machen konnte, was sie mit Sternenabend meinten. Liebevoll legte Portia mir ihren Arm um die Schultern und lief los: "Also es ist nicht zu übersehen, dass dich etwas sehr beschäftigt und du nicht drüber reden willst-"
Dann fiel ihr Poppy ins Wort: "Elisa muss aber auch nicht drüber reden"
"Ja natürlich muss sie das nicht", verdrehte Portia die Augen und fuhr breit grinsend fort, "aber dich ablenken lassen musst du!"
Ich verstand immer noch nicht, was die beiden mir damit sagen wollten, also nickte ich nur und hoffte, dass es nichts Schlimmes war. So begeistert, wie die beiden aussahen, konnte ich mir das aber nur schwer vorstellen.
"Also Poppy, du sagst den anderen Bescheid, gehst dann durch den Gang der einäugigen Hexe zum Honigtopf und wir gehen in die Küche", wies Portia nett, aber bestimmt die Hufflepuff an. Doch diese stemmte empört die Arme in die Seite: "Warum muss ich den Gang nehmen?"
Portias Blick wanderte einmal von den zerzausten Haaren zu den dreckigen Stiefeln: "Nichts für ungut, aber deine Klamotten sind schon verdreckt". Dem hatte Poppy nichts mehr entgegenzusetzen und verabschiedete sich anschließend von uns. Sie bog um eine Ecke und wir gingen weiter in Richtung des Gemeinschaftsraums.
"Klärst du mich bitte auf", flehte ich sie an, als wir die Treppe zum Korridor mit den Fässern nahmen. Portia antwortete mir nicht, sondern blickte verstohlen über ihre Schulter und an das andere Ende des Korridors. Fast so als würde sie überprüfen, ob die Luft rein ist. Meine Verwirrung wurde von Aufregung abgelöst. Was auch immer sie jetzt vor hatte, wir würden vermutlich die ein oder andere Regel brechen. Sie zog mich vor ein Portrait in der Nähe des Eingangs zum Gemeinschaftsraums. Es war fast so groß wie wir mit einer gefüllten Obstschale darauf. Portia streckte den Finger nach vorne und kitzelte die Birne. Gerade als ich sie fragen wollte, ob es ihr gut ging, hörte ich ein leises Kichern. Verwundert wanderte mein Blick von kitzelnden Portia zu der der kichernden Birne bis das Portrait aufschwang und einen kleinen Gang freigab. Nach ihr kletterte ich hindurch und sofort schlug mir der Duft nach frischem Brot und anderen Leckereien entgegen. Vor mir erstreckte sich ein Raum, der genau so groß war wie die große Halle und ebenfalls die vier großen Tafeln in der Mitte stehen hatte. Nur war das das einzige, was der Raum mit der großen Halle gemein hatte, denn überall standen Kessel und Öfen herum, in denen allerhand zubereitet wurden. Wie von Geisterhand drehten sich große Holzlöffel in den Töpfen oder Brot schwebte gebacken aus den Öfen in die Regale. Allmählich verstand ich, dass das der Ort war, in dem das Essen für uns vorbereitet wurde. Ich erinnerte mich daran, dass nichts einfach so durch Zauberei geschaffen werden konnte, sondern sich irgendwo der Ursprung befinden musste. Auf den Tafeln wurde unser Essen hergerichtet und dann nach oben gezaubert. Fasziniert ging ich durch den Raum und beobachtete die kleinen Wesen mit spitzen Ohren, wie sie vor den Kesseln standen oder eifrig Dinge von den Tischen herunter räumten. Es mussten die Reste von unserem Abendessen sein. Vorsichtig beugte ich mich zu Portia rüber: "Was sind das für Wesen?"
Mittlerweile war ich an allerhand Besonderheiten der magischen Welt gewöhnt, aber diese Geschöpfe hatte ich noch nie gesehen,
"Hauselfen", sagte sie mit einer Selbstverständlichkeit, die mich kurz stocken ließ, und ging an einigen Regalen neben den Tischen vorbei. Dabei ließ sie hier und da etwas in ihren Taschen verschwinden. Die meisten der Hauselfen beachteten uns gar nicht. Nur eine lief uns hinterher, was mich zunehmend nervös machte. Immer wieder drehte ich mich, um mich zu vergewissern, dass sie es immer noch tat. Dann erschrak ich, als ich sah, dass sie nur noch wenige Meter hinter uns war.
"Portia Fawcett", mahnend, aber trotzdem piepsig sprach der Hauself sie direkt an. Sofort fuhr Portia herum und ließ dabei die Kürbispastete fallen, die sie in der Hand gehalten hatte. Scheppernd kam diese auf dem Steinboden auf und verteilte sich in einem Radius von einem Meter auf diesem.
"Abby", atmete Portia erleichtert aus und fing an, die Überreste der Pastete aufzusammeln. Ich war mir ziemlich sicher, dass wir hier drinnen nicht erlaubt waren. Aus diesem Grund stand ich relativ verunsichert zwischen dem Hauselfen und Portia und wartete darauf, dass etwas passierte. Doch außer freundlichem Gelächter beiderseits blieb es zunächst ruhig.
"Wie geht es Polly?", fragte Abby schließlich, nachdem die größten Spuren der Pastete beseitigt worden waren.
"Gut, gut", antwortete Portia und ich versuchte, mir einen Reim aus der Unterhaltung zu machen. Abby nickte zufrieden, bedeutete uns kurz zu warten und wandte sich dann ab. Fragend ging mein Blick zu Portia und sie fing an zu lachen. Dann erklärte sie jedoch leicht beschämt, wer Polly war: "Einige Zaubererfamilien haben Hauselfen, die so Sachen wie Putzen und Kochen übernehmen. Abbys Schwester Polly ist eine von unseren"
"Plural?", fragte ich erstaunt, weil ich mir nur schwer vorstellen konnte, überhaupt Hilfe von jemandem zu haben. Durch die vielen Kleider und Fotos um Portias Bett herum hatte ich zwar immer eine grobe Vorstellung davon, wie viel Geld sie hatte, aber dass sie so viel hatte, dass jemand den Haushalt für sie machte, erstaunte mich dann wiederum doch. Was hätte ich dafür gegeben, wenn mir ein Elf bei der Feldarbeit geholfen hätte.
"Ja", schmunzelte sie verlegen und fuhr sich durch die orangenen Haare. Gerade als ich etwas sagen wollte, damit sie sich weniger beschämt fühlte, kam Abby mit einem Korb zurück, den sie Portia in die Hand gab.
"Danke meine Liebe", sagte sie mit einem warmen Lächeln auf den Lippen.
"Und jetzt raus mit euch, bevor Black euch erwischt!", wies sie uns liebevoll, aber nachdrücklich an. Eifrig nickten wir beide und verließen die Küche wieder. Etwas überwältigt von den Eindrücken stolperte ich zurück in den Flur. Mir blieb jedoch keine Zeit, mich zu sortieren, denn Portia zog mich in unseren Gemeinschaftsraum. Auf direktem Wege gingen wir in unseren Schlafsaal und als ich diesen betrat, traute ich meinen Augen nicht.
Die Decke war verschwunden und stattdessen hing die Milchstraße in ihrer vollen Pracht über unseren Köpfen. Jeder einzelne Stern funkelte in einer anderen Farbe und sie wirkten so nah, dass ich das Gefühl hatte, sie würden vom Himmel regnen. Erst als mein Nacken sich versteifte, merkte ich, wie lange ich diesen in einer unnatürlichen Position nach hinten gestreckt hatte.
"Wow", brachte ich dann nach einer gefühlten Ewigkeit hervor und die Mädchen lachten alle. "Wo ist die Decke hin?"
"Die ist noch da, aber Mary-Ann hat sie verzaubert", erläuterte Portia und setzte sich auf ihr Bett. Immer noch den Blick nach oben gerichtet, lief ich durch den Raum. Jetzt verstand ich, warum sie es Sternennacht nannten. Wir schoben unsere Betten mit Hilfe von "Wingardium Leviosa" zusammen, legten uns hin und betrachteten die Sterne. Es dauerte ein wenig, bis Poppy wiederkam, aber dafür war sie noch schmutziger als vorher und hatte die Taschen voll mit Süßigkeiten.
"Oho du hast geklaut", grinste Ruby herausfordernd, doch Poppy bestand darauf, dass sie am nächsten Wochenende alles offiziell bezahlen würde. Daraufhin lachten wieder alle. Ich spürte ein warmes, wohliges Gefühl in meiner Magengegend und konnte zum ersten Mal seit Tagen an etwas Anderes denken. Kopfschüttelnd breitete Poppy die Süßwaren auf den Betten aus und machte es sich dann bequem.

"Meint ihr ich soll ihn nochmal fragen?", fragte Ruby irgendwann, als die Hälfte der Süßigkeiten leer war und mein Bauch weh tat. Ich wandte meinen Blick nicht vom Sternenhimmel ab und hörte nur so zu. Ohnehin hatte ich nicht das Gefühl, dass sie die Frage an mich richtete. Bis auf ihre bissigen Bemerkungen hatten wir nämlich noch nicht viele Worte gewechselt.
"So wie der drauf ist, momentan würde ich nicht mehr als nötig mit ihm sprechen", sagte Mary-Ann dann nur.
"Vielleicht geht es seiner Schwester wieder schlechter und er braucht jemanden, der ihn tröstet", überlegte Ruby laut und so allmählich beschlich mich ein Verdacht, um wen es gehen könnte. Allerdings gefiel mir meine Vermutung so gar nicht. Ich wollte aber nicht länger mutmaßen, um wen es sich handelte, also fragte ich direkt: "Um wen gehts denn?"
"Sebastian natürlich", zischte Ruby in meine Richtung und bevor Poppy etwas sagen konnte, fuhr sie fort, "bevor das passiert ist, sind wir ausgegangen." So wie sie das sagte, klang es fast wie eine Warnung. Dabei hätte ihre Stimme gar nicht so scharf werden müssen, denn alleine diese Information reichte, damit es sich anfühlte, als würde man mein Inneres zerschneiden. Schwer schluckte ich, nicht in der Lage, etwas zu sagen. Nicht nur, dass er aktuell nicht mit mir redete; all das, was ich gemeint hatte zwischen uns zu fühlen, war nichts Besonderes gewesen, denn er wollte Ruby und nicht mich. Die Erkenntnis traf mich hart und ich versuchte mir nichts anmerken zu lassen. Der starre Blick an die Sternendecke half mir dabei.
"Naja ihr wart einmal in den drei Besen was trinken", lachte Portia dann und ich sah aus dem Augenwinkel, wie sie mir einen Blick zuwarf. Bevor ich weiter drüber nachdenken konnte, flog ein Kissen durch die Luft und traf die Rothaarige am Kopf. Es fiel mir schwer, diese Stimmung auszuhalten, weswegen ich nach einer Packung Schokolade griff und anfing, diese zu essen.
"Ey Ruby, ich bin nur ehrlich", verteidigend hob Portia die Hände, doch der Blick von Ruby war bitter böse.
"Ich schmeiß mich halt nicht so an ihn ran", fuhr sie mich dann direkt an und ich hätte mich fast an einem Stück Schokolade verschluckt. Erschrocken drehten sich alle in Rubys Richtung. Selbst Poppy, die sonst durch nichts außer Ruhe zu bringen war, war alles aus dem Gesicht gefallen.
"Bitte?", fragte ich heiser, nachdem ich meine Sprache wiedergefunden hatte.
"Du hast schon richtig gehört, Elisa", sie betonte meinen Namen fast so, als wäre es ein Schimpfwort. Dann sprang Mary-Ann auf: "Was soll das denn, Ruby?"
"Genau beruhig dich mal", pflichtete auch Portia bei und schüttelte den Kopf.
"Ernsthaft? 5 Jahre Freundschaft und kaum ist die einen Monat bei uns, haltet ihr eher zu ihr als zu mir? Alle wissen, dass Sebastian mir gehört"
So langsam ging es mir gehörig gegen den Strich, so von ihr behandelt zu werden, also atmete ich tief durch und sah ihr direkt in die Augen: "Du kannst ihn gerne haben! Er redet sowieso nicht mehr mit mir"

Im Schatten des Unausgesprochenen Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt