Kapitel 27

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"Guten Morgen Sonnenschein", flötete Portia und für den Bruchteil einer Sekunde lugten ihre roten Locken hinter der hölzernen Schranktür hervor. Der Sarkasmus in ihrer Stimme war nicht zu überhören, genauso wenig wie der trotzdem immer noch liebevolle Unterton. Verschlafen rieb ich mir durch das Gesicht. Die Nacht fühlte sich deutlich kürzer an, als sie gewesen war. Ich schlug die Bettdecke zurück und sah mich in meinem Schlafsaal um. Portia und ich waren alleine. Die Betten der anderen waren schon gemacht.
"Ich dachte schon, du wachst nie auf", stöhnte sie aufgesetzt genervt, während sie sich auf das Fußende meines Bettes fallen ließ. Gerade noch rechtzeitig konnte ich mein Bein wegziehen, damit sie sich nicht drauf setzte. Konzentriert lag ihre Stirn in Falten, als sie ihre gelbe Krawatte band. Nachdem sie fertig war, sah sie mich so ernst an, wie sie es noch nie getan hatte: "Du weißt, dass du immer mit mir reden kannst"
Erst nickte ich nur. Dann brachte ich ein "Danke" hervor. Ich wollte sie und ihre Nettigkeit nicht einfach so von mir stoßen, aber ich wollte ihr auch nicht alles erzählen. Vor allem wollte ich sie nicht in die kriminellen Machenschaften von meinem Onkel hineinziehen und sie dadurch in Gefahr bringen. Nachdem, was mit Mr. Vanders passiert war, wollte ich nicht, dass noch mehr Menschen als nötig in Gefahr gebracht wurden. Schon gar nicht Portia, die nur helfen möchte. Also log ich und es fiel mir immer leichter: "Es sind wieder die Alpträume von dem Tod meiner Großmutter"
Verstehend und leicht bedrückt nickte sie. Dann stand sie auf und zog sich den Rest ihrer Schuluniform an. Stumm tat ich es ihr gleich und wenige Minuten später gingen wir durch die langen Korridore Hogwarts zur großen Halle. Der Geruch von gebackenem Toast und Marmelade löste eine Wärme in mir aus, die es schaffte, das immer noch präsente dunkle Gefühl des Versagens zu verdrängen. Ein kurzer Blick zu den Slytherins oder besser gesagt zu Sebastian Sallow, erhellte einen Moment mein Herz. Auf seinen Lippen lag ein schelmisches Grinsen, während er seinem Sitznachbar Ominis etwas erzählte. Sie waren zu weit weg, um zu verstehen, um was es ging, aber nah genug dran, um zu erkennen, wie er kurz innehielt, mich ansah und mir zuzwinkerte. Ich merkte, wie mir die Röte in die Wangen stieg, weswegen ich mich schnell abwandte und zu den anderen Mädchen an den Hufflepuff Tisch setze. Die Frage, ob er wirklich so unbekümmert war, schob ich beiseite, denn ich wollte mich von seiner Gelassenheit anstecken lassen und das tat ich auch. Begeistert lauschte ich den Geschichten der anderen über das, was die letzten Tage während und vor allem nach dem Unterricht passiert war.
Als wir fertig mit Essen waren, ging mein Blick durch den Raum. Die große Halle war bereits fast vollständig leer. Übriggeblieben waren benutzte Teller und dreckiges Besteck. Auch Sebastian und Ominis Plätze waren verlassen.
"Wir sollten uns beeilen", bemerkte ich daraufhin. In wenigen Minuten würde der Unterricht in Verteidigung gegen die dunklen Künste beginnen und eine Strafarbeit wegen Zuspätkommens konnte ich im Moment als letztes gebrauchen. Außerdem mochte ich das Fach und das nicht nur, weil ich das Gefühl hatte, alles, was ich dort lernte, für die anstehenden Herausforderungen gebrauchen zu können.

"Jetzt aber schnell", rief eines der Portraits, als wir durch den Flur des Turms für Verteidigung gegen die dunklen Künste liefen. Etwas außer Atem betraten wir den gut gefüllte Klassenraum. Ein schneller Blick verriet mir, dass neben Sebastian in der vorletzten Reihe kein Platz mehr frei war, also ging ich zusammen mit Poppy in die erste, in der für gewöhnlich immer ein freier Stuhl war. Nur wenige Sekunden vergingen und Professor Hecat betrat den Raum. Augenblicklich wurde es still und nur noch das Geräusch von raschelndem Pergament erfüllte den Raum.
"Die dunklen Künste üben für den einen oder anderen eine Faszination aus", fing sie mit ihrem Vortrag an, während sie durch die Reihen ging. Dabei sah sie jeden einzelnen der Reihe nach an. Fast so, als würde sie erfassen wollen, wie jeder von uns auf die Aussage reagierte. Mein Blick lag erwartungsvoll auf Professor Hecat. Sie hatte Recht. Dunkle Künste waren faszinierend. Genauso spannend wie die Unterteilung in gute und schlechte Magie. Vielleicht würde ich heute erfahren, wie entschieden wird, was gut und was schlecht war.
"Für gewöhnlich stehen diese Art der magischen Künste nicht auf dem Lehrplan, aber ich spreche zumindest theoretisch mit euch darüber. Nicht jeder von Ihnen stammt von Magiern ab und hat eine magische Allgemeinbildung genossen, um die unverzeihlichen Flüche zu kennen"
Mein Blick ging durch den Raum und blieb an Sebastian hängen. Ich wollte wissen, ob er sich genauso über das Thema der heutigen Stunde freute, wie ich. Schließlich wusste ich bereits, dass er das ein oder andere Buch aus der verbotenen Abteilung dazu bereits gelesen hatte. Hauptsächlich suchte er in diesen Büchern ein Heilmittel für seine Schwester, aber ich erinnerte mich noch genau an das leuchten in seinen Augen, als wir zusammen nach Hogsmead gelaufen waren. Doch dieses Mal schien Sebastian nicht erfreut. Im Gegenteil. Sein Blick war starr nach vorne gerichtet, seine Stirn lag in Falten und sein Fuß tippelte nervös auf dem Boden.
"Seit 1717 sind die drei Flüche, über die wir heute sprechen, unverzeihlich", fuhr Professor Hecat fort und blieb nach ihrer Runde durch das Klassenzimmer vorne an der Tafel stehen.
Währenddessen erstarrte Sebastian und sein Kiefer spannte sich an.
"Unverzeihlich sind diese Flüche, weil sie den Opfern unvorstellbare Schmerzen zufügen, ihnen den eigenen Willen nehmen und sogar töten können. Bestraft wird das Wirken mit einem lebenslänglichen Aufenthalt in Askaban."
Ich wandte den Blick von Sebastian wieder ab. Solange ich keine Erklärung für sein Verhalten hatte, sollte ich mich auf den Unterricht konzentrieren. Gebannt folgte ich den Ausführungen von Professor Hecat zu den Flüchten. Sie erläuterte, dass sadistische Freude an der Gewaltausübung bestehen muss, um die Flüche wirken zu können. Dann ging sie auf die einzelnen Flüche ein. Zunächst erzählte sie von dem Cruciatus Fluch, der Menschen folterte und ihnen unheimliche Qualen bereitete. Ich dachte mich an die Erinnerung, die ich gesehen hatte. Mein Onkel hatte meinen Vater mit einem unverzeihlichen Fluch gefoltert. Es überraschte mich wenig, dass ein Mann wie Victor in der Lage war, diese Art der Magie zu verwenden. Professor Hecat erzählte uns noch, dass Menschen solange gefoltert werden konnten, bis sie in den Wahnsinn fielen und nur noch ein Schatten ihrer selbst waren. Eine leblose Hülle, die nur entfernt an das einstige Leben erinnerte.
Dann ging sie zum nächsten Fluch über. Kaum hatten die Worte "Imperius Fluch" ihre Lippen verlassen, gefror mir das Blut in den Adern. Ich kannte den Fluch, denn es war der, den Sebastian im verbotenen Wald benutzt hatte, um mich zu retten. Sofort schoss mein Blick in seine Richtung und ich sah, wie er mich mit ausdruckslosen Augen anstarrte. Die Dunkelheit, die ihn auch umgab, wenn er von seiner Schwester oder von seinem Onkel sprach, war so stark, wie noch nie. Es war das erste Mal, dass ich mich fürchtete. Dass Menschen wie Victor in der Lage waren, diese Flüche zu nutzen, überraschte mich nicht, aber dass Sebastian die Voraussetzungen hatte, diese Art der Magie zu nutzen, erschreckte mich. Der Rest des Unterrichts zog wie durch einen Schleier an mir vorbei. Ich hatte es nicht noch einmal geschafft, Sebastian anzusehen, obwohl ich wusste, dass er mich unentwegt angestarrt hatte. Es war wie eine Erlösung, als Professor Hecat die Stunde beendete. Ich musste mit Sebastian sprechen. Ich musste es verstehen, denn der Gedanke, ihn nicht an meiner Seite zu haben, machte mir mehr Angst, als der Gedanke daran, dass er dunkle Magie praktizieren konnte. Doch als ich meine Tasche zusammengepackt hatte, sah ich nur noch, wie er durch die Tür verschwand. Schnell murmelte ich etwas in Poppys Richtung und folgte ihm. Gerade noch konnte ich sehen, wie er durch die Pforte zur Krypta ging. Ich zögerte keine Sekunde und tat es ihm gleich.
"Ich wusste, dass du mir folgen wirst", sagte er dunkel, während er mit dem Rücken zu mir stand. Ich wusste nicht, was ich darauf erwidern sollte, also näherte ich mich vorsichtig.
"Ich werde mich bestimmt nicht entschuldigen", zischte er dann wütend. Immer noch sagte ich nichts. Endlich drehte er sich um und seine hellen braunen Augen waren leidvoll und düster. Ich wollte keine Entschuldigung, ich wollte eine Erklärung.
"Warum?", fragte ich und meine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern. Meine Frage blieb unbeantwortet.
"Sie können dich dafür lebenslänglich einsperren", schluckte ich schwer und trotz seiner abwehrenden Haltung ging ich immer weiter auf ihn zu. Ich hatte keine Angst mehr vor ihm. Ich hatte nur Angst, ihn zu verlieren.
"Lieber sitze ich mein ganzes Leben in Askaban, als dabei zugesehen zu haben, wie irgendein Bastard dich verletzt", die letzten Worte von Sebastian waren kaum mehr als ein Flüstern. Trotzdem hatte ich sie verstanden. Ich überbrückte die letzten Meter zwischen uns und legte behutsam meine Hand an seine Wange. Damit zwang ich ihn mich anzusehen. Sein Blick erhellte sich etwas, aber wurde dann wieder genauso leidvoll wie vorher.
"Willst du dich nicht lieber von mir fernhalten, jetzt wo du weißt, was ich getan habe und dass ich es nicht bereue?"
"Niemals", hauchte ich, denn die Tatsache, dass er alles aufgeben würde, um mich zu retten, ließ mein Herz höher schlagen. Seine Lippen senkten sich auf meine, während er grob an meinen Hinterkopf fasste.
"Wir dürfen uns einfach nicht erwischen lassen", brachte ich irgendwann heiser hervor, während meine Stirn an seiner lehnte. Ein schelmisches Grinsen, schlich sich auf seine Lippen. Dann wurde er ernst: "Jetzt lass uns mit den wirklichen Problemen auseinandersetzen"
Ich wusste genau, was er meinte. Wir mussten weitere Spuren alter Magie finden.

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