Kapitel 2

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Grelle Blitze durchschnitten die Dunkelheit. Dadurch konnte ich immer nur einen Moment des Geschehens erfassen, bevor die Nacht wieder alles verschluckte. Ein grüner Blitz. Sie waren in der Überzahl. Ein roter Blitz. Ich erkannte unsere Hütte. Mein Puls stieg in die Höhe, als ich zu ihr rannte. Um Haaresbreite verfehlte mich ein weiterer roter Blitz und ich warf mich mit meinem gesamten Körpergewicht gegen die Tür. Schwer Atmend trat ich ein. Unsere Hütte war durch warmes Licht erfüllt, das von dem Kamin und den unzähligen Kerzen ausging. Für einen kurzen Moment vergaß ich den Kampf vor der Tür und ging auf meine Großmutter zu, die in ihrem Sessel gehüllt in eine große Strickdecke saß und mich anschaute. "Oma", rief ich und ein Stein fiel mir vom Herzen. Ich überbrückte die letzten Meter, doch als sich meine Hand auf ihre Schulter legte, merkte ich, wie kalt sie war.
"Geht es dir gut?", fragte ich, aber die Antwort erübrigte sich. Mit einem ächzenden Geräusch fiel sie nach vorne und blieb regungslos liegen. Ich wollte schreien, aber kein Ton wollte über meine Lippen kommen.

Senkrecht und schweißüberströmt saß ich im Bett. Meine Brust hob und senkte sich schnell. Nur ein Traum. Ich brauchte einen Moment, um in meinem Übergangszimmer anzukommen. Seufzend ließ ich mich nach hinten fallen. Das war zwar nur geträumt, aber der Rest war wirklich passiert. Ich fuhr mir mit der Hand durch das Gesicht. Zumindest ich war hier in Sicherheit.
"Sie ist erlöst", redete ich mir ein und starrte dabei die Decke an. Ich schob die Gedanken beiseite. War der nächste Tag schon angebrochen? Früher oder später würde ich dieses Bett sowieso verlassen müssen. Schwerfällig erhob ich mich und merkte die Anspannung der letzten Stunden in meinen Muskeln. Mein Blick fiel auf den Kleiderstapel, den ich gestern vor dem Schlafen auf einen Stuhl gelegt hatte. Plötzlich bemerkte ich eine Wasserschale, die auf einem Steinsockel daneben stand. Gestern hatte die noch nicht hier gestanden. War jemand, während ich geschlafen habe, hier drin gewesen? Ein ungutes Gefühl breitete sich in mir aus, aber dann erinnerte ich mich, dass ich an einer Schule für Hexerei und Zauberei war. Vermutlich hatte jemand sie heraufbeschworen oder ähnliches. Nichts, was mich beunruhigen müsste.
Nachdem ich die Spuren der Feldarbeit und des Alptraums von mir gewaschen hatte, zog ich die Strumpfhose an, die ganz oben auf dem Stapel lag. Ich hatte grundsätzlich nichts gegen Kleider oder Röcke, nur auf dem Feld behinderten sie mich sehr bei der Arbeit. Gemüse würde ich hier jedoch wahrscheinlich nicht ernten müssen. Was machte man den ganzen Tag, wenn man nicht arbeitete? Der perlweißen Bluse nach zu urteilen, nichts allzu anstrengendes. Unter dieser lag ein längliches Stück Stoff. Ich vermutete, dass es eine Krawatte in ungebundenem Zustand war, aber wie man diese band, wusste ich nicht. Ein paar der besseren Händler trugen sie gelegentlich auf der Reise durch unser Dorf. Vorerst steckte ich sie ein und zog mir den grauen Pullover mit gelben Akzenten sowie den Umhang an. Später würde mir bestimmt jemand helfen die Krawatte zu binden.
Ich blickte mich noch einmal in dem Zimmer um bevor ich die Tür öffnete und nach draußen trat. Der Raum war deutlich heller und belebter als in der Nacht. Mädchen und Jungen, die alle Kleidung in der gleichen Farbe trugen, standen in Grüppchen herum und unterhielten sich angeregt. Einige saßen verschlafen auf den Sofas und kämpften mit den, sich schließen wollenden, Augenlidern. Ich war aufgeregt. So viele junge Menschen in einem Raum, hatte ich noch nie gesehen. Vorsichtig schloss ich die Tür hinter mir, um nicht zu viel Aufmerksamkeit auf mich zu ziehen.
"Guten Morgen", flötete ein Mädchen zu meiner linken und schien dabei genauso nervös zu sein wie ich. Irritiert blickte ich sie an. Hatte sie mich gemeint? Kurz sah ich mich um, aber erkannte, dass in unserem unmittelbaren Umfeld niemand anderes stand.
"Hallo", gab ich zurück und musterte das Mädchen mit den schulterlangen braunen Haaren und dem warmen Lachen.
"Ich bin Poppy, Poppy Sweeting", stellte sie sich vor und hielt mir ihre Hand hin. Ihre Freundlichkeit ließ mich keine Sekunde zögern danach zu greifen.
"Hi Poppy, ich bin Elisa", eifrig schüttelte sie meine Hand. Fast schon so stark, dass es weh tat.
"Professor Weasley bat mich dich zu den Unterrichtsstunden  mitzunehmen und überhaupt, wenn du Fragen hast, kannst du dich jederzeit an mich wenden, aber auch die anderen werden dir jede Frage beantworten, denn unser Haus ist bekannt für seine Hilfsbereitschaft", bei dem letzten Teil sprach sie so stolz, dass es mein Herz erwärmte. Ich schien in einem guten Haus gelandet zu sein. Ich erinnerte mich daran, dass einer der Männer gestern in der Kutsche erwähnt hatte, dass die Häuser nach Charaktereigenschaften zugeteilt werden. Was er über die anderen Häuser gesagt hatte, wusste ich zwar nicht mehr, aber das würde ich sicherlich bald herausfinden.
Zusammen mit Poppy verließ ich unseren Gemeinschaftsraum. Die neugierigen Blicke waren mir dabei nicht entgangen, aber alle waren höflich genug gewesen mich nicht anzustarren. Während des Frühstücks fragte ich Poppy alles mögliche über Hogwarts und ich war beeindruckt, dass sie mir fast jede Frage beantworten konnte. Es waren Fragen, wie die Kerzen schweben konnten und ob man von dem heißen Wachs getroffen werden kann, wenn man nicht aufpasst. Häufig war die Antwort auf meine Frage auch einfach nur "Magie" gewesen.
"Wird das Essen auch herbeigezaubert?", fragte ich, als ich Marmelade auf eine Scheibe Toast schmierte. Trotz der großen Auswahl blieb ich erstmal bei dem, was ich kannte. Im Sommer kochten wir immer Obst ein, sodass wir es das ganze Jahr essen konnten. Poppy hingegen aß etwas, was ich noch nie gesehen hatte. Ich werde es auch bald probieren, aber eins nach dem anderen. Das bisschen Gewohnheit tat unter den ganzen neuen Eindrücken gut. Ich war auch etwas erleichtert darüber, dass nur die Hälfte aller Plätze besetzt war, auch wenn ich mich fragte, wo die anderen waren. Wir saßen an vier großen Tafeln, die nach Häusern sortiert waren. Zum Glück, denn die anderen Häuser starrten zum Teil unangenehm lang in unsere Richtung, ehe sie die Köpfe zusammenstecken und irgendetwas tuschelten.
"Nein, du kannst nur Dinge heraufbeschwören, die es gibt. Einfach Essen herbeizaubern geht nicht", erläuterte Poppy und aß einen Löffel von ihrem braunen Brei. Wirklich appetitlich sah es nicht aus, aber es duftete gut.
Über das gesamte Frühstück und den Weg zu dem Raum, in dem wir Verteidigung gegen die dunklen Künste haben würden, stellte ich ihr weitere Fragen. Es wurde erst weniger, als wir das Klassenzimmer betraten und meine Aufmerksamkeit von einem riesigen Skelett auf sich gezogen wurde, das von der Decke hing. Waren das Flügel?
"Ein hebridischer Schwarzschädel", erklärte Poppy, die meinem Blick gefolgt war, "Professor Hecats ganzer Stolz"
"Ist das ein Drache?", fragte ich zögerlich aus Angst, dass es keine Drachen gab und ich mich lächerlich machte, aber bei der ganzen Zauberei schien es nicht allzu fernliegend, dass es sie gab.
"Nein, ein Einhorn", höhnte ein Junge im Vorbeigehen und sein Umfeld, das ebenfalls grüne Umhänge trug, lachte. Poppy verdrehte nur die Augen und zog mich zu einem der vorderen Tische.
"Natürlich ist das ein Drache und lass dich nicht ärgern. Schon gar nicht von Slytherins", lächelte sie und legte ihre Bücher auf den Tisch. Sie zog einen zweiten Stapel hervor und reichte ihn mir. Ungläubig musterte ich ihren Umhang. Waren alle daraus gekommen? Ich sparte mir die Frage, denn die Antwort war vermutlich sowieso wieder Zauberei. Zu meiner Erleichterung erstarb die Geräuschkulisse, als sich die Tür am Ende des Klassenraums öffnete und eine alte Frau die Treppe herunterkam. Ihre Haare waren komplett ergraut, aber mit ihren blauen Gewändern strahlte sie eine Weisheit aus, die mir so nicht begegnet war. Das musste dann wohl Professor Hecat sein. Erst als nur noch eine Person sprach, fiel mir auf wie anstrengend das Durcheinander der Gespräche vorher gewesen ist. Nachdem sie etwas über einen Zauber namens Levioso erzählt hatte, bedeutete sie uns von den Tischen wegzutreten. Kaum hatten wir das getan, bewegten diese sich wie von selbst an den Rand des Klassenraums. Ich gab mir größte Mühe, den kleinen Schreck zu verbergen, den die plötzliche Bewegung ausgelöst hatte.
"Am besten üben wir den Zauber direkt in der Praxis. Eine gute Gelegenheit für unseren Neuankömmling Erfahrungen zu sammeln", Professor Hecat sah mich abwartend an und mein Herz stolperte. Erwartete sie wirklich, dass ich direkt zauberte? Langsam zog ich den geliehenen Stab aus meiner Umhangtasche und trat einen Schritt nach vorne. Alle zwanzig Augenpaare lagen auf mir. Die Aufregung lähmte mich. Nicht nur, dass ich vorher noch nie mit so vielen Gleichaltrigen in einem Raum gewesen war, ich musste auch noch das zeigen, was ich konnte oder auch nicht. Schließlich wusste ich gar nicht, wie man zauberte.
"Machen Sie mir nach", wies sie mich an und dabei schien sie einfach über meine Aufregung hinweg zu sehen. "Levioso", sagte sie und zeichnete dabei mit ihrem Zauberstab ein Symbol in die Luft. Verstehend nickte ich und tat es ihr gleich. Augenblicklich hob Professor Hecat vom Boden ab. War ich das? Unsicher blickte ich mich um, doch kein anderer hatte seinen Stab in der Hand. Ich hörte auf mit dem Stab auf Professor Hecat zu zielen und langsam glitt sie wieder zu Boden. Warm lächelte sie: "Nicht schlecht"
Sie führte einmal einen Schutzzauber namens "Protego" aus und ließ es mich nachmachen. Danach entschied sie, dass es an der Zeit war, den Zauber im Duell zu trainieren. Ihr Blick ging durch den Raum und ich folgte ihm. Schließlich blieb er an dem Jungen aus dem Büro des Schulleiters hängen: "Mr. Sallow sind Sie so nett"
Selbstgefällig grinste der Angesprochene. Viel zu nah lief er an mir vorbei und flüsterte: "Zeit für ein richtiges Willkommen in Hogwarts" Dabei hatten seine Augen gefährlich gefunkelt und ich fing an zu schwitzen. Hätte Professor Hecat keinen Hufflepuff aussuchen können? Die wirkten insgesamt deutlich freundlicher als die grün tragenden Slytherins und so einer war dieser Sallow.
Plötzlich löste sich eine Tafel unter meinen Füßen aus dem Boden und ich kam ins Straucheln. Ich atmete tief durch. Schlimmer als letzte Nacht konnte es nicht werden. Der Junge trat ans andere Ende und hielt sich den Zauberstab kampfbereit vors Gesicht. Angsterfüllt tat ich es ihm gleich.
"Ich möchte einen fairen Kampf sehen! Nur der Basis Zauber, Levioso und Protego", die warme Stimme von Hecat war ernster geworden und ihr Blick lag auf Sallow. Wie konnte sie das für eine gute Idee halten? Sie nickte und keine Sekunde später feuerte Sallow in meine Richtung. Ein Schmerz durchzog meine Schulter und ich wich nach hinten. Meine Befürchtung hatte sich bestätigt, eine Schonfrist gab es nicht. Noch ein Treffer folgte und ich wurde panisch. Ich wusste nicht was ich tun sollte. Hektisch blickte ich mich um, aber keiner half. Warum sollten sie auch? Das war ein Duell. Ich riss mich zusammen und erwiderte den durchdringenden Blick von Sallow. Er hob wieder den Arm, doch dieses Mal bemerkte ich es rechtzeitig.
"Protego", rief ich hektisch und wurde augenblicklich von einer blauen Kugel umgeben, die den Zauber abprallen ließ. Ich nutzte die Verwirrung und feuerte zurück: "Stupor"
Der Junge ging zu Boden und Hecat hob die Hände: "Erinnert euch an die Regeln" Etwas loderte in Sallows Augen auf "Levioso" und er ließ mich vom Boden abheben. Zu spät hatte ich gemerkt, dass er wieder kampfbereit war. Viel zu sehr war ich damit beschäftigt gewesen, mir den Kopf darüber zu zerbrechen, wie ich auf Stupor gekommen war.
Es folgten vier harte Treffer direkt auf meine Brust. Unsanft landete ich auf meinem Rücken. Selbst nach einer Woche ernten tat mein Körper nicht so weh wie in diesem Moment. Ich entschied mich, liegen zu bleiben. Für den Moment hatte ich genug und er schien unbedingt gewinnen zu wollen. Also blieb ich am Boden und begutachtete die Drachenknochen von unten.
"Miss Eltringham alles in Ordnung?" Sorge lag in der Stimme von Miss Hecat. Nickend erhob ich mich und sah, wie er seinen Sieg feierte. Mir war es mehr als recht, ich wollte mich nur erholen. Meine Brust tat so weh, dass ich die restlichen Duelle von einem Stuhl aus beobachtete. Zu meiner Erleichterung schlug ich mich nicht als Schlechteste. Einige steckten nur ein, ohne ein einziges Mal auszuteilen. Nachdem jeder einmal gekämpft hatte, beendete Hecat die Stunde. Erschöpft erhob ich mich und packte die Bücher, die mir Poppy gegeben hatte, ein. Durch den Türrahmen hindurch sah ich schon, wie sie draußen stand und sich mit anderen unterhielt. Ich hoffte, dass sie auf mich wartete, also beeilte ich mich etwas.
"Regelverstoß im ersten Duell. Bist du dir sicher, dass du nach Hufflepuff gehörst?", ich erkannte die Stimme des Jungen wieder und hob meinen Kopf an. Unsere Blicke trafen sich und ich sah, wie er selbstsicher an einem der Tische lehnte und die Arme vor der Brust verschränkt hatte. Ich wusste nicht, was ich erwidern sollte, Absicht war das definitiv nicht gewesen und wenn er etwas freundlicher gewesen wäre, hätte es mir fast sogar schon leid getan.
"Sebastian Sallow", er löste seine Hand und hielt sie mir hin. Knapp schüttelte ich sie und gab "Elisa Eltringham" zurück. Ich spürte, wie sein Blick einmal von oben bis unten an mir herab wanderte.
"Hätte dich fast nicht erkannt ohne den ganzen Dreck", schmunzelte er und ich wurde rot. In meinem Dorf gab es wenige Jungen in meinem Alter. Ich war es nicht gewohnt mit Gleichaltrigen zu sprechen, weil sie, sobald sie annähernd Erwachsen waren, in die weite Welt losgeschickt wurden um Geld zu verdienen
"Als Entschuldigung für den Schock Fluch nehm ich gerne ein Butterbier in den drei Besen, dann kannst du mir auch erzählen, warum du neu in die fünfte Klasse gekommen bist", er stieß sich vom Pult ab und stand direkt vor mir. Butterbier? Drei Besen? Ich wollte nicht wirken, als hätte ich keine Ahnung, also nickte ich und ging raus zu Poppy.

Im Schatten des Unausgesprochenen Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt