Kapitel 12

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Sebastians Finger glitten an der Silberkette meines Amuletts entlang, bis er hinter meinem Kopf angekommen war. Dort griff er danach und zog es mir über den Kopf. Das Band war lang genug, um sich dabei nicht in meinen blonden Haaren zu verfangen. Mit hochgezogener Augenbraue musterte er den Anhänger.
"Das Zeichen habe ich irgendwo schonmal gesehen", murmelte er konzentriert und drehte ihn immer wieder in seinen Fingern. Aufmerksam beobachtete ich ihn dabei.
"Weißt du noch wo du es gesehen hast?", hakte ich nach und trat einen Schritt näher an ihn heran, so als würde ich jetzt etwas Neues an dem Anhänger entdecken können, das mir bisher entgangen war. Dann sah ich abwartend zu ihm hoch. Unsere Blicke trafen sich und in seinem lag etwas, was ich nicht zu deuten vermochte. Es war dieses, mir inzwischen bekannte, Funkeln, aber ohne Dunkelheit dahinter. Er nickte: "In einem Buch"
Ungeduldig stemmte ich die Arme in die Seite und wartete darauf, dass er das näher ausführte. Damit spannte er mich regelrecht auf die Folter. Er musste doch wissen, dass ich um jeden Preis wissen wollte, was er meint. Hörbar atmete er aus: "In einem Buch in der verbotenen Abteilung"
"Da treibst du dich ja eh öfter rum", lachte ich dann erleichtert, weil ich etwas Unerreichbares erwartet hatte. Sebastian legte den Kopf in den Nacken, schaute Richtung Himmel und sah dann wieder zu mir: "Jetzt wo meine Strafarbeit abgesessen ist, ist es ohnehin wieder an der Zeit der Abteilung einen nächtlichen Besuch abzustatten", sagte er mit einem schelmischen Lächeln auf den Lippen.
"Vielleicht wäre es ja auch eine Option, sich einfach mal nicht erwischen lassen", zuckte ich mit den Schultern und grinste ihn dabei frech an. Ihm schlich sich auch ein Lächeln auf die Lippen bevor er diese gespielt beleidigt verzog: "Du hast ja keine Ahnung, Eltringham, wie schwer das ist"
Laut prustete ich los und er ergänzte: "aber keine Sorge du bist mit dem beste Regelbrecher Hogwarts unterwegs"
Dabei legte er seinen Arm um meine Schulter und wir liefen langsam zurück zum Schloss. Als unter unseren Füßen nicht mehr der sandige Boden des Strandes, sondern Wiese war, blieb er stehen. Verwundert tat ich es ihm gleich und sah ihn an. Seine Stirn hatte sich in Falten gelegt und ließ nur vermuten, wie sehr es dahinter arbeitete. Es sah fast so aus, als würde er überlegen, ob er etwas sagen sollte oder nicht. Dann kratze er sich an seinem Hinterkopf, aber schwieg immernoch.
"Na los raus damit", sagte ich ungeduldig.
"Warum gibt Mr. Vanders dir eigentlich so eine Kette"
"Das fragst du dich erst jetzt?", lachte ich und er verdrehte nur die Augen.
"Nein, das frage ich mich schon die ganze Zeit, aber ich war", für einen Moment stockte er bevor er fortfuhr, "abgelenkt"
Mit den Worten löste er seinen Arm von meiner Schulter und wartete auf meine Antwort. Wenn ich seine Hilfe haben wollte, und die brauchte ich dringend, dann sollte ich ihm die ganze Wahrheit sagen. Bei dem Gedanken daran, ihm wirklich einen Großteil davon zu erzählen, was ich wusste, zog sich alles in mir zusammen. Nicht einmal den Mädchen aus meinem Schlafsaal hatte ich alles erzählt. Portia wusste bestimmt von dem Tod meiner Großmutter, weil Professor Weasley ihr das erzählt hatte, aber die anderen hatten nicht einmal nachgefragt. So einfühlsam wie sie alle waren, mussten sie gespürt haben, dass ich nicht darüber reden wollte. Jetzt war aber der Moment gekommen und ich musste es jemandem erzählen. Nicht nur jemandem, sondern Sebastian Sallow, aber irgendwie hatte ich das Gefühl, wenn es jemand nachvollziehen konnte, dann er.
"Bevor ich nach Hogwarts kam, dachte ich, ich wäre ein Muggel", fing ich an und dann erzählte ich von meinem Dorf, meiner Farm, meiner Großmutter. Dabei waren die Tränen irgendwann unbemerkt über meine Wangen geflossen, wie die Worte aus meinem Mund. Als ich bei meinen Eltern angekommen war, war meine Stimme am Zittern und kaum noch zu verstehen. Bevor ich meine Theorie über das Wissen von Mr. Vanders von meiner Abstammung beenden konnte, schlossen sich unvermittelt seine Arme um mich. Er drückte mich so fest an sich, dass mein Schluchzen augenblicklich schwächer wurde. Ich hörte auf zu sprechen und vergrub meinen Kopf in seinem Umhang.
"Rookwoods Anhänger sind wirklich die Pest", sagte er leise und wütend. Seine Stimme passte nicht zu seiner Hand, die sich sanft an meinen Hinterkopf gelegt hatte. Mit jeder Sekunde, die wir so am Ufer des Sees standen, wurde der Schmerz in meinem Inneren erträglicher. Schließlich schaffte ich es, mich von ihm zu lösen. In seinem Blick lag etwas Bedrücktes und ich fragte mich, ob ich ihm all das hätte erzählen sollen.
"Jetzt sollten wir erst Recht in die verbotene Abteilung und herausfinden, was es mit diesem Anhänger auf sich hat", das was er sagte, befreite mich wieder von allen Zweifeln. Vorsichtig reichte er mir den Anhänger. Als sich meine Finger um diesen schlossen, war etwas anders. Es schien, als würde er zart zwischen ihnen schimmern; in einem blau so hell wie der Himmel, aber so schwach, dass ich es kaum sehen konnte. So schwach, dass ich mich fragte, ob ich es mir einbildete.
"Siehst du das?", fragte ich und öffnete meine Finger wieder. Die Rune war von einem leichten Dunst umgeben. "Sieht aus wie vorher", gab er zurück und zuckte mit den Schultern. Ich kniff meine Augen zusammen und öffnete sie dann erneut. Es war immer noch da.
"Vielleicht die Tränen", sagte er so leise, dass ich es kaum hören konnte. Vermutlich hatte er Recht. Ich legte den Anhänger wieder um und ließ ihn dann unter meinem Pullover verschwinden. Gemeinsam gingen wir zurück zum Schloss. In der Halle mit dem Meerjungfrauen Brunnen verabschiedeten wir uns und er wies mich an um Mitternacht genau wieder hierher zu kommen, damit wir zusammen in die verbotene Abteilung gehen konnten.
Etwas verloren stand ich noch einen Moment neben dem Brunnen und beobachtete, wie er zu seinem Gemeinschaftsraum ging. Mein Blick fiel auf die Bibliothek und ich erinnerte mich an mein Buch, das darauf wartete weiter bearbeitet zu werden. Entschlossen ging ich die Treppen hinunter und betrat den angenehm nach Büchern und Wissen riechenden Ort  und versuchte weiter an meinem Buch zu arbeiten. Im unteren Bereich war ein einziger Schreibtisch frei, an den ich mich setzte und das Buch hervorholte. Immer wieder las ich einen Abschnitt über Zaubertrankzutaten und ihre Beschaffung, aber auch nach dem vierten Mal erschloss sich mir der Sinn nicht. Es lag nicht an der Schwere der Lektüre, sondern daran, dass ich jedes Mal mit meinen Gedanken zu heute Nacht abdriftete. Ich fuhr mir mit meiner Hand durch die Haare und ließ sie dort für einen Augenblick. Dann fing ich erneut an. Nach wenigen Sekunden wanderten meine Augen durch den Raum und ich fragten mich, wo hier der Eingang zu der verbotenen Abteilung war und wie wir sie unbemerkt betreten würden. Seufzend schlug ich das Buch zu und sank in meinem Sitz nach unten. Ich fühlte mich wie eine Versagerin.
"Pscht", wurde ich sofort von einer Ravenclaw angefahren, die zwei Plätze weiter saß. Verteidgend hob ich die Hände, dann verdrehte ich jedoch heimlich die Augen, stand auf und ging. Auf dem Weg zu meinem Gemeinschaftsraum redete ich mir ein, dass es am Ort lag und ich mich dort bestimmt besser konzentrieren konnte. Zumindest die Atmosphäre dort war deutlich entspannter denn außer den immer freundlichen Hufflepuffs war keiner dort. Auch kein Sebastian, der es immer wieder schaffte meine Gedanken auf sich zu ziehen.
In meinem Gemeinschaftsraum roch es vertraut nach süßem Gebäck und Kaminfeuer. Ich griff mir einen Schokoladen Cupcake und setzte mich an einen Schreibtisch. Niemand wusste wessen Bücher hier überall verstreut lagen, aber wenn man arbeiten wollte musste man sie vorsichtig beseite schieben. Ich schuf mir den Platz, den ich brauchte und fing an zu arbeiten. Zum Glück hatte ich Recht gehabt und der Ortswechsel ließ mich alles um mich herum vergessen und bis auf mich und das Studienbuch gab es gar nichts mehr in meinem Kopf. Vielleicht lag es auch daran, dass ich Zaubertränke für heute hinter mir gelassen hatte und mich stattdessen Verteidigung gegen die dunklen Künste widmete. Die Theorie zu den ganzen Angriffs- und Verteidigungszaubern war mit das Spannendste, was ich bisher gelernt hatte. Unter dem Tisch schwang ich meinen Zauberstab in den Bewegungen, wie sie im Buch vorgegeben waren und bei einem Zauber namens Confringo fragte ich mich, ob es sich gut anfühlte Feuer zu erschaffen. Auf diese Weise übte ich jeden Zauber ohne ihn zu wirken in der Hoffnung sie würden mir in den richtigen Momenten wieder einfallen.
Erst als ich zum wiederholten Male gähnte, merkte ich, wie spät es geworden war. Der Raum um mich herum war schon fast ganz leer, als ich aufstand und meine Sachen zusammen packte. Müde ging ich in meinen Schlafsaal. Vielleicht sollte ich kurz schlafen, bevor ich mich nachts rausschlich. Die anderen würden dann auch weniger Verdacht schöpfen, wenn ich zunächst, genau wie sie, ins Bett ging. Irgendwie fühlte es sich nicht richtig an, die anderen aus meinem Schlafsaal hinters Licht zu führen. Ich fragte mich, ob ich das wirklich tat, wenn ich mich nachts rausschlich. War es denn nicht ohnehin besser für sie, wenn sie nichts von meinem nächtlichen Ausflug wissen würden?
Als ich in den Schlafsaal trat, sah ich Poppy bei Ruby auf dem Bett sitzen und wie die beiden in irgendein Spiel vertieft waren, das ich noch nie vorher gesehen hatte. Das Spielfeld war kariert und die roten und weißen Figuren bewegten sich nur auf den Befehl von ihnen hin. Portia lag auf ihrem Bett, ein Buch auf ihren Schoß gelegt, aber den Blick zu mir gerichtet.
"Na, du fleißiges Bienchen", grinste sie mir warm zu und winkte mich zu sich herüber. Ich setzte mich auf ihr Bett und ließ mich von ihr auf den aktuellen Stand der Geschehnisse in Hogwarts bringen. Aufgeregt berichtete sie, wie Garreth bei einem Einbruchsversuch in das Lager für Zaubertrankzutaten erwischt wurde und wie Professor Garlick auf dem Weg zur Besserung war. Gebannt lauschte ich allem was sie erzählte.
"Und du warst also mit Sebastian am See", grinste sie dann und plötzlich lag in ihrem Ausdruck etwas Anderes als vorher. Ich fühlte mich etwas ertappt und wich dann ihrem Blick aus.
"Woher weißt du das?", fragte ich ausweichend und ihr warmes Lachen ließ mich direkt wieder besser fühlen.
"Hab euch selber gesehen, als ich die Briefe für meine Familie zum Eulenturm gebracht habe", sagte sie und fuhr dann fort, "Ich bin ja froh, wenn er mit dir unterwegs ist, immerhin bist du vernünftig, dann macht er nicht so viele Dummheiten"
Augenblicklich bekam ich ein schlechtes Gewissen, denn heute Nacht würde ich der Grund für seinen Regelverstoß sein. Trotzdem war ich erleichtert, dass sie mich nicht so befragte, wie die Mädchen in meinem Dorf es taten, wenn sie eine von uns Zeit mit einem Jungen verbringen sahen. Vielleicht war ich auch die einzige, die in Hogwarts so dachte und unsere gemeinsame Zeit war nichts Außergewöhnliches. Es fühlte sich aber dennoch aufregend an, wenn ich mit ihm sprach, anders als mit den Mädchen aus meinem Haus.

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