Kapitel 18

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Als ich vor den Verzeichnissen für magische Familien in der Bibliothek stand, war ich überwältigt von den unzähligen Büchern. Zwei Regale, die jeweils doppelt so groß und breit waren wie ich, erstreckten sich vor mir. Die Bände waren alle gleich groß und in dasselbe Leder gebunden, sodass sie das Bild einer unüberwindbaren Einheit vermittelten. Demotiviert griff ich den Erstbesten heraus und schlug ihn auf. Als ich sah, wie viele Namen und wie wenig detaillierte Informationen darin standen, wurde ich wütend. Das konnte doch nicht sein. Wie sollte ich bei dieser Vielzahl an Namen herausfinden, welcher davon zu meiner wirklichen Familie gehörte. Eltringham konnte nicht mein richtiger Name sein, denn die Auroren waren sich in der Nacht meiner Ankunft sicher, dass sie diesen Namen noch nicht gehört hatten. Dabei hätte sie ihn kennen müssen, wenn mir etwas magisches vererbt wurde. Denn das bedeutete, dass zumindest irgendeiner meiner Vorfahren magisch war. Mittlerweile hatte ich mir zwar eingestanden, dass Sebastian Recht hatte und der tote Mann aus der Erinnerung mein Vater gewesen sein musste, aber bis auf die Tatsache, dass sein Name Percival war und sein Bruder allem Anschein nach Victor hieß, wusste ich nichts. Schlimmer noch: der einzige, der etwas wissen konnte, war Mr. Vanders, aber dem Tagespropheten von Portia heute Morgen nach zu urteilen, fehlte von ihm immer noch jede Spur. Ich seufzte, schlug das Buch wieder zu und stellte es zurück ins Regal. Das hatte ich mir definitiv anders vorgestellt. Entmutigt ging ich aus der Bibliothek heraus. Es schien als wäre meine einzige Möglichkeit weiter zu kommen Mr. Vanders zu finden, aber wie sollte ich das schaffen, wenn selbst die Auroren daran verzweifelten. Während ich nach draußen trat versuchte ich krampfhaft mich an die Szene aus dem Denkarium zu erinnern. Hatte ich ein wichtiges Detail vergessen? Übersah ich vielleicht irgendeinen Hinweis auf die genaue Abstammung von Percival und Victor? Wenn ich an das Gespräch der Brüder dachte, wurde dieses überschattet von dem Schmerz, der sich ausbreitete bei dem Gedanken daran, dass mein Vater nach diesem gestorben war. Ich biss mir auf die Lippe. Wenn ich nur Sebastian fragen könnte. Schnell verwarf ich diesen Gedanken wieder. Ich musste das Rätsel der Hüter und meiner Familie alleine lösen können. Nur wie?
"Da bist du ja", Portia kam breit grinsend und in einem wunderschönen grünen bestickten Kleid auf mich zugelaufen. Manchmal raubte es mir den Atem, wie schön sie aussah, wenn sie nicht ihre Schuluniform trug. Sie war auch eine der wenigen, die sich nach dem Unterrichtsschluss umzogen und in ihren eigenen Klamotten durch die Schule liefen.
"Hallo", sagte ich knapp und ließ mich von ihr in den Arm nehmen. Wirklich gut gelaunt war ich immer noch nicht. Ich gab mir zwar Mühe es nicht an so lieben Menschen wie Portia und den anderen Hufflepuffs auszulassen, aber das gelang mir bei weitem nicht immer.
"Ich wollte dich fragen, ob du mit zur k.o. Runde der gekreuzten Stäbe kommst", lächelte sie und ließ sich offensichtlich von meiner schlechten Laune nicht beirren.
"Wer kämpft denn?", fragte ich, während wir nebeneinander durch die Halle vor der Bibliothek liefen. Meine Entscheidung war schon gefallen. Das Duell würde mich definitiv auf andere Gedanken bringen und das könnte ich gerade gut gebrauchen.
"Sebastian gegen Amit", sagte sie schnell und leise, was fast den Eindruck in mir hervorrief, dass sie hoffte, ich hätte seinen Namen überhört. Ich zweifelte daran, ob es mich wirklich auf andere Gedanken bringen würde, wenn ich ihn beim Duellieren sah. Denn wenn es eine Sache gab, bei der Sebastian verboten gut aussah, dann war es im direkten Duell und das nicht nur, weil er fast jedes Mal mit Leichtigkeit gewann.
"Wie hoch stehen seine Chancen?", hakte ich nach, weil ich das Gefühl hatte, es würde mir gut tun, ihn verlieren zu sehen. Kaum hatte ich diesem Gefühl Raum gegeben, fühlte ich mich schlecht. Ich wollte nicht, dass er verlor. Er war der beste Duellant in Hogwarts, er hatte verdient, dieses Jahr wieder zu gewinnen. Innerlich ärgerte ich mich trotzdem über meine Hufflepuff-Gutmütigkeit.
"Könnte knapp werden dieses Mal", fing Portia an und dann folgten Analysen der Qualifikationen, denen ich nur schwer folgen konnte. Das einzige was bei ihren unfassbar schnellen, atemlosen Erläuterungen hängen blieb war, dass Amit nicht zu unterschätzen war, auch wenn er manchmal den Eindruck erweckte zu lieb zum Kämpfen zu sein.

Der Turm der Duelle war schon relativ gefüllt, als wir ankamen. Trotzdem bekamen wir noch einen Platz in der Mitte direkt an der Absperrung. Sofort und ohne, dass ich es verhindern konnte, fiel mein Blick auf Sebastian. Er sah immer noch müde und kaputt aus, während er sich mit Lucan unterhielt. Zunächst bemerkte er meinen Blick nicht, sodass ich ihn länger als gesund war anschauen konnte. Lässig hatte er die Arme vor der Brust verschränkt und seine Haare standen wieder in alle Himmelsrichtungen ab. Erst als ich von jemandem Fremdes angesprochen wurde, konnte ich meinen Blick lösen. Freundlich lächelnd stand ein Ravenclaw mit braunen Haaren hinter den Gittern. Er steckte seine Hand hindurch: "Amit Thakkar"
"Hallo Amit, ich bin Elisa Eltringham", antwortete ich und gab mir dabei alle Mühe, ebenso freundlich und höflich zu sein. Amit konnte wohl am wenigsten für meine Laune.
"Schön, dass du zuschaust!", sein Lächeln wurde breiter und dann ergänzte er, "Professor Weasley hatte mich gebeten, dir im Astronomie Turm ein bisschen was zu zeigen. Sie meinte das würde zwar auch in deinem Buch stehen, aber gerade Teleskope sind manchmal eigenwillig"
Die Erinnerungen an die Kapitel über Astronomie kamen wieder hoch. Amit hatte Recht, denn das, was dort über die Bedienung und Sterne stand, klang wirklich eher verwirrend, als hilfreich.
"Wie nett! Sehr gerne", sagte ich und dieses Mal war mein Lächeln ehrlich. Ich liebte es, wie umsichtig und hilfsbereit die meisten Schüler in Hogwarts waren. Mein Gegenüber kratze sich am Hinterkopf und sagte dann: "Super hast du morgen Abend schon-"
Er kam nicht dazu, weiter zu reden, denn Sebastian kam mit einem gefährlichen Funkeln in den Augen zu uns rüber gelaufen. Sein Blick ging von Amit zu mir. Etwas regte sich in seinem Gesicht, als wir uns ansahen, doch dann drehte er sich mit eiskaltem Ausdruck zu Amit: "Bist du fertig damit der neuen Fünftklässlerin schöne Augen zu machen?"
Es tat weh, dass er nicht mal mehr meinen Namen sagte. So als hätte es all die kleinen Momente zwischen uns nicht gegeben. Amit rollte nur genervt mit den Augen: "Das habe ich gar nicht nötig, Sallow!"
Dabei hatte er mir zugezwinkert und wandte sich dann ab in Richtung der Duellierfläche. Wieder ging mein Blick zu Sebastian und ich sah, wie der Muskel an seinem Kiefer hervor trat. Dann fasste er sich und ging ebenfalls auf Position.
"Männer", lachte Portia nur, "benehmen sich manchmal wie Gnome"
Mir war nicht nach lachen zu mute. Viel zu unangenehm war mir die gesamte Situation. Ich wollte nicht, dass Sebastian dachte, ich würde mir von jemand anderem schöne Augen machen lassen. Lucan zählte von drei runter, sodass ich nicht mehr dazu kam, mir Gedanken darüber zu machen, warum ich das nicht wollte.
Das Duell war schmutzig, unfair und nach wenigen Flüchen lag Amit am Boden. Selbstgefällig ging Sebastian auf ihn zu und feuerte einen weiteren Fluch ab. Ein warnender Pfiff von Lucan erfüllte daraufhin die Halle.
"Na los komm schon, steh auf! War das schon alles?", spöttisch beugte sich Sebastian über den lädierten Amit, doch dieser regte sich zunächst nicht.
"Typisch Ravenclaw", schimpfte Sebastian und drehte sich von seinem Gegner weg. Diesen Moment nutzte Amit und feuerte einen Fluch. Hart wurde sein Gegner getroffen, doch statt ins Straucheln zu kommen feuerte Sebastian einen Kombination mit einer derartigen Geschwindigkeit ab, dass die einzelnen Zauber nicht mehr richtig zu hören waren. Wieder lag Amit am Boden, doch dieses Mal schickte er weiße Funken aus seinem Zauberstab. Dann fiel sein Zauberstab auf den Boden.
"Jämmerlicher Verlierer", lachte Sebastian, während er auf Amit zuging. Er beugte sich nicht nach vorne, um ihm seine Hand zu reichen, sondern um ihm etwas ins Ohr zu flüstern. Dabei funkelten seine Augen angsteinflößend, doch man verstand kein Wort. Nur das panische Nicken von Amit war zu sehen. Dann stürmte Sebastian raus, ohne sich auch noch einmal umzudrehen.
"Sebastian ist wieder genau so unausstehlich wie vor dem Sommer", hörte ich ein Gryffindor Mädchen neben uns sagen. Ich drehte mich herum und erkannte sie flüchtig aus dem Unterricht wieder. Portia stimmte ihr zu: "Dabei war er fast so wie früher die letzten Wochen". Teilnahmslos stand ich daneben und versuchte, nicht einmal dem Gespräch zu folgen. Ich wusste, dass nur ich der Grund für Sebastians Laune sein konnte und dieser Gedanke ließ keinen Raum für etwas Anderes. Wieder war es Amit, der mich aus meinen Gedanken riss: "Geht es dir gut?"
"Das sollte ich wohl eher dich fragen", sagte ich und zwang mich zu einem Lächeln. Amit winkte ab: "Sebastian hat Gegner schon weitaus schlimmer zugerichtet als das"
Statt zu antworten, stand ich immer noch regungslos da und starrte an die Stelle, wo er gestanden hatte.
"Also morgen Abend im Astronomie Turm?", fragte Amit dann und ich nickte.

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