Kapitel 15

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"Wohin gehen wir?", fragte ich Sebastian, nachdem wir durch unzählige Korridore und Passagen gelaufen waren und mittlerweile durch den Turm für Verteidigung gegen die dunklen Künste liefen. Im Vorbeigehen erhaschte ich einen Blick auf den Unterrichtsraum und erinnerte mich an meine erste Stunde an dieser Schule. Es kam mir vor, als wären seit dem Wochen vergangen. Aus dem Slytherin, der mich im Duell vorgeführt hatte, war ein Verbündeter geworden, der jetzt mit mir das Rätsel um mein Erbe löste und mehr von meiner Vergangenheit wusste als alle anderen. Mehr noch, denn das Gefühl in meinem Bauch, das sich ausbreitete sobald er mich berührte, war schon gar nicht mehr in Worte zu fassen.

"Psst", ermahnte er mich und legte sich einen Finger auf seine Lippen. Dann fasste er meinen Arm und zog mich an einer Treppe vorbei. Dabei sah er immer wieder über seine eigene Schulter, so als wolle er sicher gehen, dass niemand uns sah oder verfolgte. Allmählich wurde ich ungeduldig: "Sebastian rede mit mir!"

Doch er antwortete nicht. Stattdessen kamen wir vor einem alten menschengroßen Schrank zum Stehen. Dieser hatte mehr mit einem Kunstwerk gemeinsam als mit einem gewöhnlichen Schrank, denn auf der Vorderseite waren zahlreiche verschieden große Zahnräder und er war mit feinen Schnitzereien versehen. Wieder sah Sebastian sich um, bevor er seinen Zauberstab hervor holte und eines der Zahnräder antippte. Geräuschlos schwang die Tür auf und gab den Blick auf reine Dunkelheit frei, die jeden Lichtstrahl zu verschlucken schien. Ich verstand noch nicht was vor sich ging und beobachtete Sebastian dabei wie er ohne zu zögern durch den Schrank in die Dunkelheit kletterte. Als ich ihn nicht mehr sah, verlor ich keine weitere Zeit und folgte ihm.

Wir fanden uns in einem einem Gewölbe wieder, das von mehreren breiten Säulen gestützt wurde. Das einzige, was diesen Raum von den Kerkern Hogwarts zu unterscheiden schien war das Tageslicht, das durch kleine Fenster in der Decke fiel. Trotzdem war der Raum eher dunkel, denn auch die vielen kleinen Kerzen und die paar größeren Feuerschalen änderten nichts an dem fahlen Licht. Überall stand Gerümpel herum und es erinnerte mich im ersten Moment an meinen Raum oben im Astronomieturm. Allerdings war dieser hier etwas geordneter. In der einen Ecke stapelten sich deckenhoch allerhand Bücher und in der anderen standen mehrere große Fässer. Vereinzelt standen auch Tafeln an der Wand oder teilweise mitten im Raum. Das hier war nicht wie der Raum im Astronomieturm, es war eine Mischung aus einer zu groß geratenen Abstellkammer für Unterrichtsmaterialien und einem Keller.

"Was ist das für ein Ort?", wollte ich wissen, als ich mich neben Sebastian in die Mitte des Raums stellte. Ein stolzes Grinsen schlich sich auf seine Lippen und er bereitete die Arme aus so als würde er mir damit diesen eigenwilligen Raum persönlich vorstellen: "Wir nennen es die Krypta"

"Wir?", hakte ich nach und ging mit dem Blick nach oben gerichtet durch den Raum, um jedes noch so kleine Details zu erfassen. Dabei fielen mir mehrere kleinere und größere Käfige auf, die von der Decke hingen und deren Verwendung ich mir nicht erklären konnte.

"Ominis, Anne und ich", antwortete er und in seiner Stimme hatte sich etwas geändert, als er den Namen seiner Schwester gesagt hatte. Er folgte mir durch den Raum und meinem Blick, dann fügte er hinzu: "Du darfst niemandem hiervon erzählen, versprochen?"

Ich blieb stehen und sah ihm direkt in die Augen: "Natürlich, Sebastian!" Zufrieden nickte er und für einen Moment sahen wir uns einfach nur an. Irgendetwas war zwischen uns, das mich fesselte und mich wieder davon abhielt, das zu tun, was ich eigentlich machen wollte. Es dauerte einen Moment, bis ich mich abwenden und fragen konnte: "Und was hat der Raum mit der Erinnerung zu tun?"

"Wir haben ein Denkarium hier unten", sagte er stolz und zog mich an meiner Hand durch den Raum zu einem Marmorbecken in der hintersten Ecke. Noch bevor ich fragen konnte, was ein Denkarium war, nahm er mir die Amphiole aus der Hand. Ein leises Ploppen erklang, als er den Korken aus dieser herauszog.

Im Schatten des Unausgesprochenen Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt