Kapitel 4

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Im Gemeinschaftsraum roch es nach Kaminfeuer und dem Gebäck, das auf kleinen Etageren und Tellern im Raum verteilt stand. Die Küchlein waren kunstvoll verziert oder hatten eigenartig schöne Formen. Ich griff mir einen und setzte mich neben Poppy auf ein goldgelbes Sofa, das gegenüber von einem Kamin stand. Ebenfalls mit einem Törtchen in der Hand machte es sich Mary-Ann auf einem der Sessel links von uns gemütlich. Neben uns auf der rechten Seite stand ein weiteres Sofa mit vielen unterschiedlich großen Kissen darauf. Mary-Ann zog mit der freien Hand ihren Zauberstab hervor, deutete auf eines der Kissen und murmelte "Accio". Sofort schwebte ein rotes zu ihr herüber. Geschickt griff sie danach und schob es sich hinter den Rücken, ohne mit dem Zuckerguss ihres Kuchens eine Sauerei anzustellen.
"Wie war das Duell?", wollte Poppy wissen und schaute aus einem Buch auf. Mary-Ann fasste den gesamten Kampf mit einer Präzision zusammen zu der ich nicht im Ansatz fähig gewesen wäre. Als sie fertig war, sah Poppy mich abwartend an, als würde sie noch meine ganz persönliche Meinung hören wollen.
"Aufregend, auch wenn der erste Treffer echt weh getan haben musste", sagte ich und biss in meinen Kuchen. Die Erkenntnis, dass Sebastians Funkeln in den Augen mich auf merkwürdige Art und Weise anzog, behielt ich vorerst für mich. Stattdessen lenkte ich schnell das Thema in eine andere Richtung und fragte Poppy, wie es bei den Mondkälbern war.
"Gut, der Neuzuwachs gliedert sich ein", berichtete sie und ihre Augen leuchteten dabei. Mir drängten sich wieder neue Fragen auf, wie beispielsweise was Neuzugang bedeutete, aber meine eigene Erklärung, dass Mondkälber vermutlich eine Art Zaubertiere waren und sich diese vermehrt hatten, reichte mir vorerst. Ich war nicht nur müde, sondern auch erschöpft davon, immerzu Fragen zu stellen.
"Redet ihr noch darüber, wie gut Sebastian sich geschlagen hat?", grinste ein Mädchen mit feuerroten Haaren und warf sich über die Sofalehne des freien Sofas. Die Polster federten sie leicht zurück, aber nicht stark genug, sodass sie längs auf der Seite liegen blieb. Ihre Wangen waren leicht gerötet und ihre Augen leuchteten vor Aufregung. Sie musste auch beim Kampf gewesen sein, aber ich erinnerte mich nicht an sie. Vermutlich, weil ich meinen Blick nur schwer von Sebastian lösen konnte und sein Geschick mich in den Bann gezogen hatte.
"Portia, du bist einen Moment zu spät", lachte Mary-Ann und die Rothaarige verzog traurig das Gesicht. Erst dann setzte sie sich auf und schien mich zu bemerken. Ihre Augen weiteten sich und noch bevor sie etwas sagte, streckte sie mir ihre mit Sommersprossen bedeckte Hand entgegen.
"Du bist die neue Fünftklässlerin! Poppy erzählte mir, dass du zu uns in den Saal kommst", ihre Art zu sprechen glich einem Wasserfall, aber ich ließ mich davon nicht abschrecken, sondern griff ihre Hand. Etwas zu überschwänglich wurde sie geschüttelt, aber es brachte mich auch zum Lachen.
"Elisa Eltringham, richtig?", hakte sie nochmal nach und ließ los. Wachsam lagen ihre Augen auf mir und musterten mich eindringlich. Zögerlich nickte ich, denn ich fragte mich, woher sie meinen Namen kannte. Als hätte sie meinen Blick erkannt erklärte sie mir ungefragt, dass sie Vertrauensschülerin ist und Professor Weasley es ihr erzählt hatte.
Ich lehnte mich zurück und lauschte dem Gespräch von Portia und Mary-Ann über die noch anstehenden Qualifikationen der gekreuzten Stäbe. Immer tiefer ließ ich mich dabei in das Polster sinken und auch meine Augenlieder fielen immer weiter nach unten. Ich weiß nicht mehr, wann ich eingeschlafen war, aber irgendwann schüttelte Poppy mich sanft an meiner Schulter und ich folgte ihr in unseren Schlafsaal.

Am Morgen zwitscherten die Vögel und wurden dabei von dem Knistern des Kamins in unserem Schlafraum begleitet. Ich öffnete die Augen und streckte mich unter der warmen Decke. Die Wände des Raumes bildeten ein Hexagon und an jeder Kante stand ein Bett bis auf die Kante, die sich mir gegenüber befand. In diese war eine runde Holztür eingelassen.  Neben jedem Bett stand ein kleiner Nachtschrank und ein größerer Kleiderschrank. Meine direkte Nachbarin war Portia. Zumindest schloss ich das aus dem roten Haarschopf, der unter der Bettdecke hervor lugte. Ihr Schrank stand offen und über der Tür hingen mehrere Kleider. Auch auf dem Boden rings um ihr Bett herum lagen allerhand Kleidung und Bücher.
An den Wänden hingen verschiedene Bilder. Auf Portias Nachtschrank stand eines mit lauter rothaarigen Jungen in vornehmen Klamotten. Portia schien viel Geld zu haben, so achtlos wie die aufwändig verzierten Kleider auf dem Boden lagen. Ich wandte meinen Blick ab, denn es schien mir doch sehr unhöflich jemanden zu beobachten, der schlief. Die beiden Betten rechts von mir waren leer. Nur im Bett neben dem von Portia saß noch jemand vertieft in ein Buch. Ich hob meinen Kopf an, um über den dicken Wälzer hinwegzusehen und erkannte Mary-Ann.
"Wo ist Poppy?", fragte ich sie und setzte einen Fuß aus meinem Bett auf den erstaunlich warmen Holzfußboden. Mary-Ann hob ihren Blick und klappte das Buch zusammen.
"Sie ist bei den Gehegen und wollte irgendwas überprüfen", antwortete sie und zuckte dabei mit den Achsel, weil sie nichts Genaueres sagen konnte. Danach stand sie ebenfalls auf und ich erkannte, dass sie ihre Schuluniform schon angezogen hatte. Schnell zog ich mich ebenfalls um, denn auch wenn Portia noch schlief, hatte ich das Gefühl, dass wir alsbald in den Tag starten sollten.
"Was ist mit Portia?", fragte ich, als ich angezogen zu Mary-Ann rüber ging. Sie saß auf der Kante ihres frisch gemachten Bettes und zog sich ihre Stiefel über. Ohne, dass sie etwas sagen musste, wusste ich, dass sie nur noch im Bett gelegen und gelesen hatte, weil sie auf mich gewartet hatte.
"Portia frühstückt nie, aber wir nehmen ihr meistens einen Toast mit, sonst wird sie gegen Mittag unausstehlich", erklärte sie und Portia drehte sich murrend in ihrem Bett um. Verstehend nickte ich nur, um sie nicht noch weiter zu wecken und folgte Mary-Ann aus dem Schlafsaal.
Gemeinsam gingen wir zu der großen Halle, wo wir zusammen mit den anderen aus unserem Haus frühstückten. Wieder erstreckten sich die unterschiedlichsten Speisen auf allen vier Tischen. Es kostete mich einiges an Zurückhaltung mich nicht zu überessen. Vermutlich brauchte ich noch ein paar Mahlzeiten, um mit dem Überfluss zurechtzukommen. Wir saßen noch einen Moment nebeneinander, als alle fertig waren und unterhielten uns über die heutigen Unterrichtsstunden.
"Viel Spaß euch gleich bei Zaubertränke", sagte Mary-Ann schließlich und klemmte sich dann ihre Bücher unter den Arm. Mit dem anderen winkte sie uns zu, bevor sie durch die große Tür die Halle verließ.
"Zaubertränke wird dir gefallen", grinste Poppy und stand ebenfalls auf. In eine Serviette gewickelt hatte sie einen Toast mit Marmelade, der auf unerklärliche Art und Weise in einer viel zu kleinen Seidentasche verschwand. Unerklärlich war das falsche Wort; magisch beschrieb in Hogwarts alles, was ich bisher für unmöglich gehalten hatte. Ich erhob mich ebenfalls und lief Poppy hinterher die große Tafel entlang. Irgendwie fühlte ich mich dabei beobachtet. Aus diesem Grund warf ich noch schnell einen Blick über meine Schulter und sah, wie Sebastian auf uns zu rannte. Mit Schwung drängte er sich in unsere Mitte und legte je einen Arm um eine von uns. So nah war mir noch nie ein Junge gekommen. Ich wusste nicht, wie ich reagieren sollte, also tat ich nichts und ließ zu, dass seine Hand auf meiner Schulter lag. Augenblicklich schlug mein Herz höher und ich nahm seinen Geruch wahr. Er roch nach Zedern und alten Büchern, aber angenehm.
"Geht ihr auch zu Zaubertränke?", wollte er wissen und behielt uns noch einen Moment in seinem Arm. Diese Leichtigkeit, mit der er das tat, machte mich sprachlos. Nie würde ich mich trauen, jemanden, den ich so gut wie nicht kannte, anzufassen. Poppy schien es allerdings nicht zu stören, denn sie erwiderte lachend, dass wir ja keine andere Wahl hätten als zum Unterricht zu gehen. Freundschaftlich hatte sie auch einen Arm um Sebastian gelegt. Vermutlich waren die beiden auch gute Freunde, sowie Mary-Ann und Portia. Ich hingegen war neu und konnte das nicht erwidern, also behielt ich meine Hand bei mir, auch wenn ein kleiner Teil in mir sich fragte, wie es sich anfühlen würde, ihn auch anzufassen. Nach ein paar Metern ließ er uns schließlich los und wir liefen nebeneinander her in Richtung der Kerker, wo der Unterricht stattfand.
Wir waren so ziemlich die ersten, die den Raum betraten. Nur ein Junge mit orangen Haaren stand vor einer Tür, leicht gebeugt und mit dem Zauberstab in der Hand. Augenblick machte Sebastian einen Satz nach vorne. In betont strenger Stimme rief er: "Mister Weasley für den Einbruchsversuch in mein Lager gibt es 100 Punkte Abzug für Gryffindor"
Der Junge zuckte zusammen wie vom Blitz getroffen und ließ seinen Zauberstab fallen. Ertappt drehte er sich um und rollte dann mit den Augen: "Man Sebastian, musst du mich so erschrecken?"
"Musst du in den Vorratsraum von Professor Sharp einbrechen?", tadelnd strich Sebastian durch die Haare des Jungen. Dieser hob nur verteidigend die Hände: "Glaub mir dieses Mal wird der Trank ein Erfolg, aber ich brauch unbedingt noch eine Fwuuper Feder"
Zu gerne hätte ich gefragt was für eine Feder er brauchte, aber ich war zu fasziniert von der Unterhaltung der beiden, sodass ich neben Poppy am Eingang stehen geblieben war und den beiden gebannt zuhörte.
"Ich kenne einen Weg Garreth wie du an eine kommst ohne, dass du dein Haus in Verlegenheit bringst", grinste Sebastian schelmisch und fügte dann noch hinzu, "Wobei Slytherin dieses Jahr den Hauspokal verdient hätte"
Gerade als Garreth etwas sagen wollte, kamen weitere Schüler herein. Daraufhin formte Sebastian lautlos ein "später" mit seinen Lippen und wir verteilten uns auf die Trankstationen.

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