Kapitel 20

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Streit war das Letzte, was ich wollte und auch etwas, für das ich keinen Kopf hatte. Viel zu sehr war ich mit mir selbst beschäftigt, als das ich auf Rubys Sticheleien weiter eingehen konnte. Stattdessen lag ich in meinem Bett, beobachtete die Sterne und versuchte ihr nicht zuzuhören. Ich wollte nicht mitbekommen, wie sie davon berichtete, dass er ihr die Tür aufhielt und sie manchmal im Unterricht ansah. Leider tat ich es trotzdem und die Bilder, die dabei in meinem Kopf entstanden, taten weh. Der Gedanke daran, dass er ihre Hand unter dem Tisch im Unterricht nahm, raubte mir den Verstand. Angestrengt ging ich jede Unterrichtsstunde durch und versuchte mich daran zu erinnern, ob die beiden nebeneinander gesessen hatten. Ein Seufzen überkam ungewollt meine Lippen. Direkt unterbrach Ruby ihre Geschichte und sah mich an: "Stimmt etwas nicht Elisa?"
In meinem Inneren fing es sofort an zu brodeln und ich spürte eine Wut, die ich noch nie gespürt hatte. Sie wusste doch bestimmt schon bestens darüber Bescheid, was los war. Für ihre dumme Frage hätte ich ihr am liebsten das dämliche Grinsen aus dem Gesicht geschlagen. Erschrocken über meine Wut schaffte ich es gerade noch mir auf die Innenseite meiner Wangen zu beißen und gepresst zu sagen: "Nein alles gut"
So ein Mensch wollte ich nicht sein, also riss ich all meine vorhandene Vernunft zusammen und schaute zurück auf den Sternenhimmel. Portias Blick hingegen ging wütend in die Richtung von Ruby: "Können wir mal über etwas Anderes reden?"
Sofort stimmten Mary-Anne und Poppy zu und ich konnte mir ein Lächeln nicht verkneifen. Immerhin war ich nicht die einzige, die genervt von Ruby war. Zwar würden die anderen es vermutlich nicht zugeben, weil sie Hufflepuffs durch und durch waren, aber ich spürte es.
Den Rest des Abends redeten wir über andere Dinge, wie die Geschwister von Portia oder Quidditch. Nur Ruby hatte sich etwas zurückgezogen, was mir gerade recht kam. Ich weiß nicht, was ich bei weiteren Bemerkungen von ihr getan hätte. Solche Wut kannte ich normalerweise nicht von mir, aber ich war auch noch nie derart provoziert worden. Irgendwann spät in der Nacht waren die Gespräche immer ruhiger geworden, bis sie schließlich ganz verstummten und wir einschliefen.

Wir schliefen so lange, dass die große Halle beim Frühstück schon fast ganz leer war, als wir zu fünft eintrafen. Erstaunlicherweise war sogar Portia mitgekommen, auch wenn sie mehr als müde aussah. Ruby würdigte mich während des Essens keines Blickes, aber das war für mich in Ordnung. Ich brauchte keinen Frieden zwischen uns; es reichte mir schon, wenn sie nichts sagte.
Irgendwann wandte sie sich doch direkt an mich: "Ich tu es jetzt"
Erst verstand ich nicht, warum, aber als ich dann sah, dass sie auf den Slytherin Tisch zu lief, war es mir klar. Sebastian Sallow war gerade aufgestanden und wollte die große Halle verlassen, als er von Ruby aufgehalten wurde. Ich sah, wie sie sich bei ihm einhakte und dann, wie sie gemeinsam die große Halle verließen. Einen Moment brauchte es, bis ich verstand, was ich gesehen hatte. Vermutlich hatte ich auch genau so lange in die Richtung gestarrt. Liebevoll wurde mein Kopf von Portia wieder weggedreht: "Mach dir keinen Kopf. Jeder weiß, dass das nichts wird"
"Portia!", Poppy fiel ihr scharf ins Wort und war mehr als entsetzt, "Ruby war zwar nicht nett in letzter Zeit, aber sie ist immer noch unsere Freundin"
"Ja klar, aber das ändert nichts an der Tatsache, dass sie eine Wagenladung Amortentia bräuchte, damit Sebastian sich nochmal mit ihr trifft", lachte Mary-Ann dann und ich musste mich sehr zusammenreißen, um nicht auch zu lachen.
"Was seid ihr für Hufflepuffs? Setzt euch lieber gleich zu den Slytherins so fies wie ihr seid!",  empörte Poppy sich weiter. Ein Teil von mir konnte sie verstehen, aber ein anderer freute sich über die Zuversicht, dass Sebastian zwar nichts mehr von mir, aber auch nicht von Ruby wollte.
"Du hast Recht, aber so gemein wie sie gestern Abend zu Elisa war, war es mir einfach ein Bedürfnis", rechtfertigte sich Portia. Dabei warf sie mir ein Zwinkern zu und das Thema war vorerst wieder erledigt.
Den restlichen Tag verbrachte ich mit Poppy bei den Mondkälbern und half ihr damit, alle Ställe auszumisten. Die körperliche Arbeit sorgte dafür, dass ich mal an etwas Anderes dachte und die Stunden zogen nur so an mir vorbei. Gegen Abend wusch ich all den Dreck von mir und machte mich auf den Weg zum Astronomie Turm. Als ich ankam, war der Sonnenuntergang in seinen letzten Zügen und das gesamte Schloss war in ein wunderschönes, tief rotes Licht getaucht. Von Amit fehlte noch jede Spur, aber ich war auch ein wenig zu früh. Zwischen der Balustrade und der Kante des Turmes war ein guter Meter Platz, sodass ich vorsichtig darüber kletterte. Unter mir ging es schwindelerregend weit hinab, aber ich liebte das Kribbeln, das dadurch ausgelöst wurde. Ich setzte mich auf den Vorsprung, lehnte mich an die Balustrade und beobachtete die Sonne, wie sie immer weiter hinter dem Horizont verschwand. Hier oben war es so still. Ich nahm mir vor, öfter hierher zu kommen und mir die Sonnenuntergänge anzuschauen.
Plötzlich hörte ich eine Stimme. "Sebastian, bist du hier?", es war Garreth, der etwas außer Atem war, nachdem er die Treppe hochgelaufen war. Automatisch hielt ich die Luft an, als ich seinen Namen hörte.
"Ja, hier unten immer noch bei diesen dummen Teleskopen!", bei dem Klang seiner Stimme setzte mein Herz aus. Er war nur wenige Meter entfernt und ich hatte es einfach nicht bemerkt. Allem Anschein nach hatte Garreth mich nicht entdeckt, weswegen ich etwas weiter nach unten sank, damit es auch so blieb. Ich hörte, wie Sebastian die Treppe des Lagers hinauf gelaufen kam.
"Was willst du?", fragte er gleichgültig. Wie gerne wäre ich aufgestanden, um ihn zu sehen, aber ich musste sitzen bleiben. Wenn ich mich jetzt zu erkennen geben würde, wäre die Situation mehr als unangenehm für mich. Also blieb mir nichts Anderes übrig.
"Ich wurde von Professor Sharp erwischt, als ich in sein Lager einbrechen wollte", fing Garreth an, "30 Punkte Abzug für Gryffindor"
"Was habe ich damit zu tun?"
"Du hattest versprochen mir zu zeigen wo ich die Fwuuper Feder herbekomme"
"Ahja"
"Und hältst du dein Wort?"
"Natürlich ich bin ein Slytherin"
"Morgen Nacht?"
"Wieder auf dem Weg die Regeln zu brechen, Sallow?", die Stimme von Amit mischte sich in die Unterhaltung und ein wütender Laut entfuhr Sebastian.
"Sei still Amit! Wir besprechen das dort, wo der Klugscheißer uns nicht hören kann", sagte der Slytherin kühl und dann hörte ich, wie die beiden den Astronomieturm verließen. Erst als ich mir sicher war, dass die beiden außer Hörweite waren, stand ich auf. Vorsichtig kletterte ich zurück hinter die Balustrade. Amit erschreckte sich, als er mich sah. Dann atmete er erleichtert auf: "Du bist es. Warum versteckst du dich?"
"Ich hab mich nicht versteckt. Ich wollt-" fing ich an mich zu verteidigen, doch Amit fiel mir ins Wort, "Alles gut ich bin froh, dass er nicht mitbekomme hat, dass du auch hier bist"
"Warum das?", hakte ich sofort nach, während ich den Staub des Steinbodens von meinem Umhang klopfte.
"Er hat mir gestern klar gemacht, dass er mir jeden Knochen bricht, wenn er uns zusammen sieht", gab er kleinlaut zu und sah dabei verlegen auf den Boden. Mir fiel alles aus dem Gesicht? Das hatte er zu ihm gesagt? Einerseits war ich wahnsinnig entsetzt darüber, dass Sebastian sich das Recht raus nahm anderen zu drohen, wenn sie Zeit mit mir verbrachten andrerseits war ich berauscht von der Überlegung, ob er es wirklich getan hätte. Ich brauchte einen Moment um meine Worte wieder zu finden, doch dann sagte ich: "Mutig, dass du trotzdem herkommst"
"Ich hatte die Hoffnung, dass du es ihm ausredest, falls er es mitbekommt"
"Natürlich hätte ich das!", ein zufriedenes Grinsen breitete sich in seinem Gesicht aus und dann ging er zu einem Teleskop rüber, das in den Himmel gerichtet war. Mittlerweile war die Sonne vollständig verschwunden und die ersten Sterne leuchteten am Himmel. Amit erklärte mir zunächst, wie ich das Teleskop einstellte um scharf sehen zu können. Dafür machte er es vor und ließ mich immer mal wieder selber durchschauen, damit ich einen Unterschied in der Schärfe feststellen konnte. Dann ließ er mich selbst eine Stelle aussuchen. Ich deutete mit dem Teleskop in die Richtung eines hell leuchtenden Sternhaufen.
"Oh, die Plejaden, gute Wahl!", freute Amit sich und ich versuchte das Bild durch das Teleskop scharf zu bekommen. Bei der Anzahl der Sternen gestaltete sich das mehr als schwierig. Gerade, wenn ich das Gefühl hatte, einen deutlich sehen zu können, verschwamm der Rest.
"Der Sage nach hatte Zeus die sieben Schwestern in den Himmel versetzt, um sie vor Orion zu schützen, aber der jagt sie bis in alle Ewigkeit", erklärte Amit, während ich der richtigen Einstellung immer näher kam.
"Das sind ja tolle Aussichten", bemerkte ich. Zufrieden entfernte ich mich vom Teleskop und Amit kontrollierte es. "Sehr gut gemacht", lobte er mich daraufhin. Nachdem ich es bei anderen Sternbildern ebenfalls alleine geschafft hatte, verabschiedete er sich und sagte, dass er noch etwas zu tun hatte, aber ich gerne noch ein wenig selber schauen könnte. Ich willigte ein, denn nachdem ich wusste, was Sebastian zu ihm gesagt hatte, wollte ich nicht zusammen mit ihm durch die Schule laufen. Auch wenn ein Teil von mir sich fragte, ob er die Drohung wahr gemacht hätte. Allein der Gedanke daran ließ etwas in mir entflammen.
Also blieb ich alleine im Astronomieturm und schaute mir den Sternenhimmel an. Als ich versuchte, den großen Wagen zu erfassen, merkte ich, wie mich eine Lichtquelle dabei störte. War der Mond schon aufgegangen? Ich sah über das Teleskop hinweg, aber konnte diesen nirgends entdecken. Stattdessen aber ein blaues Funkeln zwischen den dunklen Bäumen des verbotenen Walds. Sofort richtete ich das Teleskop darauf. Zunächst sah ich nichts, aber je besser ich es einstellte umso mehr sah ich es. Spuren alter Magie. Mein Herz schlug schneller. Die Worte von Percival kamen mir wieder in den Kopf. Ich musste von oben schauen und jetzt sah ich sie. Zwar sehr schwach, aber im verbotenen Wald waren sie. Ich musste dahin und am liebsten wäre ich sofort hingegangen, aber ich wusste, welche Gefahren dort lauerten. Ohne Mega Power Tränke und die richtige Kleidung sollte ich mich nicht auf den Weg machen. Außerdem war es jetzt schon viel zu spät, um mich aus dem Schloss zu schleichen. Ich würde direkt in die Arme eines Lehrers laufen. Am besten machte ich mich morgen vor der Sperrstunde auf den Weg in der Hoffnung, dass meine Abwesenheit lange genug nicht auffiel. Aufgeregt lief ich zurück in meinen Gemeinschaftsraum. Ich würde mir den ultimativen Plan einfallen lassen.

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