Kapitel 10

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Das Gefühl von Sebastians Finger, die sich um meine schlossen, ließ mich die Aufregung der letzten Minuten vergessen. Obwohl es kein sonderlich romantischer Moment war und er mich die Treppe regelrecht hinunterriss, erröteten meine Wangen. Am Fuße der Treppe blieb er plötzlich stehen und sah mir in die Augen. Einen Atemzug hielt er inne, bevor sein Blick auf unsere ineinander verschränkten Finger fiel. Keine Sekunde später zog er seine Hand zurück und kratzte sich mit dieser verlegen an seinem Hinterkopf. Sein Mund öffnete sich und ich war mir ziemlich sicher, dass er etwas sagen wollte, aber er blieb still. Das Schweigen zwischen uns machte mich allmählich auch unsicher. Trotzdem hielt ich seinem Blick stand und versuchte aus seinem Gesicht zu lesen, was in ihm vor sich ging.
"Da sind ja unsere Schwerverbrecher", hörte ich eine vertraute Stimme am Ende des Korridors lachen. Ich drehte mich in die Richtung, aus der sie gekommen war und sah Mary-Ann, die breit grinsend auf uns zugelaufen kam. Sie trug braune Reiterhosen und hatte ihre hellroten Haare zu einem hohen Pferdeschwanz zusammengebunden. Mit ihr schwang der Geruch von Heu und Natur mit, als sie sich vor uns stellte. Dem Dreck auf ihrem Hemd nach zu urteilen, musste sie zusammen mit Poppy bei den Ställen gewesen sein.
"Unsere letzte Verwarnung, bevor er uns nach Askaban schickt", scherzte Sebastian und war wieder der selbstbewusste, verwegene Slytherin. Der kurze Moment seiner Unsicherheit war genauso schnell vorüber, wie er gekommen war.
"Woher wusste du, wo wir sind?", fragte ich, während wir zu dritt durch die Korridore von Hogwarts liefen. Mary-Ann lachte nur: "Wenn jemand zum Schulleiter muss, spricht sich das in Hogwarts schneller rum als die Nachricht, dass es Kürbiskuchen gibt"
"Und erst Recht, wenn es um die neue Fünftklässlerin geht", ergänzte Sebastian lachend und warf mir dabei einen frechen Blick zu. Mary-Anne blieb stehen und schien etwas in ihrer kleinen roten Umhängetasche zu suchen. Ihr Arm war deutlich über die Taschengröße hinaus darin verschwunden und ich vermutete den gleichen Zauber wie bei Mr. Vanders.
"Wir müssen uns beeilen", murrte Sebastian die Arme vor der Brust verschränkt, während er nervös mit seinem Fuß auf dem Boden tippelte. Der Ausdruck in Mary-Annes Gesicht erhellte sich und wenige Sekunden später zog sie ein kleines Servietten-Päckchen hervor, das mit grober Schnur zusammengebunden war.
"Ich hab dir was vom Abendessen mitgenommen", sagte sie und reichte es mir herüber. Dankend nahm ich das Päckchen entgegen und löste die Schnur. Der Geruch von frischem Brot und Käse schlich sich in meine Nase, während ich den ersten Bissen nahm. Sebastian stemmte die Arme in die Hüfte und sah sie beleidigt an, dabei umspielte seine Lippen jedoch wieder dieses schelmische Grinsen: "Und mir hast du nichts mitgebracht?"
"Das wäre ja wohl Ominis Aufgabe und nicht meine", grinste sie nur und lief weiter. Kauend blieb ich noch einen Moment stehen und sah Sebastian abwartend an. Dieser legte seinen Arm um meine Taille und zog mich dadurch ein Stück näher an sich heran. Durch meine Kleidung hindurch spürte ich die Hitze, die von ihm ausging. Dann klimperte er mit seinen Wimpern und sagte: "Elisa du teilst doch bestimmt dein Essen mit mir wo ich dir doch dein Leben gerettet habe"
Mary-Anne drehte sich nicht um, sondern sagte im Gehen nach vorne:" Lass Elisa ihr Essen. Im Gegensatz zu dir, war sie nicht einmal beim Mittagessen"
Immernoch stand er so nah bei mir, dass es mir fast die Sprache verschlug. Gerade als ich etwas sagen wollte, griff Mary-Anne doch noch einmal in ihre Tasche. Sofort löste sich Sebastian und rannte zu ihr: "Ich wusste doch, dass du mir auch eins gemacht hast"
"Du warst ja auch schließlich bei Black statt beim Abendessen", sagte sie und reichte ihm ein Päckchen, das aussah wie das, was sie mir vor wenigen Minuten gegeben hatte. In der einen Hand hielt Sebastian das Brot und mit der anderen griff er sich Mary-Ann und drückte ihr einen Schmatzer auf die Wange: "Du bist die Beste!"
Ich stand immer noch einige Meter hinter den beiden. Jetzt war es nicht Sebastian, der mich am Weitergehen hinderte, sondern dieses mulmige Gefühl in meinem Bauch, das mir so gar nicht gefiel. Ich sollte mein, nicht mehr zu leugnendes, Interesse an dem Slytherin nochmal überdenken, wenn es offensichtlich nichts Besonderes war, von ihm mehr als nur beiläufig angefasst zu werden. Mein Blick trübte sich immer mehr, als ich sah, wie die beiden lachend weitergingen. Krampfhaft versuchte ich mich zusammenzureißen und mir nichts anmerken zu lassen. Mary-Anne war meine Freundin und ich sollte nicht solche Gefühle ihr gegenüber haben, aber es passte mir ganz und gar nicht, dass sie einen Kuss von Sebastian auf ihre Wange bekommen hatte. Gerade weil sie diejenige war, die sich dann umdrehte, mich anlächelte und mich zur Beeilung aufrief. Schnell schluckte ich meine Gefühle runter und holte auf.

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