Nervös schritt die zierliche Gestalt in ihrem unterirdischen Versteck auf und ab und musterte alle Anwesenden aufmerksam. Obwohl das Gesicht von einer metallenen Maske verdeckt wurde, konnte man doch in den sanften, dunklen Augen die Sorge erkennen, von der sie geplagt wurde. Kurz blieb die Gestalt vor einem blassen, jungen Mann mit dunklen Haaren stehen, musterte ihn kurz, um anschließend wieder weiter auf und ab zu gehen. Durch die katzenhaften Bewegungen war sie fast lautlos, obwohl sie komplett von rot glühendem Stein umgeben waren, der jedes Geräusch normalerweise hallend wiedergab. Die Gestalt hatte das Ende des engen Raumes erreicht, hielt inne und seufzte.
„Bist du dir ganz sicher?" Die Stimme war sanft und lieblich.
„Ja, meine Herrin", antwortete der junge Mann.
Erneut seufzend drehte sie sich mit einer kurzen Bewegung um. Sie blickte den Mann eine ganze Weile durch die dünnen Schlitze der silbern glänzenden Maske hindurch an, ließ aber dann den Blick wieder schweifen und musterten die übrigen schwarz gekleideten Gestalten. Es waren vielleicht fünfzig, mit etwas Glück auch sechzig Frauen und Männer, auf alle Fälle viel zu wenige. Endlich durchbrach sie die Stille: „Dann haben sie ihn also tatsächlich gefunden."
„Ja", flüsterte der Mann leise.
„Was bedeutet das?", fragte ein Junge von vielleicht vierzehn Jahren. Sein blondes Haar war verwuschelt und dreckig, aber in seinen toten, blauen Augen glänzte es wissbegierig. An seiner Seite klirrte ein Schwert, das für seine Statur und Kraft viel zu groß und zu schwer wirkte. Zu seinen Lebzeiten war er der Sohn eines Bauern gewesen, kaum fähig, eine Waffe zu führen, aber jetzt im Tode lernte er ungewöhnlich schnell. Der blasse Mann lächelte freundlich. Er hatte den Jungen gern, auch wenn er wusste, dass es unklug war, hier unten jemanden zu mögen. Schnell konnte man durch einen mutmaßlichen Freund verraten werden und wieder dem zugeführt werden, wovon man einst befreit worden war.
Ihre vermeintliche Freiheit hatte ihnen ihre Herrin Izanami geschenkt. Nach und nach hatte sie jeden einzelnen aus seinen Qualen geholt, aber viele wurden nach kurzer Zeit wieder gefangen oder von Freunden für die teuflische Verheißung von Begnadigung verraten. Immer wieder waren sie deswegen gezwungen, ihre Verstecke zu wechseln. Sie wussten, dass sie niemals erlöst werden konnten und dazu verdammt waren, bis in alle Ewigkeit in dieser Hölle auszuharren, aber dennoch war es besser, als ewig Gejagter hier zu sein denn als gequälter Gefangener.
„Peter", die zierliche Gestalt blieb vor dem blonden Jungen stehen und legte ihm sanft die schwarz behandschuhte Hand auf die Schulter, „Du bist ein tapferer Krieger und eine starke Persönlichkeit."
Der schlaksige Junge lächelte stolz. Er war einer der wenigen, der seine Qualen ohne gröbere seelische Verletzungen überstanden hatte. Die meisten waren bei ihrer Befreiung gebrochen oder bereits tote Seelen. Das und der nicht auszurottende Verrat in ihrer Gemeinschaft ließen die Zahl ihrer Mitstreiter nur langsam anwachsen und meistens verloren sie mehr als sie befreien konnten.
Die Gestalt mit der Maske blickte den blonden Jungen lange an und fuhr schließlich laut fort: „Sie haben die Waffe der Ungläubigen gefunden."
Ein Raunen ging durch die versammelten Männer und Frauen, alle bewaffnet, aber die wenigsten tatsächlich dazu in der Lage, eine Waffe zu führen.
„Was bedeutet das?", fragte der blonde Junge fordernd.
Eine kurze Pause entstand und es war kein Laut zu hören, denn alle warteten auf die Antwort ihrer Anführerin.
„Dass die Apokalypse bevorsteht und wir uns für den Kampf bereit machen müssen."
Wieder war es still, bis der Erste zu Jubeln begann. Die Apokalypse stand bevor! Die verheißungsvolle Erlösung der Toten durch den Allmächtigen! Sie wussten, auf welcher Seite sie zu kämpfen hatten. Aufgeregt redeten sie durcheinander und lachten, manche zogen ihre Waffen und begannen spielerisch miteinander zu kämpfen. Vielleicht war ihre Zeit hier unten endlich zu Ende.
Izanami trat neben den jungen Mann, der ihr die Nachricht überbracht hatte. Er war ihr treuester und längster Vertrauter. Er war zwar nicht der Erste, den sie befreit hatte, aber der, der es bisher am längsten geschafft hatte, sich nicht wieder gefangen setzen zu lassen. Dieser Mann war seit langer Zeit ihr Freund und so ziemlich der Einzige, dem sie hier unten vertraute. Ihre dunklen Augen funkelten unter der Maske.
Izanamis engster Vertrauter wusste jedoch, dass sie ihren Anhängern nicht alles erzählt hatte und zweifelnd blickte er über die feiernde Menge.
„Der Legende nach kann das Gleichgewicht der Mächte durch die Waffe der Ungläubigen beeinflusst werden, ist es nicht so, Herrin?"
Er hatte geflüstert, um von den anderen nicht gehört zu werden und ihnen damit die Hoffnung auf Erlösung zu rauben.
Sie nickte.
„Wir müssen wachsam sein, Adrian", flüsterte sie ihm zu, „Niemand weiß, wie diese Waffe zu benutzen ist, aber selbst unter den Ungläubigen gab und gibt es noch Verräter. Wir müssen jeden ihrer Schritte beobachten, das ist unsere einzige Möglichkeit."
Mit diesen Worten wandte sie sich von ihm ab und verschwand in der Menge ihrer Anhänger. Adrian blickte ihr wortlos nach. Er hatte das ungute Gefühl, dass Izanami auch ihm nicht die ganze Wahrheit anvertraut hatte.
Als er sich ebenfalls abwandte, bemerkte er, dass ihn der blonde Junge mit seinen kalten, toten Augen beobachtete und zum ersten Mal seit langem hatte Adrian eine schlimme Vorahnung.
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Offenbarung - Der teuflische Plan
FantasyVormals "Der Kristall der Ungläubigen"; **ACHTUNG: aktuell ab dem vierten Buchkapitel (WattPad-Kapitel 23) in Überarbeitung** ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ Lillie mag ihr ruhiges Leben. Aber dann wird ihr vo...