Adrian wusste nicht, wie lange er gedankenverloren umhergeirrt war. Es war ihm, als hätte er jegliches Zeitgefühl verloren. Die unzähligen Gänge und Hallen, die er auf der Suche nach seinen Gefährten durchquert hatte, waren ihm gänzlich unbekannt gewesen. Glücklicherweise traf er kaum auf Feinde und wenn er doch einmal das Gequatsche von Dämonen vor sich hörte, fand er immer rechtzeitig eine Möglichkeit, sich zu verstecken.
Unaufhörlich kreisten auf seinem Weg die Gedanken durch seinen Kopf. Adrian musste an Peter denken und daran, was ihm der alte Mann gesagt hatte. Er dachte daran, dass Peter wahrscheinlich genau in diesem Moment eine Steigerung seiner ursprünglichen Höllenqual zu ertragen hatte. Auch Peter war ursprünglich einer jener Seelen gewesen, die laut Izanami zu unrecht hier herunten waren, weswegen sie ihn befreit hatten. Aber so war es nun mal mit dem Glauben: solange man lebte, wusste man es einfach nicht besser, und jetzt im Tode war es schlichtweg zu spät. Das, woran man im Leben geglaubt hatte, erfüllte sich nun unbarmherzig für jeden Einzelnen. Hätte Peter damals überlebt und wäre nicht so früh gestorben, wäre er zu Adrians Geburtsstunde bereits ein alter Mann gewesen, aber es war nun einmal anders verlaufen. Adrian musste an den Tag denken, an dem er zusammen mit Izanami und zwei anderen den Jungen befreit hatten. In Peters Augen war ein unendlicher Schmerz gewesen, aber auch der letzte Funke einer unvorstellbaren Kraft, die in seiner Seele wohnte. Adrian hatte Peter wirklich gerne gemocht. Er war klug, tapfer und seelisch ungemein stark gewesen und nun war er weg – für immer!
Adrian kam zu einer Abzweigung. Er überlegte kurz, ob ihm einer der Wege bekannt vorkam, entschied sich dann aber schließlich für den rechten Gang. Der Stein schien hier weniger zu glühen als überall sonst und Adrian machte gerne einen Umweg, um einerseits neue Wege zu erkunden und andererseits, um noch eine Weile für sich alleine zu sein. Er hatte keine Angst vor Izanami, aber er selbst wollte sich noch über das Erlebte im Klaren werden.
Was hatte der alte, ungläubige Mann zu ihm gesagt? Adrians Schicksal erfülle sich erst jetzt im Tode? Wie war das möglich? Alles was einen Mensch ausmachte, all seine Hoffnungen, Gefühle, Träume und vor allem seine Gedanken und sein Glaube ergaben für jeden einen eigenen Weg, den er zu gehen hatte – sein Schicksal. Aber – und das war der entscheidende Punkt – das traf nur auf Lebende zu! Nur sie konnten durch die Kraft des Lebens alles bewirken was sie nur wollten, und genau das war die große Macht der Ungläubigen, die dies vor langer Zeit erkannt hatten. Denn im Gegensatz zu den meisten Sterblichen, wird ihnen das nicht erst im Tode schmerzlich bewusst, sondern sie erfahren dieses Geheimnis bereits zu Lebzeiten und wissen es für sich zu nutzen. Und dennoch: das Gerede des Alten machte für Adrian schlichtweg keinen Sinn. Sein sterblicher Körper hatte bereits vor langer Zeit seinen letzten Atemzug getan und seine Seele war daraufhin gezwungen, die Ewigkeit in der Hölle zu verbringen. Wie war es also möglich, dass sich ausgerechnet sein Schicksal erst jetzt erfüllen sollte? Etwa hier in der Unterwelt, in der man als tote Seele so gut wie keine Möglichkeiten hatte, etwas zu verändern? Oder hat der alte Mann einfach nur gesponnen? Adrian drängte sich der Gedanke auf, dass es vielleicht nur eine Ausrede des Alten gewesen war, um den Fragen Adrians auszuweichen, warum dieser Peter nicht gerettet hatte. Dennoch, der Alte war ein ehemals Ungläubiger gewesen und somit einer der wenigen Vertrauenswürdigen hier unten.
Adrian ging vorsichtig weiter den schmalen Gang hinein. Er hatte gelernt, sich langsam und mit Bedacht fortzubewegen und auf jeden noch so kleinen Laut zu achten. Selbst jetzt, da er in Gedanken versunken war, erregte plötzlich ein leises Geräusch vor ihm seine Aufmerksamkeit. Adrian starrte in die Dunkelheit, konnte aber nicht ausmachen, woher der wimmernde Laut gekommen war. Suchend blickte er sich nach einer Ausweichmöglichkeit um, konnte aber keine entdecken. Adrian schlug die Kapuze über seinen Kopf, um sein Gesicht darin in der Dunkelheit verbergen zu können, da er seinen Helm zuvor an seinen Widersacher verloren hatte. Hass stieg wieder in Adrian hoch, als er das Bild jenes Mannes vor seinem inneren Auge sah, der ihm zu seinen Lebzeiten alles genommen hatte. Er unterdrückte aber das Gefühl und zog geräuschlos das mit trockenem Blut verklebte Schwert aus der Scheide. Er drückte sich an die Wand und wartete. Die Dunkelheit um ihn war ungewöhnlich und beunruhigte Adrian leicht. Im Gang vor ihm rührte sich nichts, aber er hatte das Gefühl, dass etwas nicht stimmte.
Da war es wieder gewesen! Adrian stockte der Atem. Es war eine weibliche Stimme, die von weiter Ferne zu ihm durchdrang. Adrian konzentrierte sich weiter. Er versuchte die Richtung, aus der er die Stimme kam, abzugrenzen, aber es war ihm, als ob sie aus dem Fels selbst zu kommen schien. Langsam ließ Adrian das Schwert sinken und legte sein Ohr an eine der steinernen Wände. Die Kälte des Felsens ließ sogar ihn leicht erschauern. Er hielt den Atem an und schloss die Augen um sich ganz auf seinen Gehörsinn zu konzentrieren und tatsächlich: er hörte eine weibliche Stimme, die mit sich selber zu streiten schien. Adrian löste sich wieder von der Wand und überlegte kurz. Er wusste, dass Anhänger des Bösen besondere Gefangen in türlosen Zellen unterbrachten, um ihnen keinerlei Möglichkeit zur Flucht zu geben. Es wäre dumm von ihm zu bleiben, denn wahrscheinlich handelte es sich nur um eine gequälte Seele, aber irgendetwas in ihm gebot Adrian zu warten. Er kauerte sich an der Wand zusammen und verharrte. Seine rechte Hand umklammerte den Knauf seines Schwertes, welches er unter seinem schwarzen Mantel verborgen hielt. Durch die Dunkelheit um ihn schien er mit der Wand zu verschmelzen, sodass er nur schwer zu erkennen war.
Adrian war sich bewusst, dass es dumm war, sich länger als nötig hier aufzuhalten, dennoch wartete er. Worauf genau, wusste er nicht.
Weil das nächste Kapitel etwas länger ausfällt und noch etwas überarbeitet gehört, ich aber auch schon gefragt wurde, wann es mit Adrians Geschichte endlich weitergeht, habe ich dieses kurze Zwischenkapitel vorerst alleine veröffentlicht - Sorry dafür ;-)
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Offenbarung - Der teuflische Plan
FantasiaVormals "Der Kristall der Ungläubigen"; **ACHTUNG: aktuell ab dem vierten Buchkapitel (WattPad-Kapitel 23) in Überarbeitung** ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ Lillie mag ihr ruhiges Leben. Aber dann wird ihr vo...